Sie scheint noch nicht einmal auf die Idee zu kommen, daß ihr inneres Leben ein Gegenstand der Beobachtung sein, von irgend etwas zeugen könne.
Andrei Tarkowski über die Filmfigur Mouchette, aus dem gleichnamigen Film, Mouchette, von Robert Bresson, aus: Andrei Tarkowski Die versiegelte Zeit
Du sagst jetzt nichts!
Nichts weitersagen, sage ich.
Nur nichts verraten!
Zu niemandem ein Wort, sagt Mutter immer wieder.
Mein Traum vom Sportplatz fällt mir wieder ein. Ich knie da, und Vater steht hinter mir.
Was regst du dich denn auf?
Dir ist doch nichts passiert!
Was führst du dich denn auf?
Es ist doch nichts geschehen!
Was regst du dich so auf?
Wenn er sich schinden will.
Dann soll er sich doch schinden!
Nur wer sich schindet, wird ein guter Sportler!
Wenn andere sich schinden, was geht denn dich das an?
Was geht denn dich das an, was andere machen?
Das geht doch dich nichts an!
Wer glaubst du, kümmert sich um mich, wenn mir was fehlt?
Glaubst du, das interessiert jemanden!?
Was kümmern dich denn andere!?
Sind wir dir nicht genug!?
Was ich nur träumend lösen kann
Was ich mir wünschen mag
Was ich mir träumend immer wieder einrede;
was ich mir selbst beweisen will:
Ich bin doch nicht verrückt!
Jetzt auf die Knie!
Der Vater lächelt hinter mir.
Nun mach ein freundliches Gesicht!
Ich schaue niemand an.
Kind nach der Liebe Ausschau haltend
Mein Traum
von der Bedürftigkeit,
doch irgendwie noch auszudrücken
wie sich ein Kind vorkommt
und sich benimmt
das nach der Liebe Ausschau hielt.
Ein Mädchen nannte er mich dann, die Hugoline, oder Hugolinchen, wenn ihm das nicht gefiel, wenn ich zu zart, für ihn zu ungelenk mein Messer oder meine Gabel hielt. Wenn ich zu zärtlich meinen Tee umrührte, dann spottete mein Vater nur.
Wölfe
Weil sie nach Wolfsgesetzen lebten
hat die Geschichte sie verschwiegen
im weichen Schnee ist gelber Harn
und diese Fährte nur geblieben
noch schneller als der Schuß von hinten
traf die Verzweiflung ihren Sinn
sie tranken Schnaps und kauten Elend
so nahmen sie das Schicksal hin
„Der Dunkle“ wird nicht Agronom
nicht Buchhalter „Der Morgen“
„Marusia“ wird nicht Mutter sein
„Der Donner“ wird nicht Dichter sein
nur grau ihr junges Haar vor Sorgen
Elektra hat sie nicht beweint
Antigone sie nicht begraben
so werden sie in Ewigkeit
im tiefen Schnee ihr Ende haben
im weißen Forst vor Kälte schauern
im Pulverschnee tief zugedeckt
uns kommt nicht zu sie zu bedauern
zu glätten ihr zerzaustes Fell
weil sie nach Wolfsgesetzen lebten
hat die Geschichte sie verschwiegen
im guten Schnee ist gelber Harn
und diese Fährte nur geblieben
Zbigniew Herbert
Ein Tagtraum, den ich nie verstand. Ich lasse mich von ein paar Freunden in die Lieblingswirtschaft meines Vaters tragen. Ich bin in einem Sarg und liege da. Der Sargdeckel ist leicht geöffnet und meine linke Hand schaut raus. Ich lasse mich zum Stammtisch tragen, und wenn mein Vater mich an meiner Hand erkennt, dann steh ich von den Toten auf.
Ich lege mich zum Sterben in der Werkstatt meines Vaters in die große Furnierpresse. Ich stelle alles ein, Pressdruck und Dauer, Temperatur. Mit meiner linken Hand betätige ich den Hebel, der das Zusammenpressen auslöst. Mein ganzer Körper wird zerquetscht, doch meine linke Hand bleibt heil und ganz.
