Texte von Hugo Rupp

Wutlosigkeit

 

Viele Jahre später erzählte Hitler einer seiner Sekretärinnen, er habe einmal in einem Abenteuerroman gelesen, es sei ein Zeichen von Mut, seinen Schmerz nicht zu zeigen. Und so „nahm ich mir vor, bei der nächsten Tracht Prügel keinen Laut von mir zu geben. Und als dies soweit war – ich weiß noch, meine Mutter stand draußen ängstlich an der Tür -, habe ich jeden Schlag mitgezählt. Die Mutter dachte, ich sei verrückt geworden, als ich ihr stolz strahlend berichtete: Zweiunddreißig Schläge hat mir der Vater gegeben!“

aus: John Toland, Adolf Hitler

Ich stehe da und schweige tapfer. Ich sage nichts. Egal was du auch machen wirst, ich sage nichts. Wenn du mich tötest, untergehst, wenn du in deinem Blut ertrinkst, dann bleib ich still.

Du musst jetzt tapfer sein, sagst du.

Der Mann reißt meine Zähne aus.

Du musst jetzt noch ein wenig tapfer sein, dann ist es gleich vorbei, sagst du.

Ich blinzle, mache Fäuste. Den Mund, den ich am liebsten schließen würde, den lasse ich doch offen, damit der Mann mir meine Zähne reißen kann.

Deswegen musst du tapfer sein und deinen Mund weit offen halten, damit der Doktor dir nichts tut.

Wenn er dir dennoch weh tut, bist du selber schuld, weil du den Mund geschlossen hast.

So ist es gut, sagt er und lächelt. So ist es gut, gleich haben wir den Zahn.

Ich wollte immer tapferer werden. Ich musste zeigen, dass ich tapfer war. Ich musste zeigen, dass ich tapfer war.

Du bleibst jetzt schön hier liegen. Ich bin gleich wieder da. Ich muss nur schnell etwas von Gegenüber holen, dann bin ich wieder da. Du bleibst jetzt schön allein. Und machst mir keinen Kummer. Ich komme gleich zurück, und du bleibst ohne mich allein.

Ich riss mein Herz, mein Hirn, mein Bein, den Zeh, die Ohren und die Nase, ich riss an meinem Handrücken. Ich riss, wo meine Finger waren. Ich riss mich selbst zusammen.

Du brauchst jetzt nicht zu weinen. Hörst du! Du musst jetzt einfach tapfer sein!

Das tut nicht weh. Geht gleich vorbei. Das ist jetzt gleich vorüber.

Das ist jetzt nur ein Schnitt. Dann nähe ich die Wunde zu. Dann sieht das aus wie neu. Das wird vortrefflich heilen.

Die Indianer kennen keine Schmerz. Die schreien nicht bei jedem Weh gleich aua. Die kommen nicht gleich angelaufen, wenn denen mal was fehlt.

Du reißt die Augen auf und schaust auf mich zum Himmel. Du schreist und schreist auch wieder nicht. Du siehst jetzt angsterfüllte Augen. Selbst dann erschrickst du nicht. Noch während du in Schrecken tauchst, ermahnst du dich. Du reißt dich selbst im Angesicht des Todes noch zusammen.

Im Traum am See, wo du in einem Blutsee untertauchst, da schaust du dich noch seelenruhig um, da reicht das Wasser dir bereits zum Hals.

Solange ich dich schützen muss, fühlte mein Hirn, könnte mir was passieren. Ich musste einfach tapfer sein und einfach tapfer bleiben. Ich stand mir mit der Tapferkeit selbst bei.

Der große Irrtum war, dass ich was Schlimmeres, ein Unheil stets erwartet habe, dass etwas Schlimmeres mit mir und dir passieren könnte, wenn ich nicht immer tapfer für uns sein würde. Ich musste tapfer für uns beide sein.

