Wann kommt er denn, frage ich. Du kennst doch deinen Vater, sagt meine Mutter und lächelt. Kommt er bald, frage ich. Ja bald, sagt sie. Wann bald, frage ich. Jetzt löchere mich doch nicht. Ich weiß doch auch nicht, was er solange treibt und wann er kommt. Er sollte doch schon längst hier sein, sagt sie und schaut aus dem Fenster, weil es Sonntag ist und wir auf meinen Vater warten. Wann kommt er denn bestimmt, frage ich. Sie lacht und schüttelt ihren Kopf. Ich weiß es nicht. Sie findet lustig, dass ich auf ihn warte und ihn nicht erwarten kann. Die Angst, er kommt gar nicht. Er kommt doch gleich. Das höre ich schon ewig in mir, von ihr. Ich schwitze bis er kommt, dann ist mir kalt, als er die Türe öffnet, und ich erschrecke, weil er sich nicht freut, wie ich erwartet habe, ihn zu sehen. So scheu ist er, mein Vater. Er schaut mich an, ich stehe da, er schaut mich wieder an, er steht nur da und lächelt wie ein fremder Mann. Er freut sich nicht, das sehe ich. Er freut sich nicht, jetzt hier bei mir zu sein, bei mir im Krankenzimmer. Er wäre gern woanders. Er mag nicht hier sein, merke ich. Du hast dir den Anzug genommen, sagt meine Mutter. Lass dich mal anschauen, wie du ohne mich zurechtkommst, sagt sie und schaut Vater von oben nach unten und wieder von unten nach oben an. Sie lächelt und verzieht etwas den Mund. Du scheinst mich nicht vermisst zu haben, sagt sie. Vater geht zu ihr näher hin und zwickt sie in die Backe, dazu schaut er, als wollte er ihr im nächsten Moment weh tun. Ich schaue weg, wenn er sie zwickt. Ich mag das Zwicken nicht, weil es weh tut. Was habt ihr denn die ganze Zeit getrieben, fragt er und schaut aus dem Fenster. Wir waren ihm Garten, sage ich, und Vater lacht. Ich würde ihm gern meinen Arm hinhalten und zeigen, dass ich den Fleck nicht habe, dass da nichts ist auf meiner Hand, meinem Arm, aber er will das sicher nicht wissen. Deswegen ist er nicht hergekommen. Wo bist du denn beim Essen gewesen, du siehst nicht verhungert aus, sagt meine Mutter. Beim Paulaner und abends habe ich mir Wurst gemacht, sagt er. Wie bist du denn her gekommen, fragt die Mutter. Mit dem Hatzl Gust. Der sitzt derweil in der Wirtschaft, die seine Brauerei früher belieferte. Er sitzt und wartet dort auf mich, sagt er. Wie lange kannst du denn noch bleiben, fragt sie, enttäuscht, das höre ich und sehe ich. Enttäuscht ist meine Mutter. Sie zeigt das, wie sie schaut, mit Mund und Nase. Er lächelt und zeigt aus dem Fenster. Einen schönen Blick habt ihr hier. Direkt in die Natur hinaus. Hier könnte es mir auch gefallen, sagt er. Der Blick ist schön. Ich kann den Himmel direkt sehen, das Blaue und die Wolken, was darunter ist kann ich nicht sehen. Soll ich dich mal hochheben, dass du aus dem Fenster sehen kannst, fragt mein Vater. Ja, sage ich. Er hebt mich hoch und hält mich, dass ich sehe, was sie sehen können. Da ist der Wald und Wiesen. Nichts sonst. Ich weiß nicht, was ein schöner Ausblick ist. Ein Wald und Wiesen ist nicht schön. Ich will den Wald und diese Wiesen nicht. Der schöne Wald, siehst du, sagt er. Saftige Wiesen, richtig saftige Wiesen. Das wird schon wieder, sagt er. Ich möchte weinen, aber das tue ich nicht. Ich will ihn nicht verschrecken und verjagen. Ich sage nichts und schaue aus dem Fenster. Dann sagt er, du wirst mir jetzt zu schwer, und setzt mich wieder ab. Das sagt er auch schon immer, dass ich ihm nun zu schwer werde. Wir könnten in den Garten gehen, sagt sie und schaut ihn an. Sie wissen nicht, was sie jetzt machen sollen. Ich weiß auch