Und immer wieder Hände. Die Hände eines Taschendiebs. Die Hände eines Spielers. Die Hände eines Handwerkers. Die Hände am Klavier. Die kleinen Hände eines Kindes. Die Hände des Verräters, eine Meineid Hand.
Der Vater hinter mir. Ich in der Hocke, zum Sprung bereit. Die Hände meines Vaters Hände sind ganz zart.
War doch noch eine Spur von Zärtlichkeit für ihn in mir?
Bevor mein Vater zu mir grob und grausam wurde, bevor er mich geschlagen und beschimpft hatte, hat er mir meine linke Hand geküsst und meine Finger immer wieder zart zu seinem Mund geführt.
Das hat den Unterschied gemacht.
Dass ich mir weh tat und das dennoch noch bedauern konnte.
Wie ich mir aufgeteilt vorkam; zerrissen und zerquetscht; wie Vater mir die Finger immer wieder später quetschte, mit seinem groben Griff.
Der Vater hinter mir und vor mir nur mehr Leere.
So stehen wir in meinem Traum vor einer unsichtbaren Mauer. So wollen wir die Abneigung vor jeder Art von Liebe auch kundtun, zum Schutz und Nutzen unsrer Väter.
Wie leid ich mir im Grunde tat.
Wie leid sich ein Kind immer wieder tut, wenn es für Zärtlichkeit nur Abneigung entgegennehmen muss. Wie niederschmetternd, wenn Zärtlichkeit ausbleibt. Denn Zärtlichkeit ist der Verstand, der echt von unecht in Gefühlen unterscheiden lehrt, der Wirklichkeit und Wahrheit trennt. Der Geist, der sich nicht täuschen lässt.
Mit Zärtlichkeit versuchte ich zu unterscheiden, was feindselig und bösartig, nur aus Versehen, aus Schwäche oder gar mit Vorsatz mir geschah.
Mit Zärtlichkeit versuchte den Vater von der Grobheit abzuhalten.
Mein Traum sagt das, was für mich Kind einst unaussprechlich war, nachträglich fassbar. Ich fand den Vater, den ich liebte, bis er mich schlug, und seine Zärtlichkeit, da war ich zweieinhalb, nicht wieder. Und ich gab mir die Schuld dafür.
Er hinter mir, und ich knie da und beiße auf die Zähne. Mein Körperbild verspricht nichts Gutes und doch versuchte ich mein halbes Leben lang ihm gegenüber etwas gut zu machen.
Solange ich nach den Gesetzen meines Vaters lebte,
aus Angst und Furcht vor ihm,
konnte ich selber nichts
von seiner Willkür
an mir selbst entdecken.
Beiß auf die Zähne! Sonst wird doch nie ein ganzer Kerl aus dir.
Endlich verstehe ich, warum ich ihn so ekelhaft auch fand, wenn er selbst jammerte, wenn ihm was fehlte, war Vater außer Rand und Band, selbstherrlich durch und durch.
Ich war sein Wurm.
Worte
Äxte
Nach deren Schlag das Holz klingt,
Und die Echos!
Echos die laufen
Fort von der Mitte wie Pferde.
Der Saft
Steigt auf wie Tränen, wie das
Wasser das drängt
Zurück zu seinem Spiegel
Über dem Felsblock,
Der fällt und sich dreht,
Ein weißer Schädel,
Zerfressen von Unkrautgrün.
Nach Jahren sehe ich
Sie auf der Straße-
Worte, trocken und reiterlos,
Der unermüdliche Hufschlag.
Aber
Unverrückbare Sterne vom Grund des Teiches
Lenken ein Leben.
Sylvia Plath
Um Zärtlichkeit in mir selbst zu begraben
Mit Wut und Zorn betäuben und verjagen
Wie damit jedes Opfer seinem Schöpfer gleicht.
Ich stand der blinden Wut des Vaters untertänigst gegenüber.
Ich traute mich nicht mehr ihn anzurühren.
Ich traute mich nicht mehr jemanden zärtlich zu berühren.
Ich hatte Angst davor. Vor jeder Art Berührung.
Eine Ohrfeige hat noch keinem geschadet!
Verfolgt
Die Nacht
zieht mich
hinab.
In handflächen wie in einem boot
schwimme ich davon.
Versteckt
nackt
nach oben
geworfen
wie ein schreckliches land.