Doch habe ich als Kind nie Schlimmeres erlebt, als nur allein bei dir zu sein. Vor dir noch tapfer sein, trotz Weh und feuchten Augen. Als wäre ich nur trocken etwas wert und keine meiner Tränen.

Ich muss für dich ein Vorbild sein. Vorbildlich tapfer mich betragen. Vorbildlich sein. Ein Vorbild für mich sein, bedeutete die Katastrophe. Ich konnte mich als Kind nicht mehr ertragen. Ich wurde unkenntlich für mich.

Als tapferes Kind war ich ideal für meine Eltern. Ich war der beste Mutterschutz. Ich schützte meine Eltern vor der Wahrheit.

Ein tapferes Kind versteckt den Wunsch, aus Angst vor seinen Eltern, dass es nicht mehr nach Hause kommen kann. Weil es die Eltern nicht mehr mag und auch sein tapfer sein so furchtbar hasst.

Die Eltern von Anders Behring Breivik, die Krankenschwester Wenche Behring und der Betriebswirt Jens David Breivik, übersiedelten 1979, einige Monate nach der Geburt ihres Sohnes, nach London. Sein Vater trat dort an der norwegischen Botschaft eine Stelle an. 1980 trennten sich seine Eltern; die Ehe wurde am 17. Januar 1983 formell geschieden. Breiviks Mutter zog mit ihm und einer sechs Jahre älteren Halbschwester in eine Mietwohnung im Osloer Westen. Seinen Vater, der später als Ministerialrat der norwegischen OECD-Delegation in Paris angehörte, sah Breivik nach eigenen Angaben jährlich.

1981 wandte sich Breiviks Mutter an ein Sozialbüro in Oslo und beantragte für ihren Jungen einen Platz in einem kommunalen Wochenendheim, da er „anstrengend“ sei und sie Entlastung benötige. Dem Antrag wurde stattgegeben, doch kurz darauf nahm die Mutter ihren Sohn auch an den Wochenenden wieder zu sich. Zwei Jahre später, Anfang 1983, suchte sie eine Familienberatungsstelle auf und bat erneut um Hilfe. Daraufhin wurde veranlasst, dass die Familie (Wenche Behring und ihre beiden Kinder) für einige Wochen zur Beobachtung in das Staatliche Zentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie (SSBU) eingewiesen wurde. In einem Brief des Kinderpsychiaters Per Olav Næss an die Kinderschutzbehörde heißt es, dass Anders Breivik Schwierigkeiten habe, „sich emotional auszudrücken”, er „passiv im Spiel“ sei und ihm „Elemente der Lust und der Freude“ fast vollständig fehlten. Næss empfahl der Behörde, den Jungen in einem „stabilen Pflegeheim“ unterzubringen. Entsprechende Beschlüsse ergingen jedoch nicht.

Aufgrund dieser Einschätzungen beantragte der in Frankreich lebende Vater das Sorgerecht für den Jungen. Das zuständige Gericht verfügte, dass die Familienverhältnisse genauer zu untersuchen seien und dass das Kind während dieser Zeit bei seiner Mutter wohnen bleiben solle. Jens Breivik zog seinen Sorgerechtsantrag daraufhin zurück. Der Psychiater Per Olav Næss reagierte besorgt auf diese Entwicklung. In einem zweiten Brief an die Kinderschutzbehörde vom 28. Oktober 1983 schrieb er: „Wir halten an unserer ursprünglichen Konklusion fest, dass Anders so vernachlässigt wird, dass die Gefahr besteht, dass sich eine schwere psychische Störung entwickelt.“ Nachdem der Vater sein Gesuch zurückgezogen habe, solle sich die Kinderschutzbehörde um den Fall kümmern. Die Behörde befürwortete Anfang 1984 die Einsetzung eines Erziehungsbeistands, den die Mutter jedoch ablehnte und das Jugendgericht schließlich auch nicht anordnete.

aus: wikipedia, Anders Behring Breivik