Texte von Hugo Rupp

Vom Übergang

Vergeblich habe ich, wenn ich allein war, laut hinausgeschrien, daß ich soviel wert sei wie Ihr, daß ich Euch zwingen würde, mich als einen der Euren anzusehen, immer hat ein unerträglicher Gegensatz bestanden zwischen dem, was ich glaubte, sein zu können, und dem Wert, den ihr mir zuerkanntet.

Paul Nizan Die Verschwörung

Ich spielte keine Rolle.

Hast du dich endlich ausgeweint.

Hörst du jetzt endlich auf!

Hast du dich jetzt beruhigt!

Mir sollten meine Tränen nicht gefallen.

Und hör gefälligst auf, mich so zu drücken.

Streng dich mehr an!

Wie ich das schließlich hasste, mich auf Gespräche einzulassen. Mich überhaupt noch zu erklären. Nur überhaupt versuchen, was zu klären. Wie ich von dem Gerede angewidert war. Von jedem Dialog. Warum mir meine eigenen Worte schal geworden sind. Warum ich stumm, verhalten und bei jedem Wort, bei jedem Laut schon böse werden konnte.

Hab ich gesagt, du sollst vom Tisch aufstehen?!

Bleib nur schön sitzen.

Nur Rohheit und Gemeinheit.

Stell dich doch nicht so an.

Das kann doch nicht so schwer sein.

Warum mir Sachen aus der rechten Hand fielen. Warum ich noch Jahrzehnte später Angst hatte, dass mir was aus den Fingern rutscht. Wenn ich nur einen Augenblick nicht aufpasste.

Streng dich gefälligst an.

Vom Einseifen hab ich heut Nacht geträumt. Dass mich der Vater einseift.

Das glaubst du doch wohl selber nicht.

Wenn er mich nachäffte.

Mit welcher Selbstverständlichkeit sie mich, ein kleines Kind, mit Grausamkeiten eindeckten.

Halt jetzt gefälligst deinen Rand.

Wie kann man nur so dumm sein?!

Es stand mir gar nicht zu, mich zu beschweren.

Das wirst du mir noch büßen.

So sprach ich schließlich zu mir selbst.

Was hast du denn?!

Wir haben dir doch nichts getan!

Was machst du nur für ein Gesicht?!

Angst, die sich nicht gehörte.

Vor was hat dieses Kind nur eine solche Angst.

Dass ich mich nicht mal wehren kann.

Du hast es so gewollt!

Jetzt finde dich gefälligst damit ab!

Ich lernte grausam sein. Zu mir, wie jedem anderen. Ich lernte grausam sein. Nicht stark sein, lernte ich. Ich lernte grausam sein zu müssen, wenn mir etwas passierte, wenn ich etwas empfand. Ich lernte mich nicht anzupassen. Ich lernte mich nicht anzupassen, an meine Tränen und die Wut. Ich lernte grausam sein und meine Wut zu hassen. Ich lernte, mich mit meinen Tränen nicht zu versöhnen. Ich lernte nicht zu lesen, anhand meiner Gefühle und Empfindungen. Ich lernte mich selbst nicht zu lesen. Ich lernte mich zu hassen, für meine Tränen und mein Leid. Ich lernte, mich nicht mit mir zu vertragen, mich nicht mit mir auszusöhnen.

Was mich im Grunde zu dem Kommissar getrieben hat, ist der Argwohn, mit dem Ihr mir vom ersten Tag an begegnet seid. Es war der Wunsch, die Bestätigung für Euer Mißtrauen zu liefern, für das immer schuldbewußte Auftreten, zu dem mich mein Name, mein Gesicht und meine Kindheit verurteilten, für den Charakter, den Ihr immer, weil Ihr gar nicht anders konntet, in mir vermutet habt. Für das Gefühl, daß ich andersartig bin, daß eine Gemeinsamkeit unmöglich ist…

Paul Nizan Die Verschwörung

Mach nicht so ein Theater!