Das gesicht
klebt an der scheibe
als blatt.
Das sind schritte
das eine glocke
das ein einfaches gespräch.
Ich flüchte von wand zu wand
und schreie flüsternd:
ich bin.
Ich saß in einer Falle und schützte Vaters Grausamkeit, mit meiner frühen Zärtlichkeit für ihn. Ich schützte seine Grausamkeit vor meiner Wut. Ich schützte Vaters Grausamkeit mit Selbstverherrlichung. Ich schützte seine Grausamkeit mit blinder Wut. Ich schützte blinde Wut mit Selbstverherrlichung. Ich schützte Vaters Selbstverherrlichung vor meiner Wut. Und seine Willkür obendrein. Ich schützte seinen Ruf. Auch wenn er schimpfte und beleidigte. Ich schützte seinen Ruf. Ich saß in einer Falle.
Der Spiegel, der in meinem Traum tatsächlich fehlt. Der Vater hinter mir, ich knie da und beiße auf die Zähne. Und meine unsichtbare Mutter vor mir, fehlt.
Dein Vater ist nicht schlecht. Er meint es doch nur gut!
Und ihre Augenlider, unsäglich mutlos und beschwichtigend. Sie sonnte sich in dem Verlangen nach Vergebung und Selbstverherrlichung.
Ich ging zum Floß zurück und setzte mich in das Wigwam, um nachzudenken. Aber es nutzte nichts. Ich dachte, bis mir der Schädel brummte, aber ich fand keinen Ausweg. Nach der ganzen langen Reise und allem, was wir für diese beiden Halunken getan hatten, standen wir plötzlich vor dem Nichts, alles war zerstört und im Eimer, weil sie es fertigbrachten, Jim so reinzulegen und ihn wieder lebenslang zum Sklaven zu machen, und auch noch bei Fremden, für vierzig schmutzige Dollar.
Auf einmal dachte ich, es wäre tausendmal besser für Jim, wenn er zu Hause Sklave wäre, dort, wo seine Familie war, wenn er nun schon mal Sklave sein musste, und dass ich am besten einen Brief an Tom Sawyer schrieb und ihm sagte, er sollte Miss Watson sagen, wo er steckte. Aber ich gab den Plan bald wieder auf, aus zwei Gründen: sie war natürlich wütend und empört, dass er so niederträchtig und undankbar gewesen war, sie zu verlassen, und würde ihn sofort wieder den Fluss runter verkaufen. Und wenn nicht, so hat jeder für einen undankbaren Nigger natürlich nur Verachtung übrig und lässt es ihn die ganze Zeit spüren, und so kommt er sich gemein und entehrt vor. Und dann denkt mal an mich! Es würde sich überall rumsprechen, dass Huck Finn einem Nigger zur Freiheit verholfen hat. Und wenn ich je noch mal jemanden aus der Stadt treffen würde, dann müsste ich mich vor ihm in den Staub werfen und ihm vor Scham die Stiefel lecken. So läuft es nämlich immer: Ein Mensch stellt was Mieses an, aber dann will er dafür nicht geradestehen. Er denkt, solange er’s verbergen kann, ist es keine Schande für ihn. Und genauso war’s bei mir. Je länger ich drüber nachdachte, umso mehr nagte mein schlechtes Gewissen an mir und umso schlechter und mieser und gemeiner kam ich mir vor. Und am Ende, als mir plötzlich klar wurde, dass mir die Hand der Vorsehung voll eine ins Gesicht schlug und mir zu verstehen gab, dass meine Schlechtigkeit die ganze Zeit oben im Himmel gesehen wurde, während ich einer armen alten Frau ihren Nigger wegnahm, die mir nie etwas getan hatte, und dass da immer Einer aufpasst, der nicht erlaubt, dass solche Schandtaten nur so weit und nicht weiter getrieben werden, da hätte es mich vor Angst fast umgehauen. Naja, ich strengte mich mächtig an, irgendwie mildernde Umstände für mich vorzubringen, ich sagte mir, ich bin schlecht erzogen worden und deshalb hab ich nicht so viel Schuld. Aber eine innere Stimme sagte: »Es gab die Sonntagsschule, die hättest du besuchen können. Und wenn du das getan hättest, dann hätten sie dir dort beigebracht, dass Leute, die so handeln wie ich an dem Nigger, zum ewigen Feuer verdammt sind.«
Es machte mir Gänsehaut. Und ich nahm mir fest vor, zu beten und zu versuchen, nicht die Sorte Junge zu sein, die ich war, sondern besser zu werden. Also kniete ich mich hin. Doch die Worte wollten nicht kommen. Warum nicht? Es hatte keinen Sinn, zu versuchen, es vor Ihm zu verbergen. Und auch vor mir nicht. Ich wusste nur zu gut, warum sie nicht kamen. Es war, weil mein Herz nicht gut war. Es war, weil ich nicht anständig war. Es war, weil ich ein doppeltes Spiel trieb. Ich tat so, als wollte ich die Sünde aufgeben, aber tief drin in mir beging ich die größte überhaupt. Ich versuchte, meinen Mund dazu zu bringen, dass er sagte, ich will das Richtige und Gute tun und mich hinsetzen und der Besitzerin des Niggers schreiben und ihr sagen, wo er steckt, aber tief in mir drin wusste ich, dass es eine Lüge war – und Er wusste das. Man kann keine Lügen beten, das habe ich herausgefunden.
