Nur wenn mich nicht mehr hungerte, missfiel ich meiner Mutter nicht. Das ist ja lächerlich. Hör endlich auf mit deiner Spinnerei. Ich war so an Gewalt und Hohn gewöhnt, dass ich dann später auch nur Spott für Schmerzen und für Wunden übrig hatte. Ich schlug zurück für die geschlagenen Stunden, in denen ich mich wachgehalten hatte mit meinen Tränen. Sei endlich still! Sonst kommt der Schwarze Mann. Wenn ich ihr nicht gefiel, dann tat sie mir was an. Warum ich später auch gefallen hatte können, wenn mir ihm Grunde nichts gefiel. Sei endlich still. Mein immer wieder Anrennen, um immer wieder nur zurückgestoßen und allein gelassen zu werden. Sei endlich still. Ich hatte niemanden an den ich mich in meiner Not tatsächlich wenden hätte können. Werd nur nicht frech! Und spiel dich nicht so auf! Ich habe doch gar nichts getan. Das waren meine Schreie auch. Dein Weinen hilft dir nichts. Sie wollte mich loswerden. Jetzt kommt der Schwarze Mann. Dass mir nicht mehr zu helfen ist, damit bin ich dann immer aufgewacht. Die Träume vom Versagen und Versäumen und Verpassen irgendwelcher Züge, Termine, Prüfungen, Verabredungen. Aus mir vollkommen unbekannten Gründen, verpasste und versäumte ich den Anschluss. Als hätte ich mir alles ausgedacht, mir selber zuzuschreiben. Als hätte ich mir jeden Schmerz und Fehler ausgedacht. Als hätte ich im Grunde jeden Fehler absichtlich gemacht. Weil ich mich nicht befreien kann, weil ich mir selbst nicht helfen kann, weil ich mich nicht mal selbst erretten und verteidigen und mich nicht wehren kann. Dass ich mir selbst nicht helfen kann, dass das nur meine Schuld als Kind gewesen ist, das hatte ich mir eingebildet. Hab ich dir nicht gesagt, fass das nicht an. Hab ich dich nicht gewarnt. Sie freuten sich, dass mich die „Schuld“ getroffen hatte. Sie freuten sich, dass mich die „Schuld“ bestraft hatte. Die Schuld, von der sie immer wieder ausgegangen sind. Die Schuld, von der sie unentwegt gesprochen hatten. Mit Schadenfreude im Gesicht. Das hat mich so verrückt gemacht, dass jeder Fehler Schuld bedeuten konnte. Was bildest du dir ein?! Dass mir von Anfang an ein Recht auf Unschuld abgesprochen und verweigert worden ist. Wie gleich von Anfang an mein Leben immer nur von Schuld bestimmt gewesen ist. Weil immer nur Beschuldigungen mich beherrscht hatten. Endlich begreife ich, dass diese Schuld gar nicht in mir gewesen ist, auch nicht vom Himmel einst gefallen war, sondern von meinen Eltern zu mir kam. Sie wollten einen Sündenbock. Sie führten nie was anderes im Schilde. Sie haben nur nach Schuld gefragt. Sie haben nie was anderes erwartet. Ich konnte selber schließlich nach nichts anderem mehr suchen. Ich konnte selber an nichts anderes mehr denken. An Schuld und Mitschuld unaufhörlich. Das kann nicht sein! Kein Recht auf Unschuld und Verletzlichkeit. Kein Recht auf Schwäche und Verletzbarkeit. Ihr Vorurteil, dass es ein unschuldiges Wesen gar nicht gäbe. Kein Recht auf unschuldige Wut, auf unschuldiges Fühlen. Kein Recht auf unschuldige Tränen, auf einen unschuldigen Hunger, auf Sättigung, Erwartung und Erlösung von den Schmerzen. Kein Recht auf unschuldige Fragen und unschuldige Antworten. Was bildest du dir ein? Kein Recht auf unschuldige Bilder und unschuldigen Lärm. Was fehlt dir denn?! Kein Recht auf eine unschuldige