nicht, was ich noch tun kann, dass er bleibt. Ich weiß es nicht. Wie gefällt es dir denn hier, fragt er mich auf dem Weg die Treppen hinunter. Du siehst gut aus, sagt er und begrüßt eine Frau, die er kennt. Das ist ja eine Überraschung, sagt die Frau, sie hier zu sehen. Ja, ich besuche meinen Neffen, sagt sie. Den Neffen ja, den kenne ich gar nicht. Sie sagt dann einen Namen. Und das ist ihre Schwester, sagt mein Vater. Ja, einen schönen Tag. Wir gehen wieder weiter. Wusste gar nicht, dass die eine Schwester hat, sagt Mutter, und ich habe jetzt überhaupt kein Gesicht vor Augen, sagt sie. Du kennst sie aus der Bäckerei, sie geht an einem Stock. Ach die, wie hat denn die noch einen Mann gefunden, sagt sie und lächelt Vater zu. Wir gehen in den Garten. Da ist es aber schön, sagt er. Das ist aber ein schöner Garten. Mir gefällt der Garten nicht. Das sage ich aber nicht. Ich würde viel lieber an der Hand von Vater durch die Stadt gehen. Ich würde sogar lieber hinfallen und sogar lieber eine Ohrfeige bekommen, als hier zu sein. Das sage ich aber nicht, weil sie mich dann sicher schimpfen, dass ich so undankbar bin, weil sich alle nur um mich kümmern, und ich das nicht zu schätzen wisse, würdigen sagt Vater dazu. Ich hoffe, du verstehst, dass deine Mutter nur wegen dir hier ist, sagt er und schaut mich streng an. Die Mutter schaut jetzt zweierlei, sie schaut, als würde sie gleich wütend sein und schaut auch etwas traurig drein. Sie schaut jetzt unentschieden. Ich weiß nicht, wie sie schaut und etwas stimmt nicht mit ihrem Gesicht. Sie schaut, als würde sie gern einmal weinen. Sie hat noch nie geweint. Sie tut das nicht. Ein Mann weint sowieso nicht, weiß ich schon von Vater. Was sollen wir nur tun. Wir könnten uns auf diese Bank dorthin noch setzen, sagt meine Mutter. Wir sind die einzigen im Garten. Wo sind die anderen, fragt Vater. Weiß auch nicht, sagt Mutter. Ich weiß nicht, wo die alle heute sind. Sonst ist es hier voll. Bei diesem schönen Wetter, sagt sie. Vielleicht sind sie in den Bergen, sagt Vater und lacht. Vielleicht auch am Bodensee, sagt Mutter. Ich bin hier der Böse, der alles, was schön wäre, nur verhindert. Weil ich krank bin. Am liebsten würde ich weglaufen und schreien, aber das kann ich nicht. Dann würde Vater gleich wieder gehen und Mutter ununterbrochen schimpfen, dass ich ihn vertrieben habe. Recht gesprächig bist du nicht, sagt er. Ich bin nicht positiv, sage ich und halte ihm meine Hand hin. Das weiß ich schon, sagt er und sieht mich an und nicht meine Hand. Woher, möchte ich fragen, aber traue mich nicht. Vater will meine Hand nicht anschauen, auch nicht die Stelle, wo sie mir den Stempel hingemacht haben. Das nützt doch auch nichts, wenn wir hier Trübsal blasen, sagt er. Komm lass uns ein bisschen herum gehen, sagt er. Vater wird nervös. Mutter weiß das und sie gibt mir die Schuld daran, weil ich ihn mit meiner Hand an etwas erinnert habe. Was hat sich denn sonst so getan, fragt sie. Vater spricht jetzt über seine Arbeit und über seine Mitarbeiter. Er spricht, als würde er sie alle hassen, weil es alles Deppen sind. Weil man niemandem vertrauen kann, sagt er. Vater ist mir unverständlich, noch mehr als die Mutter, weil er immer lacht, wenn er Schreckliches erzählt, lacht er über diese Menschen, die ich schon mal gesehen habe, die ich schon oft gesehen habe, die er jeden Tag sieht. Ich gehe hinter ihnen her, manchmal dreht sich Vater um und lächelt mich dabei an, dann redet er wieder weiter. Ich weiß nicht, wie ich heute mit dem Vater