Ich werde nur gemocht, wenn ich die Liebe ablege. Freiheit und Freude ablegen. Wenn ich mich davon trenne, von meiner Einstellung. Wie ich die Flügel in mir brach.
Vom Trennungsschmerz.
Vom Trennungsschmerz geweckt, werde ich wach.
Bestimmt von meiner Angst, die Mutter zu verlieren, gab ich dem Vater meine Liebe immer mehr. Er wollte sie nicht haben.
Vom Schmerz jetzt aufgewacht und immer wieder wach geworden. Vom Schmerz selbst wach geworden. Vom Zorn. Der mich dann auch erinnert hat, was es bedeutet, endlich wach zu sein und nicht nur immer weiter weg zu dämmern. Was es bedeutet, nicht mehr stumm vor Angst zu sein, vor Ehrfurcht nicht mehr starr werden. Ehrfürchtig schlich ich weg. Hielt still. Verharrte. Ich kam nicht mehr vom Fleck. Ich fand nichts vor in mir. Da war gar keine Regung, die mich mochte.
Hat dein Vater nie was für dich gemacht, fragt sie.
Nein.
Nie etwas für dich, fragt sie.
Nein.
Hast du nie etwas zu Weihnachten bekommen, was du dir gewünscht hast, fragt sie.
Nein. Ich habe etwas bekommen. Ein Fahrrad, das teuer war, aber nicht das, was ich mir gewünscht hatte.
Hast du wirklich nie etwas bekommen, was du dir gewünscht hast, fragt sie.
Du kannst noch ewig weiter fragen, aber ich werde dir nichts anderes darauf antworten, sage ich und schaue zornig.
Hast du nichts von deinen Eltern bekommen, fragt ihr Sohn, 8 Jahre alt.
Ich stutze.
Und da lacht sie.
Das ist doch nur ein Scherz. Dass er dich das fragt, sagt sie.
Der Sohn, der Zorn und Wut ins Lächerliche zieht und Abwehr schafft. Der Mutter beizuspringen, ihr so zu helfen.
Sie empörte sich gar nicht. Keinerlei Empörung darauf, dass ich immer wieder sagte, nichts habe ich als Kind bekommen. Nichts hat er mit mir gemacht. Nichts hat er für mich gemacht. Gar nichts war dabei gewesen.
Furchtsam vor Zorn, furchtsam vor Wut.
Wie meine Mutter, die immer wieder nachfragte. Gleich wie sie mich abgebracht hatte vom Zorn und von der Wut, weit weg und immer weiter weg von den Gefühlen.
War denn alles falsch, was wir gemacht haben!? Gab es denn nichts gutes? Wir haben doch so viele Ausflüge gemacht. Kannst du dich denn nicht an etwas schönes erinnern?
Damit ich weiter suche, suche, und nie finde. Weil Schmerzempfinden fehlt. Weil ihr Interesse nicht bei mir liegt. Weil ich zuhören soll. Weil ich ihr bestätige, dass sie Glück hatte.
Hat er wirklich nichts getan? Hat er wirklich nichts gemacht für dich!?
Fragen nach der Abwehr.
Meine Trennungsschmerzen sind die Fragen meines Körpers, Fragen eines Körpers nach dem nie gefühlten Zorn.
Pass auf!
Sie zwangen mich zum Nachdenken. Sie zwangen mich zur Achtsamkeit.
Pass auf, was du jetzt sagst!
Die Frage vor dem Zorn. Infragestellung des Gefühls. Sie machten mir so Angst.
Du bist ein Spitzbube, sagt sie und er. Du bist ein echter Schlingel.
Jetzt lächeln sie, weil ich mich lächerlich vor ihnen mache. Weil ich schon lächle, später lachen muss, wenn Zorn aufsteigt nach Schmerz und Wut und Trauer.
Ich wollte keine Fragen mehr. Ich wollte keine Lügen mehr antworten.
Mächtiger Unwille.
Da hast du dich ja sauber in die Nesseln gesetzt. Das ist ja ein schöner Schlamassel.
Nur ja nicht Vater ärgern, dachte ich.
Ich sollte niemand ärgern. Ich sollte niemand Ärger machen. Ich sollte niemals meiner Mutter Ärger machen. Ich sollte niemals meinem Vater Ärger machen. Dass ich mich nicht empören soll, das wusste ich gar nicht. Dass Ärger auch Empörung ist.
