Texte von Hugo Rupp

Wandlung

 

Sie nahm mir meinen Augenblick,

wenn ich in Tränen schwamm,

nahm sie mir mein Gesicht

und tauchte es in Wasser.

Sie wusch mir mein Gesicht

und wischte meine Tränen aus.

Sie wusch mir mein Gesicht

nach jedem kleinen Weinen.

Sie wusch mich rein

für sich,

Reinwaschung für die Mutter.

Sie nahm mir mein Gesicht,

sie stahl mir meine Wunden.

Sie nahm mir mein Gesicht,

indem sie meine Tränen stahl.

Sie wischte mich

wie eine Tafel aus.

Sie hasste mich

für meine Tränen.

Sie hasste mich.

Sie löschte mich.

Sie löschte mein Gesicht.

Verarmte meine Züge.

Sie löschte meine Tränen aus,

wenn sie mit ihrem Tuch

mir in die Augen fuhr

und

über mein Gesicht,

damit niemand mich weinend

sehen,

wähnen,

noch erahnen konnte,

dass ich geweint hatte.

Sie wusch mir

augenblicklich mein Gesicht,

wenn ich als Kind

geweint hatte.

Wenn ich für mich

geweint hatte,

dann kam sie später,

später,

später

und

wischte mein Gesicht.

Sie wischte meine Tränen

und machte schmale Lippen.

Wenn sie mir meine

Tränen wegwischte,

dann blitzten ihre Augen

und ihre Nase zuckte.

Sie sog an ihren Lippen

und ihre Backen machten Löcher.

Sie biss auf einen Fingernagel

und schaute mich dann an.

Sie wischte meine Leiden aus.

Getrocknet mussten meine

Tränen sein. Bevor ich nicht

getrocknet war,

kam sie nicht näher,

näher.

Sie kam bei meinen Tränen nicht.

Sie wischte kalte Tränen aus.

Sie redete dann leise.

Sie redete mit sich.

Sie redete und

ihre Finger liefen über mein Gesicht

wie Spinnenbeine.

Sie hielt sich nicht

an einer Stelle auf,

sie wischte und

sie wischte,

wie maschinelle Glieder,

wie sieben Zwerge,

Heinzelmännchen,

wie Putzerfische.

Sie wischte mein Gesicht,

entfernte mich

von meinen Spuren.

Und die Erinnerung daran

liegt unter einer Maske,

der Maske meiner Mutter.

Die meine Tränen löschte,

damit niemand erfährt,

wie ich nach Menschen schrie.

Ich hörte schließlich

auf.

Ich hörte auf zu weinen.

Ich hörte auf zu schlucken.

Ich hustete.

Ich hustete.

Das hörte ich dann später auf.

Mit jeder Äußerung

die ich vermied,

verarmte ich,

verarmte ich mich

schließlich selbst.

Ich machte meinen Zugang zu,

die Äußerung der Tränen.

Ich weinte nicht mehr

um mich selbst.

Ich weinte nicht mehr

um mein Leben.

Ich schloss den Zugang

für mein Leiden.

Ich schloss das Kind

mit seinem Leid

in meiner Nähe weg.

Ich schloss mich

wie die Mutter aus

und

ließ mich dort allein,

wo keine Leiden sind,

im Leiden ohne Tränen.

Verachtung

und

Gleichgültigkeit.

Das Leben der Hyäne.

Wo Lachen wie ein Weinen ist.

Mein Leben als Hyäne

begann nach Vaters letzten Schlägen,

nach ihrem Kommentar.

Der Klügere gibt nach.

Begann

als sie mich wegschickten

entließen.

Als ich dann später noch

das Haus verlassen wollte,

als mein Gesicht getrocknet war

vom Schweiß.

Ich hatte nicht geweint.

Ich öffnete die Tür.

Ich machte einen Schritt

nach draußen.

Da hörte ich von oben eine Stimme;

ihn.

Wo willst du jetzt noch hin!

Ich blieb in der

Bewegung

stehen.

Bleib schön zuhause.

Ich machte einen Schritt

und

schloss die Tür.

Ich ging den Gang zurück,

als wäre ich nur umgedreht,

als ginge ich

im Rückwärtsgang.

Ich ging in kleinen

Schritten in mein Zimmer.

Ich setzte mich aufs Bett.

Ich saß da,

starrte vor mich hin

und meine Augen

waren leer.

Ich habe diese Eltern.

Das Leben der Hyäne.

Ihr Lachen über Tränen.

Der Abscheu meines Vaters

die Abscheu meiner Mutter.

Ich musste auch Hyäne werden.

Ich schloss

mein Mitgefühl.

Verrammelte mein Leiden,

die Geister meiner Kindheit.

Ich sperrte

alle Geister ein,

Gefühle für mich selbst

und für die anderen.

Ich sperrte meine

Kindheit

weg,

die sich bemerkbar machte,

erst früher

dann immer später

und

plötzlich nur noch stumm

in mir, in allen Träumen.

Ich hatte keine Orientierung

weil ich den Schmerz

und meine Wut

vergessen hatte.

Weil ich auch später

nur vergessen sollte.

Du brauchst jetzt

nicht mehr weinen.

Jetzt ist doch

alles schon vorbei.

Vergeben und vergessen,

Ich sollte mir nichts

merken. Ich sollte

nichts von

mir behalten.

Es gab für mich

in ihrer Gegenwart

für meine Art Erinnerung

für die Geschichte,

meine,

keinen Raum.

Sie waren mir Hyänen,

die mein Gefühl

die meine Wut

mit ihrer Wut

blindlings

bekämpften

und bekriegten.

Sie löschten Fragen

im Entstehen aus.

Sie fletschten ihre Zähne.

Sie schossen Gift

in meinen Wundkanal

in meine Augen

immer wieder.

Sie lachten

mit dem großen Maul

und angriffslustig

mit ihren gelben Zähnen.

Sie wieherten,

wenn ich mich anschickte

in ihrem Beisein mich zu freuen.

Sie töteten mein Mitgefühl

und meine Wut

mit ihren Drohgebärden.

So standen sie an meinem Bett

und Wasser troff von ihren Zähnen.

Sie würden alles Schwache

das sich mit Not

bemerkbar machte,

tot beißen.

Das machte ihnen Appetit:

mein Hunger,

meine Schwäche,

mein wehrlos sein.

Sie kamen an mein Bett

sie standen dort,

treue Hyänen.

Sich treu.

Wie abgerichtet treu,

wenn ich mich

für sie ungehörig

äußerte.

Ich musste ihre Sprache lernen.

Ich musste mich

für sie verwandeln.

Ich wurde auch Hyäne.

Ein Kind, das unter den Entscheidungen, dem Tun und Unterlassen seiner Eltern fortwährend leiden muss, und das nicht zeigen und nicht wissen darf, lernt dieses Tun und Unterlassen für sein Leben. Es lernt sich falsch entscheiden. Es lernt, weh tun, mit seinem Tun und Unterlassen gleichermaßen. Es lernt sein Fühlen zu verhindern und Fühlen zu blockieren, weil niemand sich ihm zuwendet. Es lernt sich zu verwandeln, da es doch eines immerzu tun musste, sich für die Eltern wandeln und verändern.

Altar

Mein Vater

kommt

nach Hause.

Er möchte

dass

ich

dankbar

bin.

Er schlägt

mich,

dass ich

dankbar werde.

Für das

was

er

mir

gibt

und tut;

und meine

Mutter

ist

demütig.

Mit

Demut

Strafe

und Verbrechen

zu ertragen,

verherrlicht die Gewalt.