Bewegung. Kein Recht auf Unvollkommenheit und Fehlbarkeit. Kein Recht auf Ruhe und Gelassenheit. Kein Recht auf Zärtlichkeit. Kein Recht auf Unvoreingenommenheit. Was bildest du dir ein?! Die Schuldigkeit hat mich nicht losgelassen. Die Suche nach der Schuldigkeit. Ich konnte nur mehr Schuld und Schuldigkeit erfassen. Die Suche nach den Schuldigen, die ließ mich nicht mehr los. Freu dich nur nicht zu früh. Werd nur nicht frech. Ich habe ihn nur angeschaut und nichts gesagt und nichts getan. Ich habe mich gar nicht bewegt, und er hat auf mich eingeschlagen. Gier nach Bestätigung. Verscherz es dir nur nicht. Überleg dir gut, was du jetzt sagst. Du zitterst ja. Du solltest dich was schämen. Schau mich gefälligst an, wenn ich mit dir rede. Dass jeder Schritt im Grunde falsch sein kann. Dass jeder Schritt im Grunde falsch sein muss, wenn ich noch ein Wort sage. Dass Falschheit an mir klebt und an mir hängt und schon von Anfang an in mir gelebt hatte. Endlich begreife ich, wie das in mich gekommen ist. Wie diese Falschheit von den Eltern in mich kam. Und dass ich immer falsch gedacht habe, in dem ich mir tatsächlich eingebildet hatte, sie hätten irgendwo doch recht. Das kommt davon! Der Schmerz, nur immer falsch zu liegen, für mich nur immer wieder falsch zu sein. Dass diese Wunde daher kommt. Verwüstung und Entwürdigung. Ich sei nur immer wieder selber schuld, wenn eine Wunde sich nicht schließt und sich nicht heilen lässt. Gleich kommt der Schwarze Mann! Sie wollten mir ja gar nicht helfen. Sie wollten mir nicht helfen in der Not. Das bildest du dir ein? Sie wollten mir nicht helfen. Sie haben es ja nicht einmal versucht. Sie wollten mir nicht einmal helfen. Was schreist du denn andauernd. Was ist nur mit dir los? Sie wollten es nicht einmal nur versuchen. Sie wollten mit mir nicht mal reden in der Not. Sie wollten gar nicht mit mir reden. Das war ja die Bestrafung. Geh in dein Zimmer und sei still. Du solltest dich was schämen. Sie haben mir von Anfang an mein Recht auf Selbstverteidigung verweigert und genommen. Wir wollten dir doch nicht weh tun. Die Träume von verpassten Zügen und den falschen Bahnsteigen, dass ich Prüfungen versäumte, und nichts begriff. Und keine Ahnung hatte, warum ich immerzu auf einem falschen Bahngleis stand, warum der Zug schon abgefahren war, warum ich ihn niemals erreichen konnte, warum ich ständig in die Irre ging, warum ich mich verirrte. Warum ich mich verirrt hatte. Ich konnte von den Eltern gar nicht weg, ich konnte gar nichts anderes begreifen, von meinen falschen Wegweisern, die mich von Anfang an nur angelogen und betrogen und beschuldigt hatten. Die mich von Anfang an falsch informiert hatten. Mit ihren Strafen und Beschuldigungen. Mit der Gewalt. Und ihrer Grausamkeit. Mit ihrer Unterdrückung. Ich konnte mich doch nur verirren. Ich war gar nicht im Stande, etwas für mich richtig zu machen, ohne Gefühl, ohne Verständnis, nur ignoriert, selbst ignorant bis dort hinaus schließlich. Gewalt und Furcht einflößend sein, das brachten sie mir bei, die schlechten Ratgeber. Die falschen und gefährlichen Wegweiser. Gewalt und Furcht einflößen. Ohne ein gutes Zeichen und Gefühl. Ich sollte ausgegrenzt und ausgeschlossen sein. Wenn ich nicht unempfindlich gegenüber ihren Strafen reagierte. Ich sollte mich ja ausgestoßen