Und stell dich nicht so an!

Ich kann mir immer noch nicht recht erklären, wieso mir die Begegnung mit Euch so nahegegangen ist. Von der Liebe, die wie ein Blitz einschlägt, hat man oft genug geredet, doch über den Blitzschlag des Neides hat noch nie jemand etwas gesagt. Rosenthal und Du, Ihr habt in mir sofort die heftigsten Empfindungen ausgelöst, in denen sich der blinde Drang, Euch nachzuahmen, mit dem Bedürfnis vermischte, Euch zu hassen.

Paul Nizan Die Verschwörung

Und schließlich schlich ich durch das Haus und durch die Stadt, die ganz genauso ein Gefängnis für mich war, wie mein Zuhause. Licht aus. Licht an. Und jetzt ist endlich Ruhe. Bewegte mich wie ein Gefangener, wie ein Gefängnisinsasse. Und merkte das nicht mal.

Was bildest du dir ein!

Ich durfte kein Erbarmen haben. Ich durfte kein Erbarmen für mich suchen. Ich sollte kein Erbarmen für mich finden.

Ich sollte kein Erbarmen zeigen.

Wenn er mir gegenüberstand und mich für meine Tränen noch verlachte, mit seinem Hass an sich, mit seinem Unverstand, für jede Art von Schwäche, auf alle Unbedarften und Bedürftigen; wie die Verlachten.

Das hat mich am meisten angeekelt, daß meinesgleichen wie Würmer dahinlebten; Würmer verstehen ebensowenig von der Anziehungskraft der Erde wie diese Menschen von ihrem Gott, ihren Begierden, ihren Operationen. Sie glauben, daß sie das, was sie beherrscht, selbst erfunden haben.

Paul Nizan Aden

Angst, die sich nicht gehörte.

Was hat nur dieses Kind?!

Schreit ohne Grund!

Angst, die sich nicht gehört hatte, für ihn, in seiner Welt. Die ungehörte Angst, die er zutiefst verachtet und gehasst hatte. Die Angst, die er mir immer nur verübelt und verleidet hat. Für die er mich verurteilt und beschuldigt hatte. Für die er mich verlacht und förmlich ausgelacht hatte, von Anfang an. Angst, die sich nicht gehörte; die kommt jetzt an den Tag.

Wenn du mir nochmal wegrennst, dann schlage ich dich grün und blau.

Hörst Du!

Was bildest du dir ein!

Und hör endlich zu weinen auf!

Angst, die sich nicht gehörte. Furcht vor der Angst.

Hast du dich endlich ausgeweint!

Bist du jetzt endlich fertig.

Bis mich die Angst vor meinen Tränen schreckte und ablenkte.

Jetzt kommt der Schwarze Mann.

Furcht vor der Angst.

Was bildest du dir ein!

Angst, die sich nicht gehörte, dafür ihr Sündenbock zu sein. Die Angst davor, ein Sündenbock zu sein. Ein Opfer sein zu müssen und nichts dagegen tun zu können. Ihr Sündenbock zu sein und nichts dagegen tun zu können. Nur immerzu ein Sündenbock zu sein.

Vor was hat dieses Kind nur eine solche Angst?!

Weil ich tatsächlich darauf wartete, zum Sündenbock gemacht zu werden. Ich wartete im Grunde auf nichts anderes. Gestempelt, um bestraft zu werden.

Gib endlich Ruhe, und sei still!

Strafen für noch lebendige Gefühle.

Sie hasste selbst mein Schweigen.

Das wird dir noch leidtun!

Na wart!

Mein Traum vom See. Mein Wunsch hinter der Angst. Dass ich nicht länger alles büßen muss.

Was willst du nur von mir?!

Sie ließ mich meine Tränen büßen; tatsächlich Stück für Stück.

Hast du noch immer nicht genug!

