Texte von Hugo Rupp

Zorn und Zärtlichkeit

 

Versteinert ist mein Herz. Ich bin das weite Meer und Vater ist mein weites Meer. Wir sind das Meer und kein Gefühl ist da, als unsre weite Leere. Wir sind das Salz und Stein, und Stille sind wir auch. Wir sind im Zorn geboren.

Mit jedem Tag bin ich mit meiner Wut nur stumm geredet worden. Es ist versteinert worden. Welt aus Stein, ist Stein geworden. Mein Element ist Stein, ich bin im Stein gewachsen, ich bin an meinen Ellenbogen Stein gewöhnt, wenn ich die Nähe suchen wollte, kam nur der Stein von meinem Vater näher und schlug mich an. Ich bin als Stein geboren worden, für meine Eltern Stein. Sie haben mich als Stein behandelt. Ich bin verformbar wie ein Stein, wenn Vater mich behandelt. Mein Schienbein ist aus Stein, mein Steiß, wenn er mich tritt, dagegen schlägt mit seinen Füßen. Ich bin als Stein geboren worden, für meinen Vater bin ich Stein. Sein Herz ist Eisenerz, das ist noch härter und kann alles schlagen. Das hält mein steinerweichend Weinen aus, denn Eisenerz erweicht sich nicht für mich. Das Eisenerz ist Stein und Stein und wieder Stein und Eisen. Das ist das härteste für mich. Das ist mein Vater. Sein Gesicht ist auch aus Erz gemacht.