fühlen, endlich begreife ich. Das war ja ihre Absicht, dass ich mich ausgestoßen fühlte. Gleich kommt der Schwarze Mann. Der nimmt dich mit. Dann kannst du aber was erleben! Was mir von Anfang an so weh getan hatte, was mich verrissen und verrissen hat. Die Wunde, die sich niemals schließt. Wie Grausamkeit entsteht, wenn man die Wunde schließen muss, mit Lügen und Betrügen. Wenn man versucht, die Wunde zu verschließen, die sich nicht schließen lässt für so ein Kind wie mich; ohne geliebt zu werden. Wie man sich selbst betrügt, wenn man die Grausamkeit an sich selbst leugnet. Stell dich gerade hin. Ich konnte mich ja gar nicht ducken, als Vater mich ganz unvermittelt ins Gesicht geschlagen hat. Ich konnte mich ja gar nicht schützen. Ich konnte mich ja gar nicht davor drücken, so unvermittelt kam sein Schlag. Und später dachte ich tatsächlich, ich sollte mich auch niemals wieder ducken. Nur wer sich duckt, muss sich auch schämen. Nur wer sich duckt, ist schwach, ein Schwächling und ein Drückeberger. Nur wer sich nicht wegduckt, nur wer dem Vater in die Augen schaut, ihm in die Augen schauen kann, wenn er ihn schlägt, auch wenn er ihn zusammenschlägt, der ist ein guter und kein schwacher Junge. Nur der wird doch zum ganzen Mann. Wer sich nicht duckt, wer nicht wegschaut, wenn die Gewalt tatsächlich über ihm zusammenbricht, nur der ist doch ein ganzer Mann. Schau mich gefälligst an. Er hat im Grunde alles an sich Schwache gleich verhasst, verachtet und entwertet. Endlich begreife ich, dass ich bestimmen kann, dass ich kein Schwächling bin, wenn ich Gewalt und Grausamkeit die kalte Schulter zeige, wenn ich mich wegducke, auch wenn ich mich verdrücken will vor der Gewalt und Grausamkeit, wenn ich sogar davor zurückschrecke. Ich bin kein Schwächling, wenn ich wegrenne und mich schützen will, wenn ich mich vor ihm schützen will. Endlich begreife ich, ich musste mich als kleines Kind für jede Wunde schämen. Wie du nur wieder deine Haare hast. Wie miserabel mich mein Vater einst behandelt hat. Was fällt dir ein! Wie miserabel ich mich wirklich fühlte. Was ist nur mit dir los. Endlich begreife ich die unterdrückte Wut und meinen unterdrückten Zorn und meinen unterdrückten Hass. Solange ich die Wut und meinen Zorn und meinen Hass nicht auf die Mutter und den Vater richten konnte, verstand ich nicht, warum ich eigentlich an jedem Platz, an jedem Ort, an jeder Stelle, im Grunde schreien hätte können, um alles kurz und klein zu schlagen. Um meiner eingeschlossenen Tränen und abgewürgten Schreie aus der Kindheit wegen, um nicht daran noch zu ersticken. Was fällt dir ein!? Wie miserabel ich mich selbst und andere behandeln kann, als wäre ich nur dafür da. Was bildest du dir ein Ein miserables Kind sein zu müssen für die Eltern. Du Nichtsnutz, miserabliger. Ich fühlte mich so miserabel, weil meine Eltern miserabel waren. Das war doch alles nur zum Spaß. Verstehst du denn koan Spaß?! Das war doch gar nicht bös gemeint. Wenn so ein Kind wie ich, den Eltern keine Fragen stellt, die Eltern nicht infrage stellt, kann es die eigene Fähigkeit zur Heilung nicht entwickeln, da es doch gar nicht weiß, wie tröstend das Vertrauen an sich selber wirkt. Vertrauen in die eigenen Gefühle, das ist der Trost an sich, der Schlüssel zur Befreiung. Was ist denn jetzt noch los?! Dass ich