Ich weinte meiner Mutter nach. Ich sollte meiner Mutter aber nicht nachweinen. Es sollte keine Tränen geben. Deswegen hat sie mich bestraft. Es sollte meine Tränen gar nicht geben.

Wie ich um meine Tränen kämpfte. Sie aber steckte mich in einen Raum und ließ mich ganz allein, allein mit meinem Weinen und der Sehnsucht.

Halt endlich jetzt dein Maul!

Sonst kommt der Schwarze Mann!

Wie ich mich abgestrampelt habe, damit sie mich nicht mehr bestraft, vergisst und nicht alleine weinen lässt. Endlich begreife ich den alten Schmerz, vom immer nur alleine weinen.

Da niemand auf mich hörte.

Das werde ich dir auch noch austreiben.

Das lasse ich mir nicht mehr bieten.

Das werde ich dir auch noch abgewöhnen müssen.

Wenn du nicht gleich damit aufhörst!

Sie trieb mich in die Enge.

So sprichst du nicht mit mir.

Scher dich gefälligst in dein Zimmer!

Die Suche nach dem Paradies, nach dem verborgenen Land, die Suche nach vergrabenen Schätzen, dem Segen meiner Mutter, Erde, nach ihrer Unschuld und nach ihrer Liebe, die Suche nach der Wahrheit, dass es die Unabhängigkeit nicht wirklich geben würde, dass es die eigene Liebe gar nicht gibt. Dass meine Liebe, die eines Kindes, von meiner Mutter abhängt. Dass es mich unabhängig gar nicht gibt. Im Grunde niemals unabhängig geben kann. Dass ich mich an sie hänge, ob ich das möchte oder nicht. Die Illusion, ich könnte mich von meiner Mutter nicht befreien und erlösen.

Was bildest du dir ein!

Sie tat mir weh und log mich an.

Das bildest du dir ein!

Im Stich gelassen und verzweifelt.

Warum ich immer nur vom Schlimmsten träumte und mit dem Schlimmsten rechnete.

Ich wollte dir doch nicht wehtun!

Ich will dir doch nur helfen!

Im Stich gelassen werden.

Was schaust mich so an?

Ich hab dir nichts getan!

Wenn ich nur nach ihr suchte, dann schimpfte sie, ich sei zu neugierig.

Das wird dir noch mal leidtun.

Es sollte mir leidtun, weil Mutter sich das wünschte.

Genierst du dich denn gar nicht?!

Dieser Moment an jedem Tag, wenn ich sie brauchte, wenn ich sie so gebraucht hätte, wenn ich verzweifelt war und weinte, dann konnte sie nur grausam sein. Was mich so ängstigte.

Wenn meine Mutter kam!

Was regst du dich so auf!

Und untersteh dich, frech zu werden.

Benimm dich und sei still!

Was fällt dir ein!

Reg dich doch nicht so auf!

Sie hat kein gutes Haar an mir gelassen.

Was bildest du dir ein!

Dieses umwerfende Gefühl, dass ich nur immer alles falsch machte, dass ich nur immer wieder alles von Neuem falsch machen würde. Dass sie nie etwas falsch gemacht hatten. Dass sie nie etwas Falsches machten.

Ohnmacht, die mich in jeder Nacht Jahrzehnte lang um fünf Uhr früh geweckt hatte. Dieses Gefühl, dem Geist der Mutter ausgesetzt zu sein und ihren Taten, willenlos. Geistern ohnmächtig ausgeliefert sein zu müssen, dem Geist der Eltern, ihren Lügen und falschen Botschaften, dem Geist, den sie beherrschten.

Freu dich nur nicht zu früh!

So viele Schmerzen, so viele, viele Schmerzen! Die nicht aus mir herausgekommen sind, solange ich nach ihnen rief, wie einst nach meiner Mutter, nur vergebens.

Was willst du eigentlich von mir?!