gehen soll. Ich kenne seine Schritte nicht, wie er so geht und zwischendurch dann stehen bleibt. Er ist auch hier ein anderer. Er ist an jedem Ort ein Anderer. Er redet auch an jedem Ort was anderes. So wie er schaut und sich benimmt, ist er auch hier ein anderer. Er ist wie jeden Sonntag gekleidet, mit Anzug und Krawatte und sauberen Schuhen, aber trotzdem ist er wieder ein Anderer. Er macht nicht dort weiter, wo wir schon einmal waren. Er hört überhaupt nicht zu, wenn ich was sage. Er lächelt über mich, als wäre alles lustig oder blöde. Du bist ein Spaßvogel, hat er gesagt. Ein Spaßvogel. Ein Vogel also. Jetzt muss ich aber wieder gehen, sagt er plötzlich und ich bleibe stehen. Noch in das Zimmer kommen, sage ich. Komm einmal mit nach oben, sage ich. Er schaut mich an, dann meine Mutter und dann sagt er gut, doch nur ganz kurz, ich kann den Hatzl Gust doch nicht so lange warten lassen. Wir gehen jetzt die Stufen wieder hoch. Wir gehen in mein Zimmer. Wir stehen da. Ich sage, zieh doch einmal deine Schuhe aus, so wie du es zuhause machst. Er schaut und meine Mutter schüttelt ihre Schultern. Mach es, mach es doch, ihm zuliebe, sagt sie und ich sehe wie sie wartet, was passiert. Der Vater zieht die Schuhe aus und stellt sie vor sich hin. Ich gehe zu den Schuhen hin und nehme einen Schuh und sage, so jetzt dreh dich um, und Vater dreht sich um, und ich geh zu dem Bett und lege seinen Schuh unter mein Kopfkissen. So jetzt kannst du nicht mehr gehen. Der Vater dreht sich um und weiß nicht, was er sagen soll. Er schaut mich verdutzt an und weiß nicht, was er sagen soll. Er ist verwirrt. Er kann jetzt nicht mehr gehen, denke ich. Jetzt muss auch er hier bleiben. Jetzt gib mir meinen Schuh, sagt er. Ich sage nichts und lächle ihn nur an. Jetzt gib schon her, wo hast du meinen Schuh, sagt er. Die Mutter schüttelt ihren Kopf, sie hat nicht hingesehen. Sie weiß nicht, wo ich ihn verstecke. Jetzt gib schon deinem Vater seinen Schuh zurück, sagt meine Mutter. Ich hebe mein Kopfkissen hoch und Vater lacht, und Mutter wird jetzt ärgerlich, das ganze Bett ist dreckig jetzt, sagt sie und rümpft die Nase. Er holt sich seinen Schuh. Er zieht die Schuhe an, ich bleibe wo ich stehe, stehen. Dann steht er da und sagt, beim nächsten Mal wirst du sicher wieder zu Hause sein. Ich muss jetzt wirklich gehen. Er geht. Der Vater muss jetzt gehen. Jetzt schau nicht gar so traurig, sagt die Mutter. Ich schaue gar nicht traurig, sage ich. Bist du nicht traurig, dass dein Vater wieder geht, fragt sie. Nein, sage ich. Vater lacht. Er ist froh, dass er weg gehen kann. Wie immer. Vater geht immer weg und lacht. Wenn er weg geht, ist er fröhlich. Er sieht, wie Mutter schaut, dass sie jetzt richtig neidisch wird auf ihn und dass er geht und sie hier bleiben muss, bei mir, in einem Zimmer, dass sie hier bleiben muss. Ich sehe alles, immer schon, ich muss die Blicke meiner Eltern immer schon verstehen. Ich weiß doch immer schon, wie sie sich gegenseitig weh tun. Ich bin der, der sie verstehen muss. Ich schaue beide an, abwechselnd ihre Mienen. Sie schauen sich jetzt an, und Vater sagt, ich muss heute schließlich noch was arbeiten. Was musst du heute denn noch tun, sagt sie, mehr zweifelnd als wirklich hinterfragend. Ich muss noch einen Sarg ausstatten, sagt er. Ich muss tatsächlich heute noch einen Sarg für morgen fertig machen. Gestorben wird schließlich auch an Sonntagen. Darauf fällt Mutter nichts mehr ein. Der Sarg und mein Herr Vater. Ich schaue beide an und möchte eigentlich wegschauen.