So war ich voller Sorgen, so voll wie’s nur ging, und wusste nicht, was ich machen sollte. Schließlich kam mir eine Idee, und ich sagte mir, ich setze mich hin und schreibe den Brief – und dann schaue ich, ob ich beten kann. Meine Güte, es war erstaunlich, wie leicht ich mich auf einmal fühlte, leicht wie eine Feder, und alle meine Probleme waren weg. Also nahm ich mir einen Zettel und einen Stift, richtig froh und begeistert, und setzte mich hin und schrieb:
Miss Watson, Ihr abgehauner Nigger Jim ist hier unten zwei Meilen flussabwärts von Pikesville und Mr. Phelps hat ihn jetzt und gibt ihn für die Belohnung zurück, wenn Sie sie schicken. HUCK FINN
Ich fühlte mich gut und zum ersten Mal in meinem Leben von Sünde reingewaschen, und ich wusste, dass ich jetzt beten konnte. Aber ich machte es nicht gleich, sondern legte den Zettel hin und dachte erst noch mal nach. Ich dachte, was für ein Glück ich hatte, dass alles so gekommen war, und dass ich beinahe verloren gewesen und in die Hölle gekommen wäre. Und ich grübelte weiter und dachte an unsere Reise den Fluss runter. Und die ganze Zeit sah ich Jim vor mir, am Tag und in der Nacht, manchmal im Mondlicht, manchmal bei Unwetter, und wie wir weiter trieben, redeten und sangen und lachten. Doch irgendwie fiel mir nichts ein, was mich gegen ihn einnahm, sondern nur im Gegenteil. Ich sah, wie er für mich die Wache zusätzlich zu seiner übernahm, statt mich zu rufen – so dass ich weiterschlafen konnte. Und ich sah, wie glücklich er gewesen war, als ich aus dem Nebel zurückkam. Und wie ich ihn im Sumpf wieder fand, dort oben, wo die Fehde war. Und lauter solche Dinge. Und wie er mich immer Junge nannte und mich in den Arm nahm und alles für mich tat, was ihm nur einfiel. Und dann fiel mir noch ein, wie ich ihn gerettet hatte, als ich den Männern erzählte, wir hätten die Pocken, und wie dankbar er war und sagte, das sei der beste Freund, den der alte Jim auf der Welt hatte, und der einzige, der ihm noch geblieben war. Und dann sah ich auf, und mein Blick fiel zufällig auf den Zettel.
Es war ausweglos. Ich nahm ihn in die Hand und hielt ihn vor mich hin. Ich zitterte regelrecht, weil ich wusste, dass ich mich für alle Ewigkeit zwischen zwei Dingen entscheiden musste. Ich betrachtete ihn eine Minute lang, fast mit angehaltenem Atem, und dann sagte ich:
»Na gut, dann komm ich eben in die Hölle“« und zerriss ihn.