Ich will mich hier verwandeln, so schwarz wie mein Herr Vater sein. Ich werde hart wie Eisenerz, ich werde Stahl und Eisenerz. Ich werde die Maschine. Ich muss den Vater ehren, wie er mir ist. Ich werde die Maschine, die mir die Arme, Beine brach. Ich nehme meine Wunden, Narben, verklebe sie mit Eisenstaub. Das macht mich hart, noch härter als den Vater. Ich bin aus Eisenstaub gemacht, der sich verfestigt. Ich bin aus reinstem Eisen. Ich haue wie ein Amboss zu. Ich schlage jetzt den Vater. Ich haue seine Fresse platt, die mein Herr Vater zeigt. Ich haue seine Augen blau und seine Nase bis zum Ansatz ein. Ich schlage seine Nase durch den Ansatz seiner Augen unten durch und drücke sein Gesicht in seine Höhle. Ich schlage mit den Hämmern, die meine Fäuste sind, jetzt sein Gesicht. Ich schlage seine Kiefer platt und drücke seine Wangen wie Schraubzwingen. Ich zeige trotz des Eisenerzes, des Staubs, der mein Gesicht mit Schweiß bedeckt, mit dunklem Eisenschmerz, den Hass auf meinen Vater. Ich zeige ihm den Hass. Er wächst jetzt nicht mehr in die Stille. Mein Zorn hält nicht mehr still. Er hält jetzt seine Zähne still, denn ich bin über ihm, wie ehedem er einst, ich bin jetzt über ihm und meine Zähne wachsen eisern nach, sie spitzen sich jetzt selbst und bohren sich in sein Gesicht, fixieren seine Stirn, sein Kinn, die Backenknochen. Ich haue ihm die Eisennägel ins Gesicht an diesen vorgenannten Stellen. Ich schlage durch die Löcher Schrauben und festige sein Haupt. Ich sehe ihn, wie er sich nicht die Blöße gibt, mich einzufangen. Sich meinen Blick jetzt einzufangen, das wäre wohl sein Liebstes. Denn wenn er jetzt mir einen Punkt des Lächelns und der Forderung noch gibt, wenn er auch nur den Bruchteil eines Forderns, die Ahnung eines eignen Wunschs preis gibt, zersteche ich die Augen, Äpfel. Wenn er nur einen leisen Ton jetzt von sich gibt, zerdrücke ich den Kiefer. Ich steche eine Nadel in den Nerv des Sehens und Erkennens. Ich drücke auf den Schmerz. Ich drücke auf den Schmerzkanal und schau in sein Gesicht und sehe Mengele und höre Heinrich Himmlers Reden, ich sehe meinen Vater zittern, wie Adolf Hitler schreien, toben, doch jetzt nur in Gedanken, die ich in seinen Augen lese, als wären sie mein Eigentum. Ich lese seine Ströme, ich sehe sein Gehirn. Ich drücke seine Augen und lächle leise vor mich hin. Und wenn ihn das erregt, dann schlage ich den langen Nagel in seinen kleinen Rachen. Ich drücke ihm den Nagel in den Mund und durch die Rückenwirbel, durch Mark und Bein, und wehe dir, du hältst nicht still, du sagst ein Wort des Schmerzes. Und wehe dir, du bleibst nicht still. Bringst du mir Vorwurf jetzt entgegen, mit deinen angstverscheuchten Augen, dann schlag ich dir die Knie zu Brei und schlage mit dem Hammer auf die Knochen deines Sprunggelenks. Ich schlage kleine Kiefernkeile zwischen deine Haut und Sehnen. Ich reibe deine Beine nun mit Essig ein und Salz, dann schneide ich dir deine Beine auf und drücke mit der Spitze meines Messers deine offnen Wunden. Ich ziehe einen kleinen dünnen Strich mit der Spitze meines scharfen Messers an deiner Achillessehne. Hin und her und hin und her, als würde ich die Sehne hypnotisieren. Als spräche ich mit deiner Sehne jetzt. Das tue ich. Ich spreche jetzt mit deiner Sehne. Ich spreche deine Sprache Schmerz und deine Tonart, die des Schindens und der Quälerei. Ich schneide deine Sehne immer wieder längs, bis sie sich aufdreht wie ein Bündel Haare, Seil, Schnur, wie dieser Stoff aus dem Lianen sind, bis du dich selbst entwickelst. Ich schneide deine rechte Sehne durch. Ich schneide alle Rettungsleinen durch. Und keinen Laut will ich auf deinen Augen sehen. Du lässt mich jetzt in Ruh, hörst du, solange ich dich quäle. Wie lange noch, bestimme ich. Ich will jetzt keine Fragen, Widerworte, nur wieder Worte von dir hören. Ich will, dass deine Fragen in dir liegen bleiben und dort von selbst verrotten. Ich quäle dich, solang ich will, solange du mich reizt. Solange ich dich quälen will. Solange mich die Schmerzen reizen und die Möglichkeit der Qual, solange du still bleiben musst für mich.

Solange du nicht aufgibst und dich brichst und mir die Liebe zeigst, die ich doch von dir haben wollte, solange werde ich dich langsam quälen.

Sag nur ein Wort, zeig einmal nur die Liebe in Gedanken und ich verharre hier und bleibe ruhig wieder wie ein Stein und gebe dir dein Leben wieder. Wenn du mich lieben willst, dann zeige mir die Stirn und schwöre mir, dass du mir niemals wieder zürnen wirst, beim Leichnam deines Stiefvaters, der dich gequält hat, dich als Kind.