Ich lege mich ins Bett. Ich soll doch viel ausruhen. Die Mutter schüttelt das Kopfkissen und schaut dann wieder vorwurfsvoll. Ich drehe meinen Kopf zur Seite und schaue meinen Vater an, das was ich von ihm kenne, das alles was ich von ihm weiß. Mein Vater ist der Sargnagel. Ich sehe sein Gesicht in dieser Wand, und huste jetzt das erste Mal ganz laut. Jetzt da er weg ist, huste ich ihn aus. Ich huste meinen Vater aus. Der Vater macht mich krank. Dass ich ihn zerschneiden mag, dass ich ihn zerhacken möchte, wie das Holz bei meinem Onkel, wenn ich sehe, wie er kommt, wieder nur mit seinem Lächeln, wie er immer näher kommt und mir in die Augen schaut und dann einfach zuschlägt, möchte ich ihn töten, möchte heute seine Arme brechen und die Hände platt drücken, möchte seinen Körper in die Presse legen, in der Werkstatt, in die große Furnierpresse und ihn einfach platt pressen, bis er nur mehr Blut und Matsch ist. Meinen Vater möchte ich zerdrücken, bis sein Auge aus ihm springt, aus ihm springen soll es, dann zertrete ich sein Auge. Alle Lichtlein gehen für ihn aus, alle Lichtlein, alle. Dass kein Licht mehr für ihn übrig bleibt. Vater soll in Dunkelheit verschwinden. Weg mit dir, böser Mensch. Und den Sarg soll niemand tragen, niemand soll sich ihn anschauen, keine Menschen sollen Vater noch betrachten, diesen alten Mann, nur die Hand soll aus dem Sarg noch ragen, eine, mit den Fingern, andre Finger sind geschnitten worden, mit der Säge, Säge, Kreissäge, und die Finger dann zerhackt, dann zu Hobelspänen noch und zu Sägemehl verarbeitet. Alles soll verwendet werden, wie der Vater immer sagt, nichts soll weggeschmissen werden. Pass nur auf, dass nichts weggeschmissen wird. Kinder lachen, wie der Vater tot liegt in der Grube, lachen über seinem Grab, alle lachen in die Grube, singen sogar Lieder, von den blöden Menschen, von der blöden Rasse, blöde Menschen werden keine Brüder, fallen sich dann an und ertrinken in der Brühe, alle Brüder meines Vaters, alle die ihn kannten, sollen auch verrecken jetzt, sollen in die Grube scheißen und dann auch verrecken dort, alle werden von mir zugeschüttet und dann noch einmal, noch mal zuschütten, will den Vater endlich loswerden, mit den gleich gesinnten Brüdern und ihrem beschissenen Gedankengut. Jede Faser seines Lebens will ich nun zerreiben, aufzureiben wie die Teermaschinen, aufzureiben und zu häckseln, nichts mehr soll an ihn erinnern, nichts mehr von dem Körper meines Vaters übrig bleiben. Lachen sollen alle Handwerker über diesen Vater, der mir keine Wintersocken kauft. Mit dem Auto fahr ich ihn zusammen, fahr ihn gegen einen Bock, dann erst trete ich sein Knie. Ich quetsch seine Hände ein und dann häcksle ich sein Bein. Seine Stümpfe koche ich und dann brenne ich die Wunde zu, nur nicht ganz, feiner Blutregen geht auf meinen Vater nieder, über alle Wände, sind aus Blei, niemand wird uns hierhin folgen, niemand wird uns sehen können. Vater wird von mir geröntgt, dass er auch mal weiß, wie das ist, wenn ich zwischen Wänden stehe, mit der kalten Brust am Eisen. Keine Ahnung hat das Schwein, wie viel sie so töteten. Ich hab später das gesehen, diese Bilder von dem Krieg, keine Ahnung hat das Schwein, wenn er sagt, dass