Mephistopheles:
Ich bin der Geist, der stets verneint!
Und das mit Recht; denn alles, was entsteht,
Ist wert, daß es zugrunde geht;
Drum besser wär’s, daß nichts entstünde.
So ist denn alles, was ihr Sünde, Zerstörung, kurz, das Böse nennt,
Mein eigentliches Element.
Faust:
Du nennst dich einen Teil, und stehst doch ganz vor mir?
Mephistopheles:
Bescheidne Wahrheit sprech ich dir.
Wenn sich der Mensch, die kleine Narrenwelt
Gewöhnlich für ein Ganzes hält –
Ich bin ein Teil des Teils, der anfangs alles war
Ein Teil der Finsternis, die sich das Licht gebar
Das stolze Licht, das nun der Mutter Nacht
Den alten Rang, den Raum ihr streitig macht,
Und doch gelingt’s ihm nicht, da es, so viel es strebt,
Verhaftet an den Körpern klebt.
Von Körpern strömt’s, die Körper macht es schön,
Ein Körper hemmt’s auf seinem Gange;
So, hoff ich, dauert es nicht lange,
Und mit den Körpern wird’s zugrunde gehn.
Johann Wolfgang von Goethe Faust
Komm mir nur ja nicht näher. Sonst steckst du mich noch an.
Komm mir jetzt nicht zu nah, sonst stecke ich dich an.
Der Patient ändert sich erst, wenn er selbst die Verantwortung dafür übernimmt, daß er sich einmal dafür entschieden hat, sich der Macht zu unterwerfen. Denn genau diese Unterwerfung ist es, die sein autonomes Potential hat verkrüppeln lassen und die seine seelischen Deformationen bewirkte. Das ist auch meine Kritik an Alice Millers Sichtweise, obwohl ich ihr Werk für wichtig und bedeutsam halte. Sie argumentiert, als ob das Verständnis für die determinierenden Einflüsse bereits die Heilung bewirke. Tatsächlich führt das aber nur dazu, daß sich der Patient wollüstig im Spiegel des therapeutischen Verständnisses sonnt, ohne sich ändern zu müssen.
Arno Gruen Der Wahnsinn der Normalität
Verneinung als Gehorsam. Verneinen ist gehorsam sein. Mich zu verneinen, heißt gehorsam sein. Um mein Gefühl der Schwäche und Empfindung zu verneinen, muss ich gehorsam sein. Mich vor den Vater hinzuknien, um mir und allem was ich fühle, abzuschwören. Mich unterwerfen. In den Staub. Mich selbst zu Erde und zu Asche machen. Verneinen ist gehorsam sein. Später dann alles zu verneinen, was an die Unterwerfung auch erinnern kann.
So wie du in den Wald schreist, so schallt es dir zurück.
Sie konnte nicht ertragen, dass ich noch überhaupt was sagte. Gleich ganz zu schweigen von der Wut. Gleich ganz zu schweigen von der Nähe. Um ganz zu schweigen von der Zärtlichkeit. Um ganz zu schweigen von Gefühlen. Die Abneigung und Unterwerfung ganz verschweigen. Und ganz zu schweigen von Kritik. Sich äußern war doch schließlich schon ein Fehler. Wenn sie mich hinlegte, und ich dann zu ihr kroch.
Saß hinter einem Vorhang auf dem Boden und aß blind Schinken aus der Hand. Und wieder wurde meine Mutter böse. Auch Rückzug musste ungehorsam sein.
Wie Vater lächelte und meine Mutter nickte. Das war es dann. Nur Spiegelbilder der Verneinung. Damals als meine Oma starb. Da hab ich kein Gesicht gesehen, das sich mit mir verstand. Mich konnte ich nicht trösten.
Tatsächlich führt das aber nur dazu, daß sich der Patient wollüstig im Spiegel des therapeutischen Verständnisses sonnt, ohne sich ändern zu müssen.
Arno Gruen Der Wahnsinn der Normalität
Wie einfach jemand von Erfahrung spricht, der niemals den Gehorsam unter Schmerzen kennen lernen musste.