Mach uns nur keine Schande. Wenn du was sagst. Du redest erst, wenn dich wer fragt. Hörst du. Niemals unaufgefordert. Du hebst zuerst die Hand, wenn du ganz sicher bist. Verstehst du mich. Man redet nicht vor einem Lehrer einfach los. Man meldet sich. Verstehst du das!
Mach uns nur keinen Ärger.
Ich suchte immerzu nach einer Möglichkeit, den Eltern Ärger zu ersparen.
Wie ist das möglich, dass das so lange unentdeckt in einem bleibt, dass man die Eltern niemals ärgern sollte?
Von Anfang an, war meine Mutter ärgerlich. Ich trug den Ärger ahnungslos mit ihr. Ich machte scheinbar meinen Eltern Ärger; und immer schon für ihr Gesicht. Die Mutter war schon immer ablehnend. Ich war das böse Kind und meine Mutter war die Gute. Die Heilige, der Engel, der sich aufopfert, der Vaters Willen kundtat und verbreitet hatte.
Vor mir verschwindet Zorn. Mutter und ihre Lügen. Maskierter Zorn war immer schon in ihren Zügen. Vor allem um die Augen Zorn. Sie war nie ohne Zorn. Ich habe das ertragen. Ihr Zureden.
Du musst auch deinen Vater mal verstehen. Er tut doch alles mögliche.
Nur keinen Zorn.
War denn nichts gut. War alles denn nur schlecht. Gibt es denn nichts was angenehm für dich gewesen wäre?
Jemand unter seine Fittiche nehmen.
Jemand unter seine Fuchtel nehmen.
An dem großen gelben Fluss da saß ein Mann
dass er traurig war, das sah man ihm gleich an
auf dem Baume neben ihm, saß ein Vogel und es schien
dieser Mann singt sein Lied nur für ihn.
Flieg nicht so hoch mein kleiner Freund
die Sonne brennt dort oben heiß
wer so hoch hinaus will der ist in Gefahr
Flieg nicht so hoch mein kleiner Freund
glaub‘ mir ich mein es gut mit dir
keiner hilft dir dann, ich weiß es ja
wie’s damals bei mir war.
Über’m Fluss kam die Nacht schon angekrochen
und die beiden saßen noch am gleichen Platz
und er sang vom roten Sand und dem großen fernen Land
und vom Glück das er leider niemals fand.
Flieg nicht so hoch mein kleiner Freund
die Sonne brennt dort oben heiß
wer so hoch hinaus will der ist in Gefahr
Flieg nicht so hoch mein kleiner Freund
glaub‘ mir ich mein es gut mit dir
keiner hilft dir dann, ich weiß es ja
wie’s damals bei mir war.
Und am Morgen stand der Alte an der Straße
und er winkte doch die Autos fuhrn vorbei
als er dann den Tränen nah, einen toten Vogel sah
glaubte er, dass dies sein Freund von gestern war
Flieg nicht so hoch mein kleiner Freund
die Sonne brennt dort oben heiß
wer so hoch hinaus will der ist in Gefahr
Flieg nicht so hoch mein kleiner Freund
glaub‘ mir ich mein es gut mit dir
keiner hilft dir dann, ich weiß es ja
wie’s damals bei mir war.
Flieg nicht so hoch mein kleiner Freund, Nicole
Wie furchtbar anstrengend das ist, sich nicht zu freuen, sich immer achtsam gebend, sich niemals frei geben, sich niemals freizulassen, sich niemals frei zu fühlen dürfen. Nur in Gefahr zu sein, ein Leben lang und auch vermeintlich über seinen Tod hinaus, noch für die Trauer eines Mannes, eines Vaters, einer Frau und Mutter, nur unentwegt dafür, noch tot, schuldig zu sein.
Immer wieder Luft anhalten. Zorn anhalten. Innehalten.
Ich wartete auf Bosheit. Wenn an mir jemand vorbei geht, dachte ich, vielleicht spuckt er mich an. Ich erwartete Bosheit, keine Freundlichkeit. Ich wartete darauf, dass mir jemand schadet, mir weh tut, nur so.
Zorn einfrieren. Freude abkühlen, ertrinken, untergehen lassen. Unbemerkt verschwinden lassen.
Ikarus
Erschreckend ist nicht der Hass, es ist die Erkenntnis, dass ich als Kind meine Liebe abzog und abtöten musste, um meine Angst zu schmälern und zu verkleinern. Erschreckend ist, dass mir Liebe fehlte, nicht nur wie wenig und wie selten sie da war, dass sie nie da war, wenn ich Angst hatte, dass nie wer bei mir war mit Liebe, Trost, Verständnis, solang ich schrie, solange ich noch um mich weinen konnte. Deswegen malte ich stets zwei Figuren auf ein Bild, damit das Kind nicht mehr alleine ist, das ich mal war.