noch Fleisch an ihren Armen ist, dass sie noch was hungern hätten können, dieser Vater, dieser Schinder vor dem Herrn, Adolf Hitler ist sein Name. Mochte Vater gern. Hitler mochte er sehr gern. Hitler war Gefreiter, mochte mein Herr Vater, mochte alles was gefallen ist, was sich auch verletzte, was sich schinden lassen hatte müssen, hat es uns geschadet, überhaupt nicht, sagt mein Vater. Dafür köpfe ich den Herrn, hau ihm seinen Schädel runter, spiele Fußball mit dem Kopf, schlage Beulen in die Augen, hau den Scheißkopf krumm und blau. Allerletzter Tatbestand. An die Reihe muss noch einmal kommen, dass er mich beleidigt hat, vor den andern Kindern. Immer hat er mich geschimpft, jetzt ist Schluss damit. Du kommst auch noch an die Reihe, hat er immer wieder drauf gelegt, auf die Angst und meine Wut, du kommst auch noch an die Reihe, und kein Schuss Pulver sind sie wert, alle deine Freunde. Weil sie mir nie halfen, als er hinter mir, immer hinter mir auftauchte und mir in den Hals dann zwickte und im Weggehen noch eine mitgab. Niemand sagte etwas gegen ihn und sein ungeheuerliches Tun. Schimpf und Schande auf den Vater, Schimpf und Schande für den Herrn. Ich mach nun das gleiche mit dem Vater, alles was er mir einst tat, mache ich mit ihm, nicht mit einem Prügelknaben, nicht mit einem Doppelgänger. Vater ist mein alter Vater, ist mein jüngster Feind, Vater ist mein Kinderschänder, den ich jetzt begrabe, meinen Vater in das Grab, diesen Vater, der mich einst wie Dreck behandelte, diesen hau ich in den Sarg, gebe keine Ruhe. Diesen Sarg sollen nun die Würmer haben, seinen Körper sollen sie verschmähen, Würmer sollen nicht den Vater fressen. Vater soll dort mit sich sein, Vater soll dort unten wohnen, immer nur allein, immer nur allein mit seinen Schmerzen, soll er dort alleine wohnen, mit der Selbstzufriedenheit. Vater soll auch dort zufrieden sein, nur mit sich in seinem Bau, nur mit sich in einem Sarg. Vater, Vater ist gewesen, Vater ist in seinem Haus. Vater, Vater war das Ungeheuer, jetzt für sich in seinem Sarg. Vater war mein Ungeheuer, war mein ungeheuerlichster Feind, der mich nur zum Lachen fand, wenn ich weinte und verzweifelt war. Vater war mein böser Freund. Böse war mein Vater immer. Böse, blind und endlich tot. Endlich ist der Vater tot. Vogelscheuchen sind auf vielen Feldern. Vater ist dort nicht zu Haus. Vater hasste Vögel und auch Felder. Hunde, Katzen jedes Tier. Vater hasste alle Menschen. Särge sind jetzt sein Zuhaus. Wenn die Särge auch verwesen, wird der Vater ewig sein, wird der eine Sarg gewesen sein, wird der nächste Sarg gebaut. Ich bau seine Särge. Vater soll für mich erhalten bleiben. In der Erde ohne Sonne, ohne Töne und kein Tier, ohne jedes Leben. Dort soll Vater mit den Särgen sein, die um ihn verrotten, und doch soll das keinen zu ihm bringen. Diese Qualen sollen sein. Vater soll sich endlich selber sehen lernen in der größten Einsamkeit, in der Enge seines Herzens und der Weite seines Grabs. Er soll keine Lösung finden, keinerlei Verzeihung haben. Vater soll alleine sein. Ohne Selbstmitleid, Vater soll die Qualen alle fühlen, ohne einen anderen. Vater soll die Schmerzen haben, ohne ein Gesicht, ohne überhaupt zu wissen, dass