mich schuldig fühlen muss, wenn ich nicht gleich pariere. Wenn meiner Mutter spitze Zunge aus dem Mund geschossen kommt und Vater mit den Zähnen bleckt. Mit Schadenfreude im Gesicht. Das hast du nun davon. Mein Kinderherz konnte nicht begreifen, dass sie mich nur beleidigt und entwertet haben. Dass sie mich Kind, im Großen und im Ganzen und auch im Kleinen, entwürdigt und entwertet und erniedrigt hatten. Und nicht nur im Speziellen. Im Allgemeinen, ganz und gar, stand alles Kindliche, mein Recht auf Unschuld und auf Unversehrtheit immer nur in Frage. Die Wunde die sich niemals schließt. Niemals als Kind geliebt zu werden. Die Wunde, die nicht heilt. Der Schmerz, der nicht vergeht. Was außer Frage steht in einer Kindheit. Dass es mir besser gehen kann. Dass es mir besser gehen könnte, ohne die miserablen Eltern, die mich doch nur erschreckten und beschämt hatten. Was Selbstermächtigung bedeutet, dass ich mich nicht mehr schuldig fühlen muss, dass ich mich nicht mehr schämen muss, wenn ich mir einbilde, ich weiß mir selbst zu helfen. Was Selbstermächtigung bedeutet, dass ich mich nicht mehr fügen muss, wenn mir etwas passiert. Dass ich mich nicht mehr fügen muss auf heimtückische Fragen, auf dieses Gift, das schleichend mich zur Weißglut trieb und mich schier wahnsinnig gemacht hatte; wie eine heimtückische Krankheit. Was bildest du dir ein? Ich konnte mich als Kind nicht straflos äußern. Solange ich so eine Angst vor ihrer Grausamkeit und ihren Strafen hatte, konnte ich mich ja gar nicht an die Wut und meinen Zorn als kleines Kind erinnern und mich erinnernd daran halten. Was bildest du dir ein? Endlich begreife ich, dass meine Unschuld für die Eltern völlig unerheblich war. Was fällt dir ein? Endlich begreife ich, was ich von Anfang an gespürt habe von Angesicht zu Angesicht, den unterdrückten Hass der Eltern auf mich Kind. Was fällt dir ein!? Dass ich nicht schreien kann, wenn Vater mich angreift. Dass ich nicht schreien kann, wenn Vater mich zusammenschlägt. Wenn Vater mich zusammenschlägt und Mutter mir nicht hilft. Und Mutter mich mit Angst erfüllt, und Vater mir nicht hilft. Was bildest du dir ein? Dass man sich selbst nicht wehren kann, gegen ein auferlegtes Leiden. Das sollte ich mir merken. Was fällt dir ein? Endlich begreife ich, dass man ein auferlegtes Leiden begreifen und ablegen kann. Das bildest du dir ein? Das auferlegte Leid, von lieblosen Eltern immer nur bestraft zu werden, wenn man nach Liebe ruft, schreit oder weint, oder sich danach umsieht. Ich musste vor der eigenen Liebe zittern und erschrecken, ich musste mich für meine Sehnsucht danach schuldig, schämen. Was bildest du dir ein? Endlich begreife ich, sie hatte mich belohnt, wenn ich die Tränen schluckte und sie nicht mehr vergoss. Endlich begreife ich, dass das gar keine Liebe war, nicht einmal in Ansätzen, nicht einmal in Andeutungen, sondern Belohnung für Bestrafung. Belohnung für die Selbstbestrafung; nicht mehr zu weinen, nicht mehr zu schreien, nicht mehr zu klagen, mich selbst nicht mehr zu leiden, mich selbst nie wieder leiden mögen, wenn es mich förmlich auch zerreißt. Mich selbst nicht mehr zu mögen und zu lieben und zu leiden, mich selbst nicht länger leiden können, wenn ich nicht gleich parierte, still bin und meine Tränen runterschlucke. Um jeden Preis nie