Ich schrie gar nicht nach ihr. Ich schrie nach Liebe. Endlich begreife ich, ich schrie gar nicht nach ihr. Ich hätte auch nach einer Drahtmutter geschrien, nicht unbedingt nach Fleisch und Blut. Ich hätte mich an eine Puppe hingeschmissen und an ihr festgehalten. Ich hätte mich an einer Puppe festgebissen, wenn es mir was genützt hätte.

Niemand will dir was Böses.

Niemand tut dir was an!

Niemand hat dir was angetan.

Sie wollte mich ja gar nicht davon überzeugen, dass sie etwas empfand. Sie wollte mir weismachen und mich davon andauernd überzeugen, dass ich gar nichts empfinde, dass es für mich nichts zu empfinden gab. Dass es für mich nichts zu empfinden gäbe; gar nichts.

Dass es für mich gar nichts zu jammern und zu weinen geben würde.

Das ist doch gar nicht wahr!?

Wovor hast du denn Angst!?

Doch nicht vor mir!?

Was willst du denn!?

Ich tu dir nichts?

Und wenn ich mich nicht wie ein Stein benahm, dann hat sie mich geschimpft.

Was fällt dir ein!?

Sie hatte Angst vor jeder Regung, vor jeder einzelnen. Sie hatte eine solche Angst, die ich von ihr dann übernommen habe.

Angst vor Berührung und Bewegung.

Sie brachte mich zum Weinen. Sie rührte mich zu Tränen. Ich aber sollte mich nicht rühren. Ich konnte mich ja nicht mal rühren, so hatte sie mich eingeschnürt, sprichwörtlich, körperlich und seelisch, förmlich. Sie hatte mich so eingeschnürt, dass ich ohnmächtig wurde, vor Wut und Zorn und Hass. Sie hatte mich so eingeschnürt, dass ich mich schließlich nicht mehr rühren konnte, und nicht mehr rühren wollte, vor lauter Angst.

Hast du dich jetzt beruhigt?!

Ich hab dir nichts getan.

Mit welcher Freude sie mich immer wieder zwischendurch verletzte. Mit welcher Sicherheit sie mir und meinem Körper zusetzte, wenn sie mit mir alleine war.

Das bildest du dir ein!

Verschweigen und wegschließen.

Verklebte Tränen und verklebte Wut und Angst und Trauer. Von ihr verfluchtes Weinen; wie ein verfluchtes, ödes Land.

Jetzt ist aber genug!

Ich war der Alleingelassene. Ich war der allein gelassene Junge. Im Traum am See und am Sportplatz. Ich war der in seiner Not allein Gelassene. Ich war das in meiner Seele, am Leichenschauhaus. Ich und der tote Junge im Sarg. Ich war der in seiner Not allein Gelassene. Ich bin der gewesen, der in seiner Not allein gelassen worden war, von Anfang an. Am See, der Junge auf dem Rasen, der neben seinem toten Freund gestanden hat, den sie tot aus dem See gezogen hatten. Der Überlebende, dem sie den toten Freund ganz einfach vor die Füße geschmissen hatten. Der in der Not allein Gelassene. Der Junge, den ich vom Zaun aus sah, dass es mir fast das Herz aus meinem Brustkorb riss, der war in seiner Not allein gelassen. Der Junge, dessen Herz gebrochen war. Der Junge mit gebrochenem Herzen, und nicht der tote Junge, der vor ihm lag. Dem niemand in der Not die Hände hielt, die nicht zu zittern aufhörten. In seinen Augen die verklebten, zuhauf zurückgehaltenen Tränen.

Wo keine Wut mehr ist, da gibt es keine Hilfe in der Not.

Schau uns gefälligst an, wenn wir hier mit dir reden!

Ich dachte fortwährend, dass sie ganz einfach keine Zeit gehabt hätten, mir in der Not zu helfen.

Was bildest du dir ein?!