Jetzt weiß ich wieder wie das war. Wie ich nicht schlafen konnte, mein Mund in Flammen stand und meine Backen so weh taten, wie mir die Mutter immer wieder Ruhe nur versprach, dass ich mich ruhig halten sollte, und mir tat alles weh. Wie ich allein und ruhig bleiben sollte. Doch meine Oma kam dann an und kraulte meinen Kopf, als mir mein Hals, die Zähne und mein Hals und selbst die Ohren so weh taten, dass ich gar nicht verstand, was sie mir damals sagten. Doch meine Oma fasste mich an meinen Haaren an und strich darüber. Das tat nicht weh. Das war die einzige Gelegenheit, als ich allein in meinem Bett und diesmal auch noch krank, den Schmerz und meine Einsamkeit nicht mehr verneinen musste.
Sie gehen so weit, zu sagen, das Vierte Gebot verursache körperliche Krankheiten. Wie erklären Sie diesen Zusammenhang?
Was uns krank macht, ist die Unterdrückung der authentischen Gefühle. Wir unterdrücken unsere echten Gefühle aus Angst. Die unbewusste Angst des Kindes vor den gewalttätigen Eltern kann das ganze Leben wirksam bleiben, wenn wir uns mit Hilfe der Verleugnung weigern, uns mit dieser Angst zu konfrontieren.
Aus: Alice Miller im Gespräch mit Borut Petrovic Jesenovec für das slowenische Magazin ONA, Juni 2005
Der Widerspruch
AM: Ich wüsste nicht, weshalb man schöne Erinnerungen verdrängen müsste. Es ist doch nur der Schmerz, der uns zur Verdrängung gezwungen hat. Aber der Gedanke, dass es so wenig oder nichts Gutes gegeben hat, ist natürlich auch schmerzhaft. Daher suchen Sie vielleicht nach „Literatur“. Es ist wunderbar, dass Sie den Mut haben, die Wahrheit zuzulassen und Ihre Gefühle zu leben. Die Angst vor der eigenen Lebendigkeit hat Sie ja so lange daran gehindert, weil man Ihnen diese und das Leben überhaupt, die Freiheit, die Freude, nicht gegönnt hat. Wie sollen da schöne Erlebnisse möglich gewesen sein? Vielleicht höchstens Naturerlebnisse, die nicht bedrohlich waren?
Alice Miller, Antwort auf: Kann man auch gute Erinnerungen verdrängen? Wednesday 29 August 2007
Ich war fünf Jahre alt, als mir die Oma über meinen Kopf gestrichen hat. Zwei Jahre später hatte ich dann wieder eine Mandelentzündung. Nur dieses Mal war meine Großmutter dafür, dass sie mir meine Mandeln doch im Krankenhaus wegoperieren sollten. Zum Trost bekäme jedes Kind ein Eis. Zu jeder Mahlzeit würde es das geben. Die Angst vor einem Krankenhaus war schon in mir, seitdem ich dort mit zwei das erste Mal gewesen war.
Doch die Entzündung heilte schließlich wieder ab. Ich habe meiner Oma nie vergessen und verziehen, dass sie mich auch abschieben hatte wollen. Ich hatte eine solche Angst, weil ich nie wieder was erleben wollte, was ich schon einmal so erlebt hatte; im Krankenhaus. Als meine Mutter mich verriet und einverstanden war, mich notfalls einfach wegzugeben, in ein Sanatorium, notfalls auch mit Gewalt, wie eine Schwester noch gesagt hatte.
Solange suchte ich vergeblich nach Entschuldigung. Niemand nahm mich in seinen Arm, niemand nahm mich an meiner Hand oder berührte meinen Kopf und strich mir über meine Haare. Niemand war da, der mir geholfen hat und mich getröstet hatte. Niemand war da, der mir ansah, wie schrecklich leid mir das, wie weh mir das getan hatte, dass ich die Oma nicht mehr sah, dass ich die Oma nicht mehr sehen wollte. Nicht in ein Krankenhaus, war in mir ohne wenn und aber. Erst jetzt fällt mir das ein, dass was für meine Oma galt auch für mich hätte gelten können. Sie ist mir gut und schickt mich weg. Sie war dafür, dass sie mich operieren würden. Sie hatte mich alleine weggeschickt. Das haben wir uns beide angetan. Dabei war ich zehn Jahre alt und mich bewarfen sie mit Schuld und Vorwürfen. Ich hätte doch die Liebe meiner Oma nur verraten. Und die Erbärmlichkeit anklagender Gesichter, und im besonderen das meiner Tante, der Tochter meiner Oma. Was haben die mich angeklagt später, nur weil ich meine Angst nicht mehr verneinen konnte.
