Texte von Hugo Rupp

Die Entfernung

 

An den Körpern, ihren Schatten, wie sie sich bewegten, merkte ich wie rastlos sie doch waren. Ihre Kiefer mahlten, sah ich seine Hundeaugen, und die Katzenhaftigkeit der Mutter, wie sie um mich strich, schlich, keinen Ton von sich gebend. Vater voller Zorn. Wie ein Mörder, der sich kennt, jede seiner Äußerungen. Wie er mich erst anlächelt. Dieses Lächeln aus der Kindheit. Diese Mörder Unbekümmertheit, ohne eine Scham. Gesten, nur Genugtuung. Nicht mal Lüge im Gesicht über ihre Taten. Freiheit in der Rache. Freiheit, diese Ähnlichkeit, jetzt kann ich zurückzahlen. Angstschweiß weicht. Dann ein sonderbarer Duft, wenn sie sich zu mir hinunter bücken. Kann ich Mordlust riechen? Ähnlich meiner Angst, nur ein wenig schärfer. Geister meiner Kindheit, die willkürlich jagen. Die sich jede Freiheit nahmen. Nehmen und dann zuschlagen. Jäger. Ungebetene Gäste. Sah sie an den Wänden, vergewisserte mich hin und wieder. War zu ängstlich um zu fliehen. Unbeholfne Wanderer, die sich selbst verirrten. Jeder Atemzug mit Angst. Schatten hassten meinen Zorn, meine Wut und meine Tränen, wie ich selbst dann alles hasste. Wieder Schatten und Gespenster. Furcht vor den Gespenstern. Geister und Gespenster, die sich nichts erklären und erzählen lassen. Echos, Raunen, dumpfes Grollen. Erbe im Gehirn, aus den Kindertagen. Hass auf alles Unterdrückte, auf die Kinder, Kindheit, alles unterdrücken müssen. Ähnlichkeit loswerden. Jetzt, gleich und sofort. Panik in der Stimme. Panik im Gesicht. Jetzt erst recht loswerden. Kindheit muss ich jetzt loswerden. Wie sie mich loswerden wollten. Nahm mir jeden Halt, wenn ich sie anflehte. Hassten mein Anflehen. War zuviel des Guten. Ausgeliefert sein, wehrlos ohne einen Schatten. Hilflos sein in ihrer Nähe, hassten das so sehr. Meine Eltern kann ich nicht loswerden. Dann schon eher die Gefühle für sie. Kann die Wunde nicht verschließen. Kann mich nicht loswerden. Wollten mich loswerden. Auch ein Grund, kein Kind kann sich selbst loswerden. Meine Abschaffung. Ende einer Kindheit. Meine Eltern konnten das, konnten mich loswerden.

Wie verhasst war mir die Kindheit. Wollte keine Kindheit mehr. Wollte nicht erinnert werden. Endlich Kindheit loswerden. Nichts soll mich erinnern, wie ich ausgeflogen bin, ausgestorben jetzt mein Körper, wie ich leer geworden bin, wie die Vogelnester. Will nicht länger brüten. Will nicht länger Geister und Gespenster sehen.

Schlugen mich. Schlugen meine Kindheit. Schlugen und verfluchten mich, so als wäre ich ein Ungeheuer. So als wäre ich ihr Ungeheuer, ihre Form von Kindheit und Geschichte.

Malen große Bilder, Freskos, malen die Gespenster, malen Geister, Schöpfer, Vater, Gott, eine Muttergottes. Malen ihre Geister. Malen Geister an die Wand. Haben keine Ähnlichkeit. Dass Gewalt von keinem Kind erschaffen wurde. Können sie nicht zeigen. Zeigen keine Kindersicht. Haben alles Kindliche verloren.