Du hast hier nichts zu melden!

Schlag dir das aus dem Kopf!

Verstehst du mich?!

Wie schleichend mich die Grausamkeit, an jedem Tag ein Stückchen mehr entwertet hat. Wie mir selbst alles wertlos wurde und immer wieder wertlos wurde, durch meine Grausamkeit hindurch.

Wag nicht, mich noch einmal so anzusehen!

Der Übergang war schließlich fließend.

Vor was hat dieser Junge nur so eine Angst!?

Als stünden der Leibhaftige und gleichzeitig der Schwarze Mann vor meiner Tür. Weil mich die Grausamkeit gepackt hatte, die eigene.

Heyst war sich keiner Freunde und keiner Feinde bewußt. Der eigentliche Sinn seines Lebens war ein einsames Vollbringen, nicht mit Hilfe eremitenhafter Zurückgezogenheit, ihrer Stille und Unbeweglichkeit, sondern mittels eines Systems ruhelosen Umherwanderns in der Unabhängigkeit eines kurzfristigen Bewohners wechselnder Szenerien. In diesem Plan hatte er das Mittel erblickt, durchs Leben zu kommen, ohne leiden zu müssen und fast ohne sich um einen Menschen in der Welt zu kümmern – unverwundbar, weil er allem auswich.

Joseph Conrad Sieg

Ich wurde nicht geliebt, wenn ich gehorchte. Ich wurde nicht bestraft, wenn ich gehorchte.

Halt endlich deinen Rand!

Ich dachte immer nur, ich hätte nichts getaugt als Kind. Ich hätte nie etwas getaugt. Ich wär nie etwas wert gewesen, für mich nicht und für keinen anderen.

Jetzt kannst du aber was erleben!

Das wird dir noch mal leidtun!

Du wirst noch an mich denken?!

Indem ich mich bezwang. Indem ich wie sie klang. Indem ich mich zur Grausamkeit durchrang. Solang bis meine Schmerzen auf mich hörten, auf meinen eigenen Befehl. Bis meine Schmerzen endlich hörten, was sich für Schmerzen doch gehörte; wundert euch nicht.

Denn niemand wird sich wundern.

Seid endlich still. Und hört, was ich euch sage. Benehmt euch, und tut gefälligst, was ich sage. Seid endlich still. Ich will jetzt nichts mehr von euch hören. Denn wenn ich noch einmal was von euch höre, dann könnt ihr aber was erleben. Dann lasse ich euch ganz allein. Mit euch und eurem Leid. Und niemand wird sich um euch kümmern. Nie wieder wird sich jemand um euch kümmern. Wenn ihr so schreit.

Wie kann man nur so blöd sein und zum Baden gehen, wenn man nicht schwimmen kann!

Jetzt ist der Junge halt ertrunken.

Was soll man dazu sonst noch sagen!

Er lacht und schüttelt seinen Kopf,

Der Unbarmherzigkeit der Eltern ausgeliefert, ohnmächtig gegenüber dem Derblecken.

Mach dich jetzt endlich fertig!

Und trödle nicht herum.

Gleich kannst du was erleben!

Mich selber unbarmherzig zu behandeln, das habe ich gelernt, mich selbst wie jeden anderen mit Unbarmherzigkeit zu plagen.

Merk dir das endlich.

Oder soll ich dir das auf dein Hirn schreiben.

Die Muttersprache war von Anfang an, an Unbarmherzigkeit gewöhnt.

Willst du ein Junge oder ein Mädchen sein?!

Weil mich die Unbarmherzigkeit anzog, wie ein gebranntes Kind das Feuer, solange ich den Schmerz, an jedem Tag, seelisch verbrannt zu werden, vor mir geheimgehalten habe, mit meiner Unbarmherzigkeit. Um mich damit selbst zu behandeln, um meine Schmerzen zu vertragen.

Warum hast du es plötzlich denn so gnädig!?