Narzissmus war das nicht. Auch nicht Vermeidung eines Schmerzes. Auch nicht der Widerhall auf eine Unterwerfung. Das war die schiere Angst und deshalb habe ich die Liebe meiner Oma später dann vergessen. Doch diesen Stein, den alle immer auf mich warfen, den hatte ich schon längst mit mir herumgeschleppt, ganz nah an meinem Herzen, weil niemand mir gestattet hat, auch einmal rückhaltlos für mich selbst da zu sein, und nicht nur immer für die Mutter und den Vater und die anderen.
Ich konnte damals nicht gehorsam sein. Es war das erste Mal, dass ich das nicht gekonnt hatte. Dass ich mit allem Mut, mit allem was ich geben konnte, mich gegen den Besuch der Sterbenden gewehrt hatte. Das erste Mal und dafür habe ich mir Schuld selbst aufgeladen. Denn Ungehorsam hieß für mich, nur selbst schuldig zu sein und Schuld für alles spätere dann selber haben.
Solange du das tust, was wir dir sagen, wird dir auch nichts passieren.
Ich hatte das geglaubt. Bis dass der Tod uns scheiden würde.
Und deshalb zitterte mein Herz und meine Beine und deshalb flackerte mein Blick, mein Gaumen wurde trocken. Wenn ich mich später nur zur Wehr setzte, wenn ich so ungehorsam war, wenn ich auch ungehorsam wurde, ohne zu ahnen oder zu wissen, was mich ergriff, genauso wie am Anfang, als mir die Mutter meine Wut zerschlug. Wie Vater, als er mich ermahnte, nicht länger Widerstand zu leisten. Und keine Widerrede. Jetzt Schluss mit Ungehorsam. Nur keinen falschen Mut. Wie Mutter Feigheit selbst verteidigt hatte.
So wurde Wut zum ungehorsam sein. Und Ungehorsam wurde Wut. Für Vater und für meine Mutter.
Erst ungehorsam gegen den Gehorsam sein und somit gegen meine Eltern sein, kann meine Angst verhindern, wenn ich Jahrzehnte später, und kein Kind mehr, mich gegen die Verneinung meiner Schmerzen, Ängste, endlich stelle und so wehre.
Ich weiß noch nicht einmal, ob meine Oma wirklich wollte, dass ich sie besuchen kommen sollte. Was hat mich meine Mutter angelogen, ohne dass ich das überhaupt bemerkte.
Und ein Erwachsener, der ein Kind liebt, verlangt doch nicht, dass man sich quält und sich selbst vorwirft dann ein Leben lang, dass man die Angst selbst untergräbt. Die Mutter machte mich mit Angst so schuldig. Das hatte sie schon immer so getan. Die Angst, dass ich sie viel zu wenig lieben würde.
So ging ich ganz allein zum Leichenschauhaus später. Das war nach Omas Tod. Der unbekannte Schrecken, der in mir nagte und mich biss. Der mir in meinen Magen schlug und mich nicht mehr verließ. Wie ist das jetzt? Wie ist der Tod? Das nie mehr Wiederkehren ohne Abschied. Kann man mit Abschied wiederkommen?
Verneinung und Aufforderung. Tu das, von dem ich dir abraten kann.
Du wirst schon sehen, was passiert.
Hab ich dir nicht gesagt, du sollst da nicht hingehen.
Ein Mensch, der ein Kind liebt, verlangt doch nicht, dass es sich quält. Dass es gehorchen muss, wenn es sich doch zu Tode ängstigt.
Ist der, der sein Kind liebt, im Grunde nicht gehorsam?
Sehn Sie, jetzt kann er nicht mehr einschlafen. Jetzt liegt er wieder wach, sagt meine Mutter meiner Oma, nachdem sie mich besucht hatte. Für Mutter war die Liebe ungehorsam sein. So habe ich das also auch verstanden.