Boshaft: geneigt, anderen Ärger zuzufügen, andere in Verlegenheit zu bringen, sich über die Verlegenheit, den Ärger eines anderen freuend.
Die Strategie. Die Infamie. Wie das den Zorn beseitigt, indem es jede Freude tötet. Wenn etwas gut ist, nur ein Teil und winzig wie ein Wellensittich, dann ist der Zorn niemals erlaubt. Nur wenn es keinen Ausweg gibt, dann wäre ein Gefühl erlaubt. Solange aber etwas scheinbar noch zu kitten ist und zu verändern hin, zum Guten und Erhabenen, solange kann es keinen bösen Vater geben. Solange redet meine Mutter. Mit Engelszungen redet sie. Das ist die Aufgabe des Engels. Zorn zu verhindern. Zorn immer nur verhindern.
Nur ja nicht ärgern! Nur ja nicht ärgern! Nur ja nicht ärgern! Nur ja nicht ärgern! Nur ja nicht ärgern! Nur ja nicht ärgern! Nur ja nicht ärgern!
Nur ja nicht ärgern! Nur ja nicht ärgern!
Nur ja nicht ärgern!
Nur ja nicht ärgern!
Die Mutter so zu heiligen. Den Vater so zu ehren.
Nur ja nicht ärgern!
Ich sprach wie jedes Kind, unhörbar in mir weiter, doch unaufhörlich von der Sprache meiner Eltern zehrend, ernährte ich mich giftig.
Nur ja nicht ärgern!
Ich dachte später meine Mutter hätte Unfug mit mir gemacht und immer Unsinn auch mit mir getrieben. Als wäre meine Mutter Anarchistin, oder ein Freigeist, als hätte sie Humor bewiesen. Als wäre meine Mutter schalkhaft auch gewesen, spitzbübisch. Als hätte sie tatsächlich Unfug für mich übrig, tatsächlich etwas Liebe; wenigstens spaßeshalber für mich als Kind gehabt.
Dabei versteckte sie die Bosheit und Boshaftigkeit, ihre Verachtung für mich, indem sie lächelte und ihre Späße auch tatsächlich trieb, doch immer wieder nur um mich damit zu ärgern und zu erschrecken und zu entsetzen.
Die Mutter war entsetzlich.
Daidalos aber, indes langwierigen Bannes und Kretas
Müde geworden und heim nach dem Land der Jugend sich sehnend,
War umschlossen vom Meer. „Mag Länder er sperren und Wogen“,
Sprach er, „der himmlische Raum ist frei. Dort wollen wir ziehen.
Sei er von allem der Herr, nicht Herr der Lüfte ist Minos.“
Daidalos sprach’s und richtend den Geist auf neue Erfindung,
Ändert er schlau die Natur. Denn er stellt, von der kleinsten beginnend,
Federn zusammen in Reih‘, auf die lange die kürzere folgend,
Dass ungleich man sie wähnte gesprosst. So geht in die Höhe
Mit dem verschiedenen Rohr allmählich die ländliche Flöte.
Unten verband er sie dann mit Wachs, mit Zwirn in der Mitte,
Und die vereinigten bog er in wenig bemerklicher Krümmung,
Wirklichen Fittichen gleich. Nah stand bei dem Werke der Knabe
Ikaros, der ohn‘ Arg, mit welchen Gefahren er spielte,
Bald mit lachendem Mund, wenn wehende Luft sie gehoben,
Federn erhaschte im Flug, bald auch mit dem Daumen geschmeidig
Drehte das gelbliche Wachs und den Vater im Wundergeschäfte
Störte mit kindlichem Spiel. Wie an das Beginnen die letzte
Hand er gelegt, hebt selbst auf den beiden gefertigten Flügeln
Wägend der Künstler den Leib und schwebt im geschlagenen Luftraum.
Weisung erteilt er dem Sohn und spricht: „In der Mitte des Weges,
Ikaros, bleib, dass nicht dir Wasser beschwere die Schwingen,
Wenn zu niedrig du gehst, zu hoch, sie versenge das Feuer.
Fliege von beiden entfernt. Auch sieh nicht nach dem Boote
Oder nach Helike hin und dem drohenden Schwert des Orion.
Halte die Bahn mir nach.“ Auch nützliche Lehren im Fliegen
Gibt er ihm noch und fügt an die Schultern das neue Gefieder.