es Bilder gibt, dass es Menschen einmal gab, dass es Bilder dafür gab, dass es Menschen gibt, die sich mit den andern fühlen. Vater ist der letzte Tod. Vater ist der Tod persönlich, niemals soll es einen andern wieder geben. Tod für sich allein. Vater soll für sich verstorben, immer nur sich selbst belächelnd, ewig sterblich sein. Vater soll unsterblich sein, ein Schmerz an den anderen, immer nur sich häufen, und nie soll der Haufen größer, kleiner werden. Nichts soll ihn verringern. Vater soll nicht sterben und nicht leben können. Vater, Vater, immerfort. Ist sich selbst der Nächste. Dann soll Vater sich selbst fragen: gibt es eine Auferstehung. Vater will jetzt auferstehen. Vater will sich selbst jetzt auferstehen lassen, Vater will jetzt doch was sehen, will jetzt unter Menschen sein. Nein, sag ich, sag ich zu der Erde, nicht zu meinem Vater. Erde sag ich, bleib einfach liegen, so als sei doch nichts gewesen. So, als wäre nichts gewesen. Nichts ist hier gewesen, nichts war hier. Nichts hast du gehört, nichts ist dir geschehen. Erde bleib doch einfach liegen. Erde bleibt dann einfach liegen. Erde lässt es einfach sein.
Und was steht der tote Vater jetzt noch da? Jetzt sind wir wieder gut, sagt er. Ich schaue ihn nicht an. Tu ihm doch den Gefallen, sagt die Stimme meiner Mutter. Ich sage nichts dazu. Er hat es doch nicht so gemeint, sagt sie. Sie schaut Vater an. Ich weiß, dass sie das tut. Ich höre das am Klang, am immer nur verzeihen müssen wollen ihrer Stimme. Jetzt seid halt wieder gut, sagt sie.
Der Teufel mit der weißen Weste
Entweder hast du Schmerzen, die so stark sind, dass du aufhörst; dann musst du aufhören. Oder du sagst, meine Schmerzen sind gar nicht so stark und schluckst die Tränen runter und machst mit dem Training weiter. Ich dränge dich zu nichts. Du kannst ganz alleine selbst entscheiden. Ich dränge dich zu nichts, sagt er und schaut mich über Jahrzehnte hin weg an, mit seiner sanften Gleichgültigkeit, die mich für alles selbst verantwortlich macht, für alles, was passiert und was er tut, wenn ich nicht seinen Wünschen folge. Da ist der Teufel, der sich versteckt, den kein Kind sehen kann, der Teufel mit der weißen Weste, der sagt, dass er nichts will. Der Teufel, der nur mit Kindern spielt, der weiß, was für sie gut ist und was nicht. Der Teufel, der nur mit Kindern spielen kann, weil er die Kinder dazu braucht, die ihm gehorchen wollen, weil sie sonst ohne ihn in ihren Löchern, Häusern, Zimmern, Verließen, Kinderzimmern und Gefängnissen, bei ihren Müttern und allein, und angekettet an ein Bett zuhause bleiben müssen. Mein Vater fragt jetzt mich, ob ich die Schmerzen noch ertrage, ob ich nach Hause mag, nach Hause in die Gruft, nach Hause zu den toten Seelen. Der Teufel, der als Retter auftaucht, und immer dann weg geht, wenn ich sein Spiel, nun älter werdend, hinterfrage. Solange du gehorsam bist, solange werde ich dich retten, solange du dir weh tun lässt, solange werde ich dich retten. Solange du mir meine Schinderei vergibst, solange werde ich da sein und wiederkommen. Solange du nur tust, was ich dir sage, solange werde ich dich retten, mit der Idee der Wiederkehr, dass ich zu dir auch wieder komme. Solange bist du nicht allein.
