Das ist der eine Punkt, in dem sich meiner Meinung nach alle Evolutionsforscher einig sind: Es ist praktisch unmöglich, eine Aufgabe besser zu erfüllen, als es ein Lebewesen in seiner jeweiligen Umwelt tut.
Richard Lewontin, Evolutionsbiologe
Tränenfäden
dünn wie Spinnenbeine.
Brechen mir jetzt ab,
wachsen mir auch nicht mehr nach.
Und mein Mund ist leer
meine Zähne stumpf,
meine Wurzeln
zahnen.
Zähne beissen
in der Nacht
einfach seelenruhig weiter.
Mahlt da
jemand meine Qual?
Erbarmungslose Nützlichkeit ist Trumpf, auch wenn es nicht immer den Anschein hat.
Richard Dawkins Der Gotteswahn
Vor ihm niederknien anzufangen, um mein Leben betteln. Jetzt kommt Vater heim und macht mich anständig.
Jetzt kannst du erleben, was passiert, wenn ein Kind nicht hören will.
Vater macht mich anständig. Zeigt mir, was passiert, wenn ich unanständig werde.
So redest du nie mehr mit uns!
Als wäre ich jetzt tapfer, als würde mich gar nichts erschrecken, als würde mich gar nichts berühren und erschrecken, als wäre ich nicht ängstlich, als würde mich nichts fürchterlich erschrecken können. Als wäre ich nicht so allein. Dabei war ich feige. Feige aber wollte ich nicht sein.
Jetzt musst du tapfer sein. Reiß dich zusammen. Jetzt musst du still sein, wenn dein Vater kommt. Du brauchst mich nicht so anzusehen. Ich hab dir nichts getan!
Ich hasste später alles, was ich mir nicht zutraute. Ich hasste alles Mutige, Verwegene und Kalte.
Nahm ich mir vor, bei der nächsten Tracht Prügel keinen Laut von mir zu geben. Und als dies soweit war -, ich weiß noch, meine Mutter stand draußen ängstlich an der Tür -, habe ich jeden Schlag mitgezählt. Die Mutter dachte, ich sei verrückt geworden, als ich ihr strahlend berichtete: Zweiunddreißig Schläge hat mir der Vater gegeben!
Adolf Hitler
Du musst jetzt wieder tapfer sein, sagt Mutter immer wieder.
Wie ich gehorchte und mich anpasste.
Warum bist Du denn böse!? Du hast doch keinen Grund. Er will doch nur dein Bestes. Warum wirst du denn böse?!
Bewahrt Euch, Herr, vor Eifersucht, dem grüngeäugten Scheusal, das besudelt die Speise, die es nährt.
William Shakespeare Jago in Othello III,3
Erst jetzt realisiere ich, wie eifersüchtig Vater mich erst machte. Wie ich das von ihm lernte, auf alles und auf jeden eifersüchtig sein, der sich nicht gleich ergab und nicht gleich hündisch werden wollte. Wie eifersüchtig ich auf jeden war, der auch für sich zu sprechen wagte, der für sich eintrat, und das auch tat. Der einen eignen Standpunkt hatte. Wie eifersüchtig ich im Grunde war, auf Zärtlichkeit und Liebe gegenüber einem Menschen.
Denn Liebe war ja unanständig. Sie war so ungehorsam. Und Zärtlichkeit verpönt, war Schwäche. Nur was für Schwache und für Schwächlinge.
Was ist denn jetzt schon wieder los. Ja siehst du denn Gespenster? Du musst doch nicht zu weinen anfangen, nur wenn dein Vater mir dir spricht!
Mein Ausdruck wurde gleich bestraft. Was zart war, wurde einfach ausradiert. Was zart war, musste ausgelöscht für meinen Vater werden. Was zart ist, wird bestraft, verfolgt, beschämt, kaputt gemacht.
Mit Eifersucht verfolgen, was zart ist und was Zärtlichkeit verspricht. Was Zärtlichkeit versprechen kann, wird ausgemerzt.
Ich fürchtete mich schließlich vor der Zärtlichkeit, weil Vater sie verfolgt und nur bestraft hatte. Ich schämte mich für meine Zärtlichkeit und mein Bedürfnis danach. Und später propagierte ich mit Grobheit den Verlust und stellte die Gewalt und Grobheit, nach Möglichkeit als Gegenmittel dar. Dabei ist Zärtlichkeit das größte Gut, das ein Kind haben kann.
Doch Vater macht mich anständig und schlägt die Zärtlichkeit zu Brei. Wenn er nach Hause kommt. Wenn ich doch nur sein Beißen lieben könnte, dann liebte Vater mich auch wider. Wenn er mich beißen will. Und wenn er mich nicht beißen kann, dann wird mein Vater böse. Solange ich noch wegen seiner Bisse schreie.
Und wie ihn später meine Eifersucht aufregt. Wie er auf mich dann wütend wird, wenn ich so eifersüchtig auf die Schwester bin. Wie ihn mein eifersüchtig sein aufregt. Als hätte es das vorher nie gegeben.
Die Eifersucht als Zuwendung.
Als hätte ich die Eifersucht erfunden.