wieder leiden. Das brachte mir die Mutter bei, indem sie mich bestraft hatte, von Anfang an, für jede meiner Tränen. Jetzt sind wir wieder gut. Das Gegenteil ist wahr. Dass ich mich doch nur leiden und mich mögen kann, wenn ich auch meine Tränen und meine Wut und meinen Zorn erleiden lernen kann. Wenn ich mich wegen meiner Tränen nur verachten muss, wenn ich mich nur verachten kann mit meinen Tränen und meiner Wut und meinem Zorn, dann kann ich mich im Grunde doch nur hassen. Wenn ich doch nur vergessen soll, wie ich mich wirklich fühlte. Was fällt dir ein? Sei endlich still. So ist es gut. Warum ich immer wieder auf die Zähne biss, warum ich immer wieder mich verbiss, bei einem kleinen Fehler schon, warum ich mich so angestrengt hatte, wenn etwas mir nicht gleicht gefiel, wenn mir nicht gleich etwas gefallen hatte können, warum ich so verbissen war, gerade dann, wenn ich mich doch im Grunde einfach umdrehen und weggehen hätte können. Warum ich mich verbiss dann später immer wieder und mein Gesicht verzog, weil ich als kleines Kind nicht fliehen und mich schützen hatte können vor der Bestrafung. Was bildest du dir ein? Jetzt ist mal Schluss. Warum ich so verbissen war, warum ich so verbissen wurde. Und dass die gute Wut mich erst erreicht, wenn ich mich nicht mehr vor ihr fürchte, wenn ich mir nicht mehr einbilde, sie würde mich angreifen und in den Nacken schließlich beißen, wenn ich nicht still bin und meine Tränen nicht augenblicklich schlucke. Pass auf, was du jetzt sagst. Sonst kannst du aber was erleben. Ich hatte schliesslich Angst vor meinen eignen guten Tränen. Wie kommst du nur darauf?! Was bildest du dir ein?! Ich hatte Angst vor meinen eigenen Tränen sowie vor meiner eigenen Wut, sowie vor meinem Zorn. Ich hatte wirklich Angst vor meinen eigenen Tränen, als würden sie mir schaden, mich angreifen, mir Böses tun und Böses wollen. Als würden meine Tränen mir selbst schaden können, samt meiner Wut. Als würden meine Tränen es nicht gut mit mir gemeint haben. Das kann doch wohl nicht wahr sein. Dass meine Tränen als Kind falsch gewesen sind, dass ich damit gelogen habe vor den Eltern, dass ich mit meinen Tränen ihnen etwas vorgespielt habe. Das bildest du dir ein. Was ist nur mit dir los? Du drehst mir alles nur im Mund herum. Sie hatten keine Träne mitgeweint, nicht eine einzige. Endlich kann ich mein Mitgefühl auch spüren. Das bildest du dir ein? Dass ich kein Mitgefühl von ihr verdient gehabt hätte. Dass ich doch gar kein Mitgefühl verdienen würde. Nur deshalb hatte ich kein Mitgefühl verdient, weil ich doch ohne Grund nur weinen, weinen, weinen würde. Nur deshalb hätte ich kein Mitgefühl verdient, sondern Bestrafung. Ich hätte meine Tränen nicht verdient. Ich hätte nicht einmal die eigenen Tränen und mein eigenes Mitgefühl verdient. Nicht einmal meine Wut und meine eigene Liebe hätte ich verdient, wenn ich so schreien würde, wenn ich so eine Angst vor ihr und der Erscheinung haben würde. Schau mich gefälligst an, wenn ich mit dir rede. Mein letzter Widerstand gegen die Mitleidlosen, sie nicht mehr anzusehen, und meine Augen zu verschließen, wenn sie mich straften. Was weißt du schon? Was kannst du schon begreifen? Werd du erst mal erwachsen. Das auferlegte Leid, im Grunde mich für alles immer nur zu entschuldigen. Mich immer nur