Das hab ich gedacht, in mir, in allen meinen Räumen, an allen meinen Zufluchtsorten. Dass ich nicht wütend sein darf, niemals wieder, damit der Vater bei mir bleibt. Ich habe mir das eingeredet und dann auch so geglaubt, dass er mein Retter immer war, dass er doch immer irgendwann gekommen ist und mich gerettet hat.
Das kleine Kind im Krankenhaus jedoch, das kannte eine andere Geschichte, es kannte seine Wahrheit ganz genau.
Ich wusste, dass ich keinen Vater hatte, der zu mir hält in meiner Not. Ich muss dem Vater nicht vergeben und verzeihen. Auch meine Wut hat ihn nicht angerührt, und hat ihm nicht geschadet. Mein Vater war nicht zu berühren. Weder mit Zärtlichkeit, noch Wut. Er war selbst unverzeihlich. Und diese seine Unverzeihlichkeit, vollkommen gleichgültig, dem gegenüber, was ich fühle, hat mich am meisten irritiert und auch solange nur verwirrt. Wie kann jemand im Grunde so alleine sein, so furchtbar grausam und allein und nie daran was ändern wollen. Wie kann jemand nur nichts daran je ändern wollen. Ich habe darauf eine Antwort, die ich als Kind im Krankenhaus schon wusste, die ich jedoch vergessen hatte. Ich habe mich sehr angestrengt um diese Antwort zu vergessen. Egal, was ich auch tue, sage, fühle, bin, der Vater spürt doch nichts dabei. Für mich spürt mein Herr Vater nichts. Mein Kinderleid blieb selbst in seiner Nähe vollkommen unerhört. Er sah nicht und er hörte nicht, er war vollkommen blind für mich, für meine Not und Existenz. Die Wut in mir, die kann daran nichts mehr ändern, doch zeigt sie mir, wie wirklich grausam, Furcht erregend, die Blindheit meines Vaters für mich war, wie sehr sie mir geschadet hat. Wie sehr sie mich, für mich verblendet hat.
Ich wartete auf ein Gefühl, das mir die Liebe für mich bringen würde. Dass es die Wut ist, die das tut, die grenzenlose Kinderwut, die alles mit sich reißt, was Schmerzen einem Kind bereiten kann, dass es die Wut selbst ist, die Kinderliebe wieder öffnet, das weiß ich erst, seitdem die Wut sich zeigte. Ich habe keine Angst vor meiner Wut. Sie konnte meinem Vater auch nichts anhaben. Sie konnte meinen toten Vater auch nicht ändern. Sie änderte nur mich, mich und das Kind, das einsam in dem Bett da lag und gegen eine Wand nur schaute. Das wusste jetzt, dass nichts mit ihm geschieht, wenn ich mich maßlos über meine Eltern ärgerte, wenn ich die Eltern auch verfluchte, wenn ich niemandem je vergeben wollte, wenn ich mich fühlte, wie ich wollte. Ich weiß erst jetzt, dass ein Gefühl für mich nicht Schaden anrichtet, dass nichts, was ich je fühlen werde, schadet. Gefühle können gar nicht töten, sich selbst nicht und auch keinen anderen. Gefühle können niemand schaden. Solange ich vergebe, kann ich die Wut nicht fühlen. Solange ich vergeben muss, darf ich nicht lieben.