Wie ich sie doch beneidet habe. Auf Hunde und auf Katzen und auf Vögel war ich neidisch. Auf die, die sich noch ohne Angst benehmen und aufführen konnten. Die sich ganz einfach freuten. Die sich nicht so benehmen mussten, als würden sie verachtet und gesteuert.
Wie Vater mich angriff, angiften konnte, wenn ich nur etwas Schwäche zeigte. Als ich noch Zärtlichkeit verbreitete. Wie er mir in die Finger biss.
Schluss mit dem Blödsinn, jetzt. Hör endlich auf damit!
Und wenn ich seine Lippen küsste. Zum Abschied, wenn er in die Werkstatt ging. Weil meine Zärtlichkeit nichts nützte. Weil sie nichts für mich brachte, deshalb verwarf ich sie. Und ich verlor mich in Verachtung, wie Vater mir das immer schon gezeigt hatte. Mit Eifersucht das Zärtliche verfolgend. Die Zartheit mit Verachtung strafen.
Jetzt merke ich, dass ich nicht wie mein Vater bin. Dass ich mich nicht mehr länger so wie er benehmen muss. Wie ein Verrückter, permanent Verfolgter.
Als ich so unvorstellbar große Angst bekam, dir gegenüber. Dass ich deshalb die Zärtlichkeit aufgab und mich dafür verachten lernte. Deswegen war mein Zorn so schwach.
Die Ablenkung von meiner Angst. Das war der Sinn des Traums, dem ich wie keinem anderen nachging. Mein Vater zwingt mich in die Knie, und ich, ich schaue eifersüchtig zu dem Jungen auf dem Rasen stehend hin, den Vater für den besten Leichtathleten hält. Weil der sich schinden kann und das auch will. (Weil der auch keinen Zorn verriet)
Wenn man die Grausamkeit der Anpassung an Eltern ohne Zärtlichkeit dann endlich spürt, kommt Zorn von ganz allein. Wenn es nach dir gegangen wäre, Vater, dann hätte nie ein Kind was von der Grausamkeit der Eltern gegen ihre Kinder ausgerichtet.
Jetzt leg mal eine andere Platte auf!
Als hätte diese große Wut mich vom Bösen geläutert, von Hoffnung entleert, öffnete ich mich angesichts dieser Nacht voller Zeichen und Sterne zum erstenmal der zärtlichen Gleichgültigkeit der Welt. Als ich spürte, wie ähnlich sie mir war, wie brüderlich letzten Endes, habe ich gefühlt, daß ich glücklich gewesen war und daß ich es noch war. Damit sich alles erfüllte, damit ich mich weniger allein fühlte, brauchte ich nur zu wünschen, daß am Tag meiner Hinrichtung viele Zuschauer dasein würden und daß sie mich mit Schreien des Hasses empfangen.
Albert Camus Der Fremde
Er schaut mich ohne Eifersucht jetzt an und etwas spöttisch, und deshalb übersehe ich die Regung, die es für ihn nur immer abzulehnen galt. Mein Leid ist meinem Vater lästig. Mein Leid ist ihm tatsächlich fremd, und deswegen bedrohlich. Doch nicht nur das. Er lehnte Traurigkeit vollkommen ab. Mein Vater konnte Traurigkeit gar nicht ertragen. Bei niemandem und ganz besonders nicht bei seinem Kind. Für Trauer hatte es bei Kindern keinen Grund zu geben. Er lehnte traurig sein bei einem Kind vollkommen ab. Ich wiederhole mich. Wie konnte ich das übersehen? Dass ich mich schließlich wegdrehte, wenn mir als Kind die Tränen kamen. In seiner Nähe niemals traurig sein, sonst wird der Vater spöttisch, ganz komisch, und seltsam, wenn er weggeht, und scheinbar ohne Grund noch etwas murmelt, von wegen lächerlich.
Du hast dich über meine Traurigkeit lustig gemacht und meine Furcht vor dir verlacht. Dann bist du einfach weg gegangen. Du wolltest gar nicht sehen, wie es mir dabei ging. Ich wurde nur verlacht, solange ich noch Traurigkeit verspürte.
Der schwarze Mann, der keine Regung zeigt. Der sich nicht einmal rührt, wenn alles auseinanderbricht, wenn alles rebelliert. Du blödes, dummes Arschloch, du hast mich auch noch ausgelacht, als ich vor dir am Boden lag und zitterte, um von dir wegzusehen. Weg sehen musste ich, weil ich die Fremdheit nicht ertrug. Du wurdest mir nur immer fremder, je länger ich dich so ertrug. Du hast die Trauer abgelehnt, als etwas wesensfremdes. Als etwas, das sich nicht gehört; als etwas, das nicht mir gehört.
Deshalb hab ich die Trauer auch solang zurückgehalten, weil ich sie einfach immer wieder übersah, wie du mich einfach damit übersehen hattest können. Und meine ganze Kindheit war so voll davon. Und niemand wollte etwas davon wirklich mitbekommen. Von meiner Trauer über einen Vater, der davon gar nichts mitbekam. Der gar nichts vom Leid mitbekam und der auch gar nichts mitbekommen wollte. Und meine Traurigkeit erinnert an die Macht, die Vater über mich einst hatte. Mit dem Regime der Angst, das keine Gnade kannte.
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