Mark Twain Huckleberry Finns Abenteuer, in: Mark Twain: Tom Sawyer & Huckleberry Finn, hrsg. und übersetzt von Andreas Nohl, München: Carl Hanser Verlag 2010, S. 513-516
Zum ersten Mal verstehe ich, dass ich für meinen Zorn nicht in die Hölle komme und dass kein Schwarzer Mann mich holen wird, wenn ich dem Vater nicht gehorche. Und dass kein Sturm aufkommen wird und kein Gewitter. Und keine Blitze in mich schlagen, wenn ich auf Vater wütend bin. Dass keine Sintflut mich ertränkt und keine Feuersbrunst mich wegbrennt und verzehrt, nur weil ich nichts mehr wissen will, von den Entschuldigungen über Schläge und Beschimpfungen. Ich schlage aus der Art!
Was fällt dir ein!?
Im Traum seh ich zwei kleine Zettel,
sind unterschiedlich groß
wie Namensschilder für Schulhefte,
doch die Beschriftung fehlt.
Wie Klingelschilder für Verschwundene.
Mein Vater fehlte mir,
die Mutter nur dem Namen nach;
auch nur auf dem Papier.
Was ich als Kind niemals gewagt hatte,
den Vater ganz genauso klein und lächerlich
wie einen Wurm zu machen,
und Mutter ganz genauso
nicht beachten und
mit der Nichtbeachtung strafend
sie ganz genauso unsichtbar und tot zu machen.
Verunglimpfung der Seele eines Kindes.
Was Vater unentwegt tatsächlich tat,
und Mutter auch mit ihrer Art,
die Seele immer nur verleumden,
mich wegen meiner Art Gefühle
mich wegen jeder Art von Äußerung
nur zu verhöhnen und zu verunglimpfen.
Als wären meine Tränen stets vergeudet.
Verunglimpfung als Abwehr von Gefühlen seines Kindes.
Der große Schatten meines Vaters hinter mir, der mich als Kind zum Weinen und zum Zähneknirschen brachte.
Was Huckleberry Finn mir schon als Kind bedeutet hat und was ich heute erst verstehen kann. Dass ich das bin, der sich entscheiden kann. Für oder gegen die Gefühle. Für oder gegen etwas oder jemand. Dass ich das bin, der die Entscheidung trifft, wen oder was ich liebe. Und dass zu einem Nein, zu Für und Wider, großer Mut gehört.
Ich selbst entscheide, wen und was ich liebe. Kein Gott, kein Vater, keine Mutter, niemand sonst. Ich selbst und mein Gefühl entscheiden das, wem ich mich zugehörig fühle und innerlich verbunden; mit den Versagensängsten eines Kindes.
Der Vater hinter mir und lächelnd. Ich knie vor ihm und endlich spüre ich auch meine Not.
Ich war bewegt von den geheimen Ängsten meiner Eltern. Ich war verbunden mit den Versagensängsten meiner Mutter und denen meines Vaters. Mich trat von hinten Vaters Angst. Ich war bewegt von Mutters Angst, unsichtbar sein zu müssen, weil niemand ihr die Angst vor ihm abnahm; nur ich.
Ich war den unbewussten Ängsten meiner Eltern ausgeliefert und ihnen untertan. Ich war Versagensängsten ausgeliefert, die mit dem Wunsch nach Liebe und nach Zärtlichkeit verbunden waren.
Ich musste mich für die Gefühle schämen, die mich von meinen Eltern unterschieden; wie Zärtlichkeit und Herzlichkeit. Deshalb hab ich die Zärtlichkeit dann auch vermieden. Ich musste mich von den Gefühlen trennen, mit denen sie mich stets alleine ließen. Ich sollte mich für die Gefühle rächen.
Das bildest du dir doch nur ein?
Ich wagte mich nicht gegen ihn zu stellen. Das war Versagensangst, weil ich mir nicht einmal mehr selbst zutraute, mich meinem Vater gegenüber zu verteidigen.
Und deshalb knirschte ich so mit den Zähnen.