schämen zu müssen. Was bildest du dir ein? Das auferlegte Leid, mich selbst verachten müssen, wenn jemand mich nicht liebt, wenn jemand mich verachtet, wenn jemand mir missfällt, wenn jemand mir gefällt. Wenn etwas mir nicht gleich gefiel, dann musste ich mir als Kind wünschen, ich wär am liebsten nicht mehr auf der Welt, weil meine Mutter mich für jede Träne gleich bestraft hatte. Ich dachte schließlich wirklich, ich würde meiner Tränen wegen leiden, nur wegen meiner Tränen leiden müssen. Ich dachte schließlich wirklich, ich würde lieber leiden, als noch einmal zu weinen. Das bildest du dir ein!? Was soll denn das Theater?! Ein Kind wie ich, das jede Träne unterdrücken hatte lernen müssen, braucht schließlich eine Idealisierung, Selbststilisierung, Selbstinszenierung, um überhaupt zu überleben. Ein wahres Selbst war für mich gar nicht möglich. Mein wahres Selbst wurde von Anfang an bestraft. Mir blieb ja gar nichts anderes übrig, als mich zu inszenieren, um überhaupt etwas noch zuzulassen, um überhaupt noch was zu tun, mit dem ich mich nicht schämen musste. So wie ein Künstler oder ein Schriftsteller sich selbst mit seinem Werk stilisiert und inszeniert, um überhaupt ein Selbst, wenn auch ein falsches Selbst, sich selbst vermeintlich anzueignen. Sonst frisst die Einsamkeit uns immer nur bestrafte Kinder auf. Immer nur husten. Du immer nur mit deiner Husterei! Ich bildete mir ein, ich könnte gegen die Gleichgültigkeit nichts ausrichten. Man könnte überhaupt nichts gegen die Gleichgültigkeit ausrichten, man könnte nichts dagegen tun. Man könnte sich dagegen gar nicht wehren. Das wollte ich mir für die Mutter merken und einbilden. Was mir niemals gestattet worden ist, endlich begreife ich, das konnte ich niemand gestatten. Ich konnte niemals ungestraft auf meine Wut und meine anderen Gefühle pochen. Ich konnte niemandem ein Recht auf Unschuld geben. Ich hatte selbst kein Recht auf Selbstbestimmung, ich habe es niemals erlebt, genossen, so konnte ich es nicht verbreiten und verbreiten lernen. Was nimmst du dir heraus? Werd nur nicht frech. Es ist mir niemals in den Sinn gekommen, dass ich ein Recht auf Selbstbestimmung hatte. Dass ich wie jedes Kind und jeder Mensch ein Recht auf Selbstbestimmung habe, ist mir jetzt endlich klar geworden. Die Wunde, die sich niemals schließt, bevor man sie nicht fühlt. Kein Recht auf Selbstbestimmung. Ich habe meiner Mutter gegenüber nie was rausgebracht, was ihr nicht augenblicklich auf den Geist gegangen wäre. Und das macht die Verachtung der Empfindung klar und deutlich; ich war auf meine Mutter angewiesen, und meine Mutter hatte mich dafür verachtet. Soso! Du bist mir ja ein sauberer Sohn. Ich dachte immer nur, ich wäre schuld an was gewesen. Ich dachte immer nur, ich musste mir ja vorstellen, ich wäre schuld. Ich war ja gar nicht schuld an den Beschuldigungen meiner Mutter. Ich bin ja gar nicht schuld gewesen an ihrer fürchterlichen Angst, an ihrem grausamen Verhalten. Und überhaupt. Ich bin ja gar nicht schuld gewesen. Völlig egal, was immer ich herausbrachte, es war zu viel für meine Mutter. Das ist doch gar nicht wahr. Ich war für sie nicht gut genug. Nicht weil ich fehlerhaft oder tatsächlich ungenügend war als Kind. Ich war nicht gut genug für sie. Ich musste schlecht für meine Mutter sein. Endlich begreife