Genauso unbarmherzig für mich sein. Mein Traum vom Sportplatz und vom See. Vom Übergang. Was ich von meiner Mutter übernommen habe, womit sie mich gefüttert hat, mit Unbarmherzigkeit und mit Verleugnung.

Was bildest du dir ein?

Ich traute mich nicht einmal mehr etwas zu wünschen. Ich traute mich nicht einmal mehr davon zu träumen, mich gegen meine Eltern zu verteidigen. So unbarmherzig wurde ich.

Was ist nur los?

Was ist nur mit dir los?

Was willst du nur von uns?

Was führst du dich denn so dermaßen auf?!

Was bildest du dir ein?

Wo denkst du hin?!

Was ist denn jetzt schon wieder los?!

Ich hatte mich verteidigt, mein Selbst gegen die unbarmherzige Bemächtigung.

Was schreist du denn?

Was willst du denn von mir?

Sie konnte sich nicht vorstellen, dass ich nur wütend auf sie war.

Das bildest du dir doch nur ein?!

Ich sollte niemals ungestraft etwas behaupten. Ich sollte mich als Kind nie selbst behaupten lernen. Ich konnte als Kind niemals ungestraft etwas von mir vortragen.

Sie las mir Märchen voller Schrecken vor, um mich tatsächlich damit einzuschläfern. Und wenn ich nicht sofort danach gut schlafen hatte können, dann drohte sie mir mit dem Schwarzen Mann. Es gab nicht einen Tag für mich, an dem ich nicht die Grausamkeit verleugnen lernte, an dem ich nicht verleugnen lernte, wie schrecklich es bei meinen Eltern für mich war.

Wir wollten dir doch helfen.

Verstehst du das denn nicht!?

Was lachst du denn so blöd?

Was schaust du denn so dumm aus deiner Wäsche?

Wie sie vollkommen stumm und ausdruckslos dasitzen und mich wie Luft behandeln, nachdem sie mich verletzt, verwundet und entwürdigt und entwertet hatten.

Nur einen Laut noch und ich schlag dich tot!

dass die ganze Vorstellung von Rache und Bestrafung nur ein kindischer Tagtraum ist. Genau genommen gibt es gar keine Rache. Rache ist etwas, das man sich vorstellt, solange man ohnmächtig ist und weil man ohnmächtig ist. Sobald das Gefühl der Ohnmacht vorbei ist, verschwindet auch dieser Wunsch.

George Orwell

Sei still, sonst kannst du was erleben.

Sei endlich still, sonst kommt der Schwarze Mann.

Träume vom See und vom Sportplatz. Träume von Ohnmacht. Träume von der Unmöglichkeit, den Eltern und ihrem Einfluss zu entgehen.

Mein Traum vom Sportplatz. Ich ducke mich vergeblich, denn ich entkomme seiner Rache nicht. Deswegen lacht mein Vater in die Sonne, und ich kauere weinend vor ihm im Gras.

Du wirst noch an uns denken!

Ich sollte ihrer Rache nicht nur nicht entkommen. Ich sollte nicht mal daran denken, ihnen davonzulaufen.

Vor was hat dieses Kind nur eine solche Angst?

Endlich seh ich ihre Gesichter wieder, die ich mir in den Träumen wegwünschte, so wie sie in der Kindheit für mich waren. Rachsucht sah ich darin, an jedem Tag, von Anfang an. Womit sie mir entgegenkamen. Womit sie mich begrüßten. Was sie mir vorhielten. Und was sie von mir wollten.

Sei nicht so frech!

Reiß dich zusammen!

Nimm dich in acht!

Sonst kommt der Schwarze Mann.

Wovon ich immer wieder träumte.

Wenn du nicht gleich parierst, dann kannst du aber was erleben.

Und wehe, du fängst jetzt wieder an!

Dann kannst du aber was erleben.