Die Träume vom Tabu. Wie ich beweisen will, dass ich jemanden, der mich schlägt, belügt, erniedrigt und alleine lässt, wie Mutter mich in meinem Elend einfach liegen ließ, nicht lieben kann. Wie niemand jemand wirklich lieben kann, der keine Liebe von sich gibt. Was die Versagensangst betrifft, dass ich jemanden lieben soll, der mich doch nur belügen will. Dass ich nur mehr versagen kann, bei dem Versuch Gefühle zu entwickeln. Wie meine Mutter und mein Vater, die kein Gefühl mir gegenüber wagten, die nichts mehr anderes entwickelten, als ein System von Ablenkung, Verleugnung und Vernachlässigung, Verdrängung von Gefühlen, Verdeckung von Versagensangst.
Im Schatten eines übergroßen Vaters.
„Die Tolstojsche Moral [hat] aufgehört mich zu rühren, im tiefsten Innern meines Herzens bin ich ihr gegenüber feindselig eingestellt […] In meinen Adern fließt Bauernblut, mit Bauerntugenden setzt mich darum niemand in Erstaunen. Ich habe von klein an auf an den Fortschritt geglaubt und gar nicht anders gekonnt, als an ihn zu glauben, denn der Unterschied zwischen der Zeit, als ich geschlagen wurde, und der Zeit, als man aufhörte mich zu schlagen, war schrecklich […] Überlegung und Gerechtigkeitssinn sagen mir, dass in Elektrizität und Dampfkraft mehr Menschenliebe liegt als in Keuschheit und Ablehnung des Fleischgenusses.
Anton Tschechow Brief an den Verleger Suworin aus dem Jahr 1894
Ein Ausdruck von Gehässigkeit
Ich wollte den Beweis für eine Liebe von den Eltern. Ich wollte dieses Echo meiner eignen Liebe auch von meinen Eltern endlich hören und vernehmen.
Jetzt sei doch wieder lieb.
Er meint es doch nicht böse.
Jetzt hör endlich mit deiner Schreierei und deinem Weinen auf.
Wir haben es nicht bös gemeint!
Ich wollte den Beweis, dass sie es niemals böse meinten. Und ich bekam ihn nie.
Weil ich das selber niemals spüren konnte, was es in Wirklichkeit auch gar nicht gibt.
Ich wollte den Beweis für etwas, das es gar nicht gibt. Dass jemand etwas Böses tut und es nicht böse meinte.
Ich weiß das von mir selbst, wenn ich was Böses später tat, es auch tatsächlich böse meinte.
Allmählich wird mir aber klar, was ich für mich beweisen will, was ich als Kind verzweifelt, nicht vor der unsichtbaren Mutter und meinem übergroßen Vater hinter mir, geschafft habe, dass ich auch fein und liebenswürdig sein kann. Dass ich nicht notgedrungen böse sein muss, wie mein Vater. Dass ich was bin, was Vater nicht sein kann, mitfühlend und nachsichtig. Dass ich die Art und Weise meines Vaters ausschlagen kann.
Nichts hasste ich so sehr wie die Gehässigkeit, wie selber nur gehässig sein und selber nur gehässig werden.
Nie zärtlich sein, wenn sein Kind schreit. Nie wütend sein auf einen Vater, der sein Kind schlägt und noch verunglimpft, wenn es weint.
Wenn ich als Kind nur weinte, dann wurde Vater gleich gehässig. Erst jetzt verstehe ich, dass ich gehässig sein, mit Wut verwechseln lernte. Wie ich die Wut selbst schließlich auch in mir, mit dem gehässig sein, vertauschte. Ich habe meine Wut mit der Gehässigkeit vertauscht.
So konnte ich mich gegen meine eigene Gehässigkeit nicht wehren.
Jetzt weiß ich endlich auch, was mich an meiner eignen Körperhaltung aufregte, wenn ich ganz aufrecht stand, das linke Bein etwas nach vorn, als Standbein nur mein rechtes. Den linken Fuß nach links ein wenig angewinkelt. Und dabei spöttisch lächelnd. So stand mein Vater da, genau so wie im Traum. So stand er da und lächelte, bevor er mich beschimpfte und dann schlug. Genau so stand er da, bevor er boshaft wurde.
Ich habe das gelernt, ganz gegen mein Gefühl und meine Händigkeit und meine linke Ausrichtung, mich auch so hinzustellen wie mein Vater, um so dem Schmerz und der Versagensangst endlich auch zu entgehen; mit der Gehässigkeit.
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