Du zürnst mir nicht. Verstehst du, was ich sagen will. Dass du das auch genau verstehst. Du zürnst mir nie mehr wieder. Du zeigst mir niemals wieder deinen Zorn. Die Stirn in Falten, deiner Mutter ähnlich. Du zeigst mir niemals wieder deine Stirn, die meiner Mutter ähnlich ist. Du zeigst mir niemals wieder deine Augen, wie du sie mir schon einmal zeigtest. Du zeigst mir niemals wieder deinen Zorn auf deine toten Eltern. Du zeigst mir niemals wieder deinen Zorn, sonst schrei ich in dein Ohr und alles was dein Hirn einst konnte, mit meinem Schrei zusammen. Ich schrei, wie ich als Kind verschrien wurde, mir selbst und dir die Seele aus dem Leib, dass alle unsre Tore brechen, dass Meer zu Meer sich teilt und Weg freigibt, durch alle tiefen Täler. Die Steine gehen weg und alles wird geteilt, es bricht der letzte Halt, es gibt im Grunde keinen Halt, weil es doch nie Verbindung gab. Der Abgrund ist jetzt frei. Mein Zorn. Mein Schrei zerbricht, zerschneidet mit dem Ton des Schmerzes, den letzten kleinsten Punkt. Es gibt kein Binden mehr. Denn dieser Schmerz, der sich so äußert, ist gleichbedeutend mit dem Bild. Allein gelassen werden. Allein gelassen sein. Allein gelassen worden sein. Und hier ist keine Angst, auch keine Furcht. Mein Schrei ist Zorn und Wut.

Das tote Kind, der leere Raum, das bin nur immer wieder ich gewesen. Die Stille war nie da. Die Stille, still sein, sei still und brav, ist immer nur erfunden worden, von großen Menschen, die ihren Kinderzorn nicht hören können.

Vor ihnen musste ich mich für mein Gefühl entschuldigen, auch insgeheim verteidigen. Ich war nicht frei, zu fühlen.

Ich dachte später immer, dass meine Zärtlichkeit nur da gewesen sei, um meinen Vater milde zu stimmen. So stellte ich die eigne Zärtlichkeit in Frage.

Abwesenheit von Zärtlichkeit bedeutet Schmerz. Es gibt etwas in meiner Leere, Wüste. Abwesenheit von Zärtlichkeit. Es gibt doch etwas in der Leere, Wirklichkeit. Es gab tatsächlich etwas dort, wo ich vor langer Zeit dalag. Nicht etwa Geister. Da war tatsächlich Mangel, wirklich fühlbar.

Ich war so zornig, weil ich keine Zärtlichkeit bekam. Mein Schrei, der des verlassenen, abgeschobenen, allein gelassenen Kindes, ist Zorn und Wut gewesen. Mein Zorn tobt gegen Lieblosigkeit, mein Lieben-Müssen. Mein Schrei nach Zärtlichkeit ist Vorwurf und Anklage.

Wo ist sie eure Zärtlichkeit?

Ich fragte meine Eltern immer wieder.

Es gibt das Nichts nun doch, nur anders ausgedrückt. Es gibt nicht Nichts. Das Nichts ist voller Mangel, an Liebe und an Zärtlichkeit. Das Nichts, die Leere, der vollkommen leere Himmel, ist fehlende Zärtlichkeit für mich gewesen.

Wie jedes Kind nach seiner Zärtlichkeit ausruft, so bellte ich den Mond am Himmel an, weil sein Gesicht mir Zärtlichkeit verhieß, wenn ich dort ein Gesicht wahrnahm, das einem fremden fernen Menschen ähnelte. Die fernste Zärtlichkeit, die Möglichkeit, die Illusion der Zärtlichkeit annehmend, versuchte ich mit Vögeln auch zu pfeifen, mit Pfeifen Vogellaute ausstoßend, doch etwas Zärtlichkeit von ihnen zu bekommen. Von Pflanzen roch ich Blüten, Blätter. Von Bäumen ihre Rinde und frisch geschnittenes Gras von Wiesen. Ich sah die Zärtlichkeit in Wassertropfen und selbst im Sand, der mir durch meine Finger rann, war für mich Zärtlichkeit enthalten.

Wie weit muss ich noch gehen, um meinen Mangel selbst zu spüren, um endlich nichts mehr anderes, als Nicht-Liebe und Abwesenheit von Zärtlichkeit fühlen zu können?

Wenn ich jetzt meinen Zorn verstehen lerne, dann weiß ich nichts von Liebe. Die Wut zeigt keine Liebe an. Im Gegenteil, den Mangel. Die Wut zeigt meinen Schmerz und meinen Wunsch, nicht hilflos sein.