Texte von Hugo Rupp

Das leere Wort

 

Der Vater ist der Mutter

in der Nacht

nach seinem Tod

in einem Traum erschienen.

Sein Finger zeigte

immer wieder

auf Papier.

Da steht doch alles drin,

das hat er mir gesagt,

da ist doch alles da,

sagt sie.

Da steht doch alles drin

in Mutters Traum, da ist doch

alles festgeschrieben.

In meinem Traum

in dem ich sie

nah einer Mauer

stehen sah.

Sie hielt ein Buch

in ihrer rechten Hand.

Ein dickes weißes Buch.

Ist da von Schuld

und Schuldigkeit

die Rede?

Steht da vielleicht

was ich den Vater

kostete?

Ist da der Geist

des schwarzen Hundes drin,

so wie ich

meinen Vater sah

nach seinem Tod

in meinem Traum,

wie er mich angegriffen hat

und nach mir

immer wieder

schnappte.

Ist dieser Geist noch wach?

Ist dieser Geist

auch nach dem Tod

des Vaters noch aktiv,

und unvermindert bösartig?

Ist dieser Geist

als böser Vater

in mir wach?

Verehrung ist: Erziehung bleibt erhalten.

Ich appellierte an sie

immer wieder:

Der Vater ist

nicht gut zu mir.

Der Vater ist nicht gut.

Er gibt nur Geld.

Doch davon wollte sie

nichts wissen.

Es steht doch alles da,

sagt sie.

Da steht doch alles drin.

In ihrem Traum von einem

guten Vater.

Warum höre ich

der Mutter zu?

Warum versuche ich

sie zu verstehen?

Weil ich das so früh

lernen musste.

Plötzlich riecht es

nach Teer

nach Teer

in meiner Nase.

Du wurdest nicht so oft geschlagen,

sagt sie beiläufig

und nüchtern

amüsiert.

So sieht sie aus

mit diesem Satz

für mich.

Das ist

ihr Blick

das Bildnis das

ich von ihr

in mir trage.

Im Buch steht alles drin, sagt sie.

Da steht doch alles da.

Sie zählte

Namen auf

von Toten

jüngst Verstorbenen.

Ich wusste nie

ob sie sich selbst

vermissen würde.

Sei nun schön brav!

Sie hat dann noch geschaut. Mit einem Blick. Der an mir haften blieb als nackte Angst, als ein Versprechen ihrerseits, sie würde nie mehr anders sein zu mir. Nur fremd und leer und böse. Mit Vorwurf und Beschuldigung, ich würde nicht auf ihre Weise horchen. Ich würde nie auf sie und meinen Vater achten.

Sie hörte nicht, was ich ihr sagen wollte. Ich wusste nicht, was mir fehlte. Das war das schlimmste daran. Niemand zu haben, der fühlen kann, was einem kleinen Kind wohl fehlt, wenn es allein in einem Zimmer liegt und weint.

Ein Kind ist auf Bestätigung doch angewiesen. Es kann erst sein Gefühl mit einem Zeugen selbst begründen.

Deswegen dachte ich dann später immer nur, ich müsste die Gefühle selbst erfinden. Weil ich das gar nicht fühlen konnte, was sie mich nicht verstehen ließ.

Sie hat in meine Schmerzen Schuldigkeit gebracht. Ich kam mir immer schuldig vor, wenn ich jemanden lieben wollte. Wenn ich mir Nähe wünschte. Ich konnte keine Wut empfinden, wenn mich jemand verließ. Ich fühlte Schuldigkeit, als wäre das eine gerechte Strafe, für den Versuch zu lieben.

Selbst schuld, sagt sie.

Selbst schuld, sagt er.

Selbst schuld, gab ich dann einfach wieder.

Ich pflichtete den Eltern bei und meine Pflicht war schuldig sein.

Ich dachte immer nur die Welt sei leer. Sie würde alle Wunden nur verlachen. Sie würde keine Wunden/Kratzer dulden. Wer sich verletzt, macht sich selbst schuldig, dachte ich.

Wer wird denn da schon wieder weinen, sagt sie und er gleichzeitig.

Wie wütend muss ein Kind wohl sein, wenn es nicht einmal schuldlos weinen darf?