ich, das hatte nichts mit mir zu tun gehabt. Ich musste einfach schlecht für meine Mutter sein. Werd nur nicht frech. Es ging gar nicht um Fehler. Es ging nur um Bestrafung. Das bildest du dir ein? Was ich mir als Kind nicht einbilden oder vorstellen hatte können, was ich mir gar nicht merken hatte können, was ich empfand, was ich dennoch empfand, was ich tatsächlich immer wieder fühlte, dass meine Mutter mir tatsächlich gerne wehgetan hatte. Dass meine Mutter mich bestrafte, um mir ganz einfach weh zu tun. Das konnte ich mir nicht vorstellen. Das konnte ich ja gar nicht wissen. Dass jemand einem anderen wehtut, selbst wehtun will, aus Freude und Entzücken. Dass jemand einem anderen wehtut, um sich daran zu freuen, am Schmerz ergötzen und sich weiden, zum Schrecken und Entsetzen seines Opfers. Das glaubst du doch wohl selber nicht. Ich nahm die Schmerzen auf wie einen Feind. Die Wahrheit meiner Seele, die Wahrheit meines Körpers, in Wahrheit die Erinnerung, als einen Feind schließlich betrachtend. Das bildest du dir ein? Ich musste meine Wut, die Liebe für mich selbst, schließlich als Feind betrachten. Ich musste mich mit meiner Wut feindselig benehmen und betrachten. Ich musste meine eigene Liebe mit meiner Wut bereuen und verachten. Das bildest du dir ein?! Du hast doch alles, was du brauchst. Ich merkte nicht wie sie mich dirigierte, mich anlog und manipulierte. Ich merkte ihre Absicht gar nicht. Ich konnte als Kind nicht realisieren, dass meine Mutter sich erfreute, an meinen Schmerzen. Was bildest du dir ein? Gleich kommt der Schwarze Mann. Dann kannst du sehen, wo du bleibst. Ich merkte später gar nicht, wenn mich jemand verließ, dass das nicht meine Schuld gewesen war. Ich hatte mir ganz einfach niemals merken können, dass es jemanden gab, der mir zu seiner Freude einfach wehtun wollte. Ich merkte nicht, dass ich mir schließlich lieber selber wehtun wollte, als zu bemerken, wie übel meine Mutter war, wie übel und erschreckend und wie furchteinflößend; wie ängstlich und von ihrer Macht besessen. Wie übel und gemein. Was bildest du dir ein? Dass sie mir buchstäblich und absichtlich so wehtat. Und dass ich deshalb schrie und weinen wollte. Das bildest du dir ein?! Sie hatte mich dazu gebracht, meine Gefühle als schlecht und als beschämend zu betrachten. Sie hatte mich nur dazu aufgefordert, mich selbst meiner Gefühle wegen zu beschämen. Was fällt dir ein?! Sie wollte mich bestrafen. Sie wollte mir wehtun. Und deshalb knurrt mir jetzt mein Magen, so wie ein Hund, weil das mein Hunger war. Der Hunger meiner Seele, der Hunger meines Körpers, Wut nach der Strafe. Wut für die Strafe. Natürliches Bedürfnis. Nur Wut auf meine Eltern, die mich bestraften; ein unschuldiges Kind. Jetzt sind wir wieder gut. Endlich begreife ich den Zorn. Nachdem sie mich bestraft hatten, sollte ich wieder gut zu ihnen sein. Gerade dann. Sei mir nicht böse. Endlich begreife ich die Ungeduld, die mich geritten hat. Warum ich immer so dermaßen unruhig und ungeduldig war. Ich konnte mich ja niemals auf ein Gefühl verlassen oder konzentrieren. Gleich kam die Mutter an und hat mich klein gemacht, für alles was ich war und was ich äußerte. Und ganz genau die Wut darauf, die kommt jetzt aus mir raus.Sei mir nicht böse
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