Unter dem Tun und der Warnung benetzt sich die Wange des Greises,
Und ihm zittert die Hand. Nun küsst er den Sohn, um ihn niemals
Wieder zu küssen hinfort, und empor von den Schwingen getragen
Fliegt er voran, voll Angst um den anderen, ähnlich dem Vogel,
Der in die Luft aus dem hohen Genist die Jungen hinausführt;
Nachzukommen ermahnt er und lehrt die verderblichen Künste,
Schwingt mit den Flügeln sich selbst und blickt nach den Flügeln des Sohnes.
Mancher, indem er mit schwankendem Rohr nachtrachtet den Fischen,
Oder ein Hirt auf den Stab, ein Pflüger gestützt auf die Sterze,
Sieht sie und staunt und vermeint, die im Aither vermöchten zu schweben,
Müssten Unsterbliche sein. Schon lag die iunonische Samos
Links für das fliegende Paar, das Delos verlassen und Paros,
Rechts war Lebinthos vom Weg und die honigreiche Kalymne:
Als am verwegenen Flug sich der Knabe begann zu ergötzen,
Keck den Führer verließ und von Lust nach dem Himmel verleitet
Höheren Weg einschlug. Weich wird von der Nähe der heißen
Sonne das duftende Wachs, die bindende Fessel der Federn.
Weg war geschmolzen das Wachs: noch schwingt er die nackenden Arme,
Aber des Ruders beraubt kann Luft nicht weiter er fassen,
Und es empfängt den Mund, der schreiend den Namen des Vaters
Nannte, die bläuliche Flut, die drauf nach dem Knaben genannt ward.
„Ikaros, Ikaros, komm!“, so ruft der bekümmerte Vater,
Nicht mehr Vater anjetzt. „Wo bist du? Wo soll ich dich suchen?
Ikaros!“ schallt sein Ruf. Da sieht er im Wasser die Federn
Und er verwünscht die erfundene Kunst und bestattet den Leichnam,
Und vom bestatteten Leib ist der Name verliehen dem Eiland.
Ovid : Daedalus und Ikarus (Metamorphosen – 08, 183-235)
Man kann nicht ein Gefühl haben und ein anderes gleichzeitig abwehren. Man kann ein Gefühl nicht abwehren, wenn man es fühlt. Man kann nicht etwas fühlen und es nicht verstehen. Wer etwas fühlt, versteht auch das Gefühl.
Ein Schuldgefühl, das mich Jahrzehnte lang nicht losgelassen hatte. Ich hatte mal als Kind einen Freund beschimpft, der keinen Vater hatte.
Was willst denn du, du hast doch nicht einmal einen Vater.
Aber ich kann doch nichts dafür, sagt Robert.
Zornig war ich auf meinen Vater, der seinen Vater auch verloren hatte. Zornig war ich auf meine Mutter. Zornig war ich auf meine Eltern, doch durfte ich davon nichts mitbekommen. So sprang mein Zorn auf Sündenböcke über.
Niemand interessierte sich für den Gefallenen, den Ikarus, der selbst aus allen Wolken fiel, der seine Freude büßen sollte, für seinen Vater mit dem eignen Leben. Niemand empörte sich für dieses Kind, den Sohn, der nichts für die Verbrechen seines Vaters konnte; gar nichts. Niemand empörte sich, weil niemand seinen Zorn entdecken konnte. Weil niemand Schadenfreude bemerken wollte, über den Tod des Kindes; Ikarus.
Hab ich dir nicht gesagt, du sollst nicht so hoch fliegen! Hab ich das nicht gesagt. Wer hoch hinaus will, begibt sich automatisch in Gefahr. Hab ich das nicht gesagt!?
Ich hatte als Kind nie Erfolg bei meinen Eltern. Nichts was ich fühlte und ausdrückte, mochten sie. Weil alles meine Eltern ärgern konnte, das nicht zahm war und zahnlos Folge leistete. Ich war der Flügellahme, weil mir der Vater meine Federn stutzte. Weil mir die Mutter meinen Schneid abkaufte. Weil mich mein Vater unter seine Fittiche nahm. Ich wurde flügellahm unter dem Mantel des Gehorsams meines Vaters. Die Eifersucht auf alles kindliche und schwache, selbstgenügsame, auf alles freie, kreative Spiel, auf jede Freude. Ich war erfolglos mit der Freude. Mein Vater wollte sie nicht. Mein Vater konnte Freude nicht gestatten.