Ich konnte ihn nicht mehr ansehen und sah ihn immer wieder an. Ich sah ihn und ich konnte ihn nicht länger sehen. Ich sah ihn einfach immer wieder an, als würde ich durch meinen Vater sehen.

Schau mich gefälligst an.

Ich durfte nicht erschrecken, wenn er mich griff. Ich zuckte nicht mal mit der Schulter, als er mich Jahre später mit lachendem Gesicht verdrosch. Ich schaute meinen Vater an, ich sah ihn aber dabei nicht. Ich sah ihm nichts mehr an. Ich las nichts mehr in dem Gesicht. Ich schaute meinen Vater an und sah ihn nicht mehr wirklich. Ich sah nicht mal mehr sein Gesicht. Ich sah ihn und ich sah ihn nicht. Ich sah nicht einmal mehr sein Lachen, wenn er mich aufzog.

Komm her, und lauf nicht weg.

Dabei ging ich an seiner Seite.

Sei brav und lauf nicht weg.

Rühr dich jetzt nicht vom Fleck.

Ich drehte mich nicht länger um, wenn jemand auf mich zukam. Auch wenn ich Schritte hörte, dann drehte ich mich nicht mal um. Ich wäre einem Angreifer nicht ausgewichen. Ich hätte ihn gespürt, hinter der rechten Schulter, doch umgedreht nach ihm, hätte ich mich nicht. Nicht einen Augenblick lang hätte ich geschrien und mich verteidigt.

Schau mich gefälligst an!

Ich schlag dich windelweich.

Wenn du noch einen Ton jetzt von dir gibst.

Ich schlag dich windelweich.

Das hat noch niemandem geschadet.

Kein Vergeben bringe ich und kein Vergessen.

Izchak Herzog

Wie habe ich mich angestrengt, um mit ihm ins Gespräch zu kommen, und dieser grobe und gemeine und brutale Mensch hat mich nur abgewimmelt, weggeschickt, bestraft, abblitzen lassen. Wenn ich doch nur versuchte, ihn um etwas zu bitten.

Was bildest du dir ein?!

Der Übergang vom Reuen zum Bereuen. Dass ich auch Reue zeigen kann und sie nicht nur empfinden.

Was bildest du dir ein!

Ich habe meine Schuldgefühle nicht erfunden. Die falsche Reue für mein Tun. Die falsche Reue für mein unschuldiges Tun. Deswegen konnte ich mich schließlich nicht mehr freuen. Weil ich bereuen lernen sollte, was meine Eltern mit mir machten.

Dass es nicht nur bereuen müssen für mich gab.

Geh, du Kasperl!

Du alter Schwindler!

Lüg mich nicht an!

Wie ich mich schließlich dafür schämte, den Eltern etwas vorzumachen und ihnen vorzugaukeln, es würde mir nichts fehlen, es ginge mir doch gut. Die eigene Enttäuschung, dass ich die Wut verleugnete.

Jetzt sind wir wieder gut!

Damit sie aufhörten, mich zu beschämen, für meine Schmerzen, meine Tränen, für meine Wutausbrüche und für meinen Zorn, selbst für mein Zahnen.

Noch einen Mucks!

Selbst dann, wenn ich nur friedlich war. Nur dagelegen habe und in die Sonne schaute, konnte mein Vater auch nur grausam sein.

Was grinst du denn so blöd.

Mein Traum vom Sportplatz. Wenn Vater grausam war, dann war er auch zufrieden.

Gefällt es dir hier vielleicht nicht!

Sind wir dir nicht fein genug!?

Sind wir dir vielleicht nicht mehr gut genug!?

Was bildest du dir ein!

Dann schlug er zu, in mein Gesicht, und Mutter schaute zu und meine Schwester auch, wie er mir immer wieder ins Gesicht geschlagen hat.

Nach all den Jahren sind mir die Sätze meines Vaters wieder eingefallen.