Texte von Hugo Rupp

Vom Hörensagen

 

Was ich vom ersten Hörensagen lernte, das musste ich erleben. Was ich vom Schmecken her erkannte, das musste ich auch mögen. Wer mich vom Schreien her erkannte, der legte mich gleich ab und schloss die Tür. Wer mich vom Schreien her erkannte, der ließ mich gleich vom ersten Tag an auch allein. Sie mochte meine Laute nicht, wenn ich mich nach ihr sehnte. Sie mochte meine Tränen nicht und auch nicht meine wehen Laute. Sie mochte mich nicht leiden sehen. Sie mochte mich nicht leiden hören, sie sagte auch kein Wort, und ließ mich weiter schreien. Vom Hörensagen bin ich nicht aufgewacht. Ich bin als Kind von meinem Hunger wach geworden, den ich verlernen musste. Was sie mich alle lehrten, war meinen Hunger zu verleugnen, niemals den eignen Hungerwunsch mir auch zu merken, den Hunger zu verstecken, für mich nur zu behalten, mit allem was dazu gehört, mit allen Tränen, meiner Wut und allem anderen.

Wer mein Gefühl nicht sehen will, der wird es mir verbieten, wer meine Wut nicht mal ertragen kann, der wird sie mir verbieten. Wer mich vom Hörensagen nicht einmal will, mich nicht ertragen kann, wer meine Wut nur untertreibt, mit Angst mich hier zu lassen, und ganz allein in einem kleinen Raum, der bringt mir bei, was Einsamkeit beherrscht, die Angst vor seinen Eltern, besonders vor der eignen Mutter.

Sie mochte meine Laute nicht, wenn ich sie stets vermisste. Ich sollte aufhören, sie zu berühren, zu lieben und zu fühlen und auch nur zu betasten. Sie lehrte mich allein zu sein und ohne einen Muckser. Sie lehrte mich allein zu sein und sie nicht zu behelligen. Ich sollte meine Mutter nicht gebrauchen. Sie lehrte mich, ihr nicht mehr nachzulaufen, und nie mehr wieder auch zu weinen. Sie lehrte mich mein Weinen, nach ihr aufzugeben. Mein Liebesleben einzustellen, sie lehrte mich mein Laufen, ihr hinterher, auch aufzugeben, und ihr nicht ewig hinterher zu schauen.

Jetzt ist aber Schluss, du wirst doch wohl noch einen Moment ohne mich zurechtkommen. Jetzt sei doch endlich still, sonst dreh ich dir den Hals noch um, ich weiß nicht, was ich hier noch machen soll, wenn dieses Kind nicht endlich seine Klappe hält. Ich weiß nicht, was ich mit dir noch anstellen soll.

Sie lehrte mich in Stille still zu halten und nicht um Hilfe nachzufragen.

Du bist doch schon ein großes Kind.

Sie lehrte mich, nie mehr ihr hinterherzulaufen in aller Öffentlichkeit, ihr Anhängsel zu sein. Sie mochte nicht, dass ich anhänglich war.

Was ziehst du denn immer an mir so.

Ich sollte mein Gefühl der Liebe und der Anhänglichkeit verleugnen, in mir verstecken und verbergen. Ein tiefer Abgrund ist mein Fühlen, das ich von meiner Mutter einst empfangen und in mir aufgehoben habe, und das ich auch für sie empfinde. Jetzt hau doch ab, jetzt geh doch weg, jetzt schlaf doch endlich ein. Lass mich auch endlich mal allein. Verleugnen soll ich mein Gefühl und nur mehr auf sie hören, das was sie sagt und mir bedeutet, sie so zu lieben, wie sie will und niemals anders. Sie mochte meine Liebe nicht. Ich musste ihrer Stimme folgen und ihrem Blick, wenn ich in meiner Art von Einsamkeit nicht sterben wollte. Sie mochte meine Wut nicht haben. Mir wird vom Hörensagen schlecht.

Erstickte Schreie, ersticken habe ich gelernt, die Schreie und das Leiden zu ersticken, den Schmerz und ganz besonders auch die Wut danach, vollkommen zu ersticken, das Leben und die Freude auch zu meiden. Sie schonen.

Pscht! Jetzt ist aber Schluss!

Sie mochte mich nicht leiden, weil sie mich nicht leidend sehen und ertragen konnte. Sie mochte meine Wut nicht hören und nicht sehen. Sie holte dann für mich die Angst hervor.

Wenn du jetzt nicht gleich still bist, dann wird dich der Teufel holen und auffressen. Er wird dich mitnehmen und dann auffressen. Wenn du nicht gleich aufhörst mit deiner ewigen Schreierei. Dann geh ich weg und komme nie mehr wieder. Und schlaf jetzt endlich ein, sonst kommt der Schwarze Mann! Dann wirst du sehen, was passiert, wenn man nicht hören will.

Dem Kind vergeht sein Hören und sein Sehen jetzt. Es muss ja glauben, was ihm beschrieben wird und eingeredet. Ein Kind soll alles glauben, nur nicht die Wut, die in ihm steckt. Die darf das Kind nicht haben, weil sie die Wahrheit kennt. Weil sie schon früher da gewesen ist. Vor jeder ersten Angst, ist immer Wut gewesen, als Schutz und Widerstand vor Leid und Lüge. Sie mochten nicht, was in dir steckt, was aus dir will, und sich bemerkbar macht. Sie mochten deinen Mut nicht haben, nicht hören und nicht sehen.

Wer nicht hören will muss fühlen.

Sie drohen dir mit deinem Gefühl und dass du leiden musst, wenn du nicht glaubst und nicht gehorchst, was sie dir sagen, was du von ihnen hörst und lernen sollst. Sie lehrten uns, Gefühle nicht zu zeigen und schließlich nicht zu haben. So lernten wir das Falsche und ihre Lügen, Lügen strafen. Wir konnten nichts dafür.

Nun hör doch endlich auf zu weinen, das hilft doch alles nichts. Das hilft dir nicht. Das nützt doch nichts. Du wirst damit bei mir doch nichts erreichen.

Hörst du den Sinn, das Falsche jetzt in ihren Worten, was dich verzweifelt hat und stumm gemacht?