Was er mir beibrachte, was meine Mutter immer wieder anmahnte, dass nur Gehorsam Schutz bieten würde. Dass mein Gehorsam meinem Vater gegenüber, ihm folgen und befolgen, was er auch sagt, mir Schutz bietet und später auch Erfolg versprechen kann. Dass nur gehorsam sein, Erfolg verspricht, ist eine glatte Lüge.
Die größte Illusion, die größte Lüge aller Zeiten: Gehorsam sein, könnte ein Kind befreien. Und ungehorsam sein würde einem Kind nur schaden und Schmerz bereiten, wenn es sich freut und freuen kann, und plötzlich doch hinfällt. Gehorsam sein müssen und immer wieder folgen, macht Freude hin und tötet die Gefühle. Mein Vater brachte mir das bei, dass wenn ich ungehorsam sein würde, mir Unheil und Gefahr dann drohten. Die Einsamkeit, allein sein müssen, untergehen, das alles war bedrohlich und Folge meines ungehorsam seins. Nur wer gehorsam seinem Vater folgen würde, könnte das Unheil meiden.
Ein kleines Mädchen hüpft und springt und freut sich und fällt hin. Es weint.
Josefa, hüpf halt daheim und nicht in der Stadt, sagt der Vater oder Großvater.
Plötzlich merke ich, dass das Gefühl, angenervt zu sein und angewidert sein, auf alles und auf jeden, der nach Trost und Freundlichkeit noch sucht, von meinem Vater stammt. Wie mir die Verachtung meines Vaters alles verderben konnte. Wie ich mir später alles dann verdarb. Wie ich dann später nichts so sehr beherrschte, wie das Verderben. Verheerend seine eigene Freude und die aller anderen nur zu verderben. Deswegen hielt mein Vater still und sagte nichts, wenn mir jemand die Freude stahl. Er war genauso tot. Er war der gleiche Freude tot Schläger. Nur fiel mir das nicht auf, weil er ja immerzu Bewegung predigte, als unabdingbaren Bestandteil für die Erziehung eines Jungen, der einmal ein richtiger Mann würde. Hart wie Kruppstahl. Zäh wie Leder. Flink wie ein Windhund. Ich sollte mich für meinen Vater schinden. Bewegung, Sport war nur etwas in seinen Augen, wenn man sich dabei auch verausgabte, wenn man trainierte bis man völlig fertig war. Erfolg war nur was wert, wenn er mit Schmerzen und mit Schinderei verbunden war. Nur die Verleugnung der Gefühle machte Erfolg für meinen Vater wertvoll. Dass er im Grunde jedes Glück damit unmöglich machte, weil er die Freude doch bei jedem Tun verdarb, das merkte ich nicht wirklich. Als er mit mir am Sportplatz immer wieder Starten übte, solange bis ich nicht mehr wollte, war er beleidigt. Er war beleidigt, als ich aufhörte. Er war beleidigt, weil ich für ihn nicht den notwendigen Erfolgswillen zeigte. Er war verärgert, weil ich mich nicht länger von ihm schinden lassen wollte.
Hör auf, sagt er. Ich merke schon, dass das nichts wird. Du willst nicht wirklich hart arbeiten. Ich habe meine Zeit auch nicht gestohlen.
Ich sollte ihm die Möglichkeit verderben. Und ich verdarb ihm seine Laune. Ich ärgerte ihn also damit. Sein angewidert sein, Verachtung für das Schwache, Schwächliche, das waren immer nur die anderen. Mir fiel mein Zorn nicht auf, ich konnte ihn dem Vater niemals zeigen, wie sehr mich die Verachtung wütend machte. Wie sehr er mich mit seinem Wahnsinn hemmte und klein machte und mir die Luft zum Atmen nahm. Wie er mir Schaden zufügte und alle Freude nehmen und zerstören konnte. Er machte nicht nur alles schlecht, sondern er diffamierte alles Leichte, Lebende und Schwebende und Freudige, was Liebenswürdigkeit bedeutete.
Du bist verdorben durch und durch. Ihr alle seid verdorben durch und durch, sagt er dann Jahre später zu mir. Verdorben und verkommen durch und durch.
Und so wird der verleugnete, versteckte Zorn, mit dem Verderben und verderben, an Kinder, ideale Sündenböcke weitergegeben.
Gefühlter Zorn des Kindes aber, greift jene Lüge an, die sich moralische Entrüstung nennt und doch im Grunde nur das eine tut, das Leben eines Kindes zu verderben, bis es dem Leben seiner Eltern ähnlich wird.
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