Linda … tötete sich selbst, berichteten Polizisten heute, um ihren Hund Beauty nicht strafen zu müssen. Ich habe sie getötet. Ich habe sie getötet. Es ist genauso, als hätte ich selbst sie getötet, so zitierte ein Kriminalbeamter ihren niedergeschlagenen Vater. Ich gab ihr die Waffe. Ich habe niemals gedacht, dass sie so etwas tun würde … Linda kam nach einer Tanzveranstaltung in Tempe am Freitagabend nicht nach Hause. Am Samstag gab sie zu, die Nacht mit einem Leutnant der Luftwaffe verbracht zu haben. Die Eltern beschlossen eine Strafe, die Linda eine Lehre sein sollte. Sie befahlen ihr, den Hund zu erschießen, der ihr seit zwei Jahren gehörte. Am Sonntag brachten sie Linda und den Hund in die Wüste in der Nähe ihres Hauses. Das Mädchen musste ein Grab schaufeln, dann hielt die Mutter den Hund fest. Der Vater gab seiner Tochter eine Pistole und befahl ihr, den Hund zu erschießen. Stattdessen setzte das Mädchen aber die Pistole an ihre rechte Schläfe und erschoss sich selbst.
Aus: Verrat am Selbst Arno Gruen
Gutgläubigkeit ist doch die schlimmste Art von Krankheit, die man gehorsam und verbunden mit der Grausamkeit und Qual in ein Kind schaffen kann. Dem Kind die Schuld für etwas aufzubürden, wofür es gar nichts kann,
Was zittern und erschrecken für den Körper heißt, zusammenzucken, unwillkürlich hochfahren, wie rausgerissen werden aus dem Schlaf. Wie eine Stimme, mehrere und dann auch wüste Töne und ein Laut, ein Schuss, und was noch alles so erregen kann. Und das muss nicht mal hörbar sein, scheinbar auch grundlos im Gehirn geboren: Hör zu. Schau zu. Pass auf. Tritt da nicht hin. Sonst setzt es was. Und du? Und der und sie und alle doch. Das also war die Intention, der Grund, warum sich selbst die Spitzen meiner Haare wehren wollten und aufstellten. Gehorsam sein. Mach dich bereit. Sonst folgt die Strafe auf dem Fuße. Ich hatte Angst nicht vor mir selbst. Ich hatte Angst, es könnte etwas in mir sein, das nicht gehorsam sei, das sich ganz automatisch gegen meine Eltern wenden könnte, auch ohne mein Zutun.
Ich hatte Angst vor ungehorsam sein.
Wie still wird dann aber der Mann um die sechste Stunde! Verstand geht dem Blödesten auf. Um die Augen beginnt es. Von hier aus verbreitet es sich. Ein Anblick, der einen verführen könnte, sich mit unter die Egge zu legen. Es geschieht ja weiter nichts, der Mann fängt bloß an, die Schrift zu entziffern, er spitzt den Mund, als horche er. Sie haben gesehen, es ist nicht leicht, die Schrift mit den Augen zu entziffern; unser Mann entziffert sie aber mit seinen Wunden.
Franz Kafka In der Strafkolonie
Wie eine Egge schnitten ihre Worte in mein Aug.
Wie eine Egge schnitt die Angst vor Ungehorsam in mein Fleisch.
Wie eine Egge schnitt die Furcht in mich. Vor meinem ungehorsam sein. Und meine Augen wurden immer blauer und verängstigter. Zerschnitten sah ich blauen Stahl. Mit Sicht auf nichts als ungehorsam sein. Dafür wird man bestraft. Für den Gedanken und die Furcht und schon allein für das vorhanden sein der Furcht. Denn ohne Rauch kann gar kein Feuer sein. Die Mutter und der Vater hatten das gesagt. Die Furcht hat nur, wer ungehorsam war. Denn wer gehorsam war, hat keine Furcht. Der hat nichts zu befürchten. Wer fürchtet sich? Nur wer etwas verbrochen hat. Hat was auch zu verbergen. Die Logik der Maschine: Qual. Die Mutter und mein Vater hatten sie für mich entworfen. Und wie sie immer weiter funktionieren sollte. Aus Sucht, nach ungehorsam und gehorsam sein, wird ohne Liebe, Sadismus und sich quälen lernen.
Narzisstisch und gehorsam sein, hat mit Liebe nichts zu tun. Denn was habe ich versucht damit Liebe zu erreichen. Mit Gehorsam und Narzissmus wird man den Sadismus und sich selbst zu quälen aber nicht mehr los. Denn Narzissmus und Gehorsam haben nichts zu tun mit Liebe. Liebe, mit Sadismus und sich quälen zu erreichen, ist unmöglich. Was die Mutter und mein Vater mit Gehorsam mir beibrachten, tötete die Liebe nämlich.
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