Von allen guten Geister verlassen

Die Eltern konnten sich von mir entfernen, sie konnten mich loswerden. Sie konnten mich alleine lassen. Sie konnten mich loswerden wollen. Sie wussten schließlich wo ich war, woher ich kam, wohin ich gehen, was aus mir werden sollte. Was ich auch immer tat, sie wussten schon Bescheid. Sie schienen alles schon zu wissen, alles von mir, von einem Kind, das von den Eltern keine Ahnung hatte. Sie wussten alles, wie sie auch immer wieder sagten und betonten. Sie wüssten alles über Schmerzen, Tode, Todesarten. Sie wüssten alles über Unglück und Verheerungen. Sie wüssten alles über Unglück, gezwungenermaßen. Sie wussten einfach alles vorher und im Grunde besser. Ich wusste nichts, das sagten sie mir damit jeden Augenblick. Ich wüsste nichts von meinen Eltern. Sie warfen mir das immer vor, als ich mich dann entfernte, dass ich nicht wüsste, was dann passiert, was dann zwangsläufig noch passieren würde. Sie warfen mir Unwissen vor, sie gaben mir die Schuld, nur immer wieder was zu tun, ohne zu wissen, was ich tun würde. Sie gaben mir die Schuld, als würde ich ihr Paradies zerstören, als würde ich mit meinem Tun, loswerden wollen, was sie mir immer wieder vorwarfen und predigten. Sei still. Rühr das nicht an. Das ist zu gefährlich. Sie machten mich kaputt, mit ihrer Angst vor allem kindlichen Benehmen. Wie hätte ich, ein Kind, was von den Eltern wissen können? Dass sie, wie nichts die eigne Kindheit hassten und loswerden wollten, denn sie erzählten nie von sich. Von sich aus, aus ihrer Sicht, der eines Kindes. Sie schwiegen sich darüber aus. Als hätten sie die eigne Kindheit nie gehabt, als wären sie nie selbst an diesem Ort gewesen. Ich habe nie geglaubt, dass meine Eltern einmal Kinder waren, sie haben sich zu mir niemals verhalten, als wüssten sie, wie ich mich fühlte.

Denn wer was fühlt, was ein Kind fühlt, kann sein Kind nicht loswerden wollen.

Unsere Angst

Fürchte dich nicht, sagten sie dann später. Soll mich nicht vor ihnen fürchten!? Fürchteten sie sich denn vor mir? Woher sollte ich das wissen? Immer wenn mir später jemand so kam, dass ich mich nicht vor ihr oder ihm nicht fürchten sollte, war ich schon weit weg, suchte ich das Weite. Suchte ich die Ferne automatisch, war ich gleich ganz weg. Weil ich diesen Worten nie ganz traute, wenn mir jemand das Gefühl vermittelte, wenn mir jemand sagen wollte, zeigen wollte, dass ich vor ihm keine Angst bekommen sollte, war ich alarmiert. Wenn mich wer ansprach, wenn wer etwas von mir wollte, wenn wer Interesse zeigte an mir. War ich schon weit weg.

Wer mir sagte: Du musst deine Angst loswerden, dem verriet ich nichts mehr von mir. Wer mir meine Angst verrät und sie mir noch nehmen will, will das, macht das wie die Eltern. Wollten, dass ich der Verführer sei und nicht der Verführte, wollten dass ich mich zu Unrecht ängstigte, mussten immer Recht behalten. Wollten meine Angst bestrafen.

Unsere Angst und Ängstlichkeit. Dieses Erbe konnte ich nicht loswerden. War es doch Gemeinsamkeit, war es doch Verständnis, war es doch, was uns nahe ging. Was uns zueinander brachte. Wenn auch nur zur Strafe, um mich zu bestrafen. Unsere Angst.

Ohne Wut

Log mich an. Sagte: Nicht so schlimm. Sagte: Wird schon wieder. Ich log, wie meine Eltern mich angelogen hatten. Ich konnte so die Angst vergessen. Ich sagte immer nur: Ist nicht so schlimm. Da musst du dich nicht fürchten. Nicht so schlimm. Könnte schlimmer sein. Die Lüge ließ mich überleben. Die Lüge, meine Selbstentfernung. Wie ich die Wahrheit, mein Empfinden und Gefühl verbarg. Ich machte schließlich Scherze über mich. Ich lachte über meine Schmerzen. Ich lachte über mich. Ich lachte über alle anderen. Ich machte mich dann später über Unglück her. Ich lachte andere auch dafür aus, wenn sie unglücklich waren. Ich machte Scherze über ihr Empfinden. Wie kann man nur so ängstlich sein, das sagte ich. Ich log, dass sich die Balken bogen. Ich log, bis ich mich schließlich selbst vergaß.