Es war tatsächlich eine Schweigemauer, von der Alice Miller immer wieder sprach, die mich vor mir verbarg, die in mir war, nicht außerhalb. Es ist die Mauer, die ich in mir als kleines Kind errichtete, um mich nicht mehr zu hören, um mich nicht mehr zu hören, die Stimme meiner Wut und meiner Art Gefühl für mich. Um nicht noch mehr, nur ungehört, nur meine Stimme ungehört, von allen unbemerkt, mit dem Versuch mich selbst zu retten und somit auch zu lieben, nur abermals, nur ein ums andre Mal zu scheitern müssen. Ich konnte ihre Blindheit gegen mich, nicht mehr ertragen. Sie sagten mir, gerade ohne das zu sagen, sie zeigten mir, dass ich nie Freunde haben würde, nie Nähe haben würde, nie Nähe kennen lernen würde, wenn ich mich nicht von meiner Mutter auch alleine lassen ließe, wenn ich mich nicht von meinem Vater weiter, immer weiter schinden ließe. Wenn ich mich nicht von allen weiter so behandeln lassen würde. Wenn ich nicht still sein werde, muss ich noch mehr an Einsamkeit erleiden. Wenn ich verschweige, was und wie mir was geschieht, dann werden sich die Eltern weiter um mich kümmern. Nur wenn ich schweigen werde, wird jemand bei mir sein und zu mir kommen.
Sie wollen meine Hand nicht sehen, sie wollen weder eine Färbung, noch keine Färbung sehen. Sie wollen gar nichts von mir sehen. Du sprichst erst, wenn dich jemand fragt! Nicht eher. Verstehst du mich! Ich muss das Schweigen lernen, sonst werde ich noch mehr alleine sein. Sag nie, wie es dir geht. Sag nie mehr, was dir fehlt, ansonsten bist du ganz allein. Du redest erst, wenn wir dich fragen. Du hörst gefälligst zu, wenn jemand mit dir spricht. Verschweige deinen Schmerz, verschweige deine Freude, verschweige alles, was dich bewegt, was in dir ist und sich auch äußern will. Verschweige alles, was du fühlst. Verschweige jede Wut auf jeden Schmerz. Hör mir gefälligst zu, wenn ich mit dir rede. Verschweige immer gut die Wut, denn die macht deine Not für dich und alle anderen, für ihre blinde Wut besonders kenntlich. Denn deine Wut löst ihre Wut mit aus, dann strafen sie besonders gern und du bist mehr als nichts. Dann bist du nicht mehr nur allein, dann bist du aufgebahrt und allen Blicken ausgesetzt, dann wirst du vorgeführt und ausgelacht, dann wirst du auch ein Clown, der seine Schmerzensmaske trägt und über den die Menschen alle trotzdem lachen. Sie lachen über dich, auch wenn die Tränen an dir runter laufen, auch wenn dein Mund vor Wut nur bebt, auch wenn die Augen von der Angst verschattet sind, wenn deine Haare nur so abstehen, wenn alles an dir zittert, dann lachen sie noch über dich, dann lachten sie mich aus. Als wäre ich ein Clown. Sie amüsierten sich doch über meine Leiden, als wären die was Lustiges, was Heiteres, als könnte man sich über Leiden freuen. Schau wie er seine Hand herzeigt! Schau, wie du immer wieder deine Hand herzeigtest. Schau immer wieder hast du so gemacht, sagt sie und lächelt stets dabei. Sie hebt die Hand, wie zur Vergebung. Ich musste um Vergebung bitten, ich kleines Kind, vor meinen Eltern, dass ich krank war, krank wurde, krank werden konnte, und einsam war und so allein. Ich musste dafür um Vergebung bitten, dass sie mich nicht ganz alleine ließen. Ich musste um Vergebung bitten, wenn er mich schlug. Ich musste für die Schmerzen, die sie mir zufügten, bei ihnen um Vergebung bitten. Ich hatte keine Wahl. Ich musste um Vergebung bitten lernen.
Die Wut hebt diese Lehre auf.
Sie reißt die Schweigemauer ein.
Für allemal.
Für alle unerhörten Kinder.
© 2016 Hugo Rupp - all rights reserved. Proudly powered by WordPress