Texte von Hugo Rupp

Vom inneren Halt

 

Du wirst durchsichtig. In höchster Angst und Not bist du allein gelassen worden. Du bist ohne Eigenschaften, außer dir, deiner Not und Angst und Hilfsbedürftigkeit. Deine Wut ist abwesend. Selbst die schweigt. Du bist offen und verletzbar, aufnahmefähig und bereit für jede Art von Sprache, Zeichen, Gesten. Du bist leer, ein willenloser Speicher, nur zum Überleben bereit.

Was die Eltern sagen, immer wieder, damit du nicht vergisst, was du gut und was du böse bist, wer du gut und wer du böse bist. Du kopierst dir ihre Sätze, schneidest sie in dein Gehirn, bildest dir die Sätze förmlich ein, schneidest dir die Wunden immer wieder, wie mit einer Rasierklinge stichst und schneidest du dir ihre Sätze in die Haut, schneidest sie in deinen Körper wie ein Urteil, stichst dir diese Sätze wie ein Unheil, wie ein Schicksal, wie den Urteilsspruch über dich, immer wieder, im Angedenken an dein Unglück ein. Drehst und wendest ihre Worte immer wieder und versuchst den Sinn darin zu finden. Prägst dir ihre Worte durch Wiederholung ein, schneidest dich mit ihren Sätzen. Du sprichst in dir selbst zurück. Das Gebet und der Fluch, die Verfluchung und Verdammnis, selbst, sprichst du jetzt selbständig nach. Diese Worte schneiden sich immer wieder ins eigene Fleisch. Haben sie dir prophezeit: Beiß die Hand nicht, die dich füttert. Zieh dir keinen Schiefer ein! Schneid dir nicht ins eigne Fleisch!

Sie markierten damit deinen Widerstand, was passiert, wenn du dich wehrst, wenn du dich wehren willst, wenn du widerstehst.

Du gibst auf.

Du greifst dich jetzt unentwegt selbst an. Du attackierst dich selbst mit Schuld, Verdammnis, indem du dich unaufhörlich selbst beschuldigst. Du käust alles wieder, was Schuld in den Augen und den Worten deiner Eltern ist. Selbstbeschuldigung, Selbstschuld.

DU vervielfältigst sie. Die Bilder der Augen der Schwester und ihres Mundes, der stumm ist, in der höchsten Atemnot, nicht schreit, nein stumm. Du vervielfältigst deine Schwester, die vor dem Erstickungstod ist, du übernimmst ihre Rolle um ihr beizustehen. Bilder und Worte sind miteinander verbunden, endlos und ohne Ton. Das unsichtbare Band, mit der Schuld und dem Unglück verbunden zu sein, mit einer sich ständig erneuernden selbst ernährenden Schuld, mit einem Mantra, einem endloses Gebet, einer Art Glaubensbekenntnis deiner Schuldigkeit.

Du greifst dich damit an, du attackierst dich selbst und machst dich schlecht und schuldhaft, fehlerhaft. Du attackierst dich. Wurdest du geschlagen und körperlich misshandelt, wirst du dich misshandeln und schlagen und körperlich missbrauchen. Du, in deiner Not, tust, was sie dir sagten und antaten.

Du wirst und bist schließlich, was sie dir antaten. Du wirst schwachsinnig, leichtsinnig, leichtgläubig, offen für jedes Wort. Du bist zugänglich für die Verführung mit starken klaren Sätzen, zugänglich für vermeintlich eindeutiges. Für schwarzweiß Denken. Du bist schwachsinnig gemacht durch die Attacke und leichtgläubig. Du bist bereit in deiner Hilflosigkeit allem zu glauben, allem Glauben zu schenken, weil du keinen eigenen Glauben an dich hast. Es gibt nichts in dir, das unabhängig wäre, das deinen Standpunkt vertritt. Niemand stand auf deiner Seite. Du stehst mit beiden Beinen auf der Spitze eines Obelisken.

Du musst jeden Widerstand nach außen hin aufgeben.

Du wirst zum Beschuldiger. Zum Beschuldiger der Schwachen und der Schwachsinnigen. Zum Beschämer der Schwachsinnigen und der Unschuldigen und Naiven. Du wirst zum Beschuldiger von Schwachen, von Minderheiten, von Hilflosen, von Unglücklichen, Minderbemittelten, Armen. Wie dein Vater, der auf der Stelle kehrt macht, wenn er mit Schwäche konfrontiert wird. Du hasst Schwäche, Hilflosigkeit, Angst, Hilfsbedürftigkeit.

Du löschst Schwäche aus, du hasst so sehr die Schwäche, alles Schwache hassen, das Schwache in dir für immer löschen, schließlich auch das Schwache überall löschen, übersehen, ausblenden.

Keiner?

Es reicht.

Du hasst dein so sein und wütend auf dich sein, weil du die Mutter nicht lieben kannst, wie die Mutter das gerne hätte. Du bist verzweifelt wütend, weil du den Vater nicht so lieben kannst, wie du es gern hättest. Du hasst deine linke Hand. Weil du ein Linkshänder bist, kannst du kein guter Handwerker werden. Vater hat das gesagt. Ein Linker kann kein guter Schreiner werden. Du hasst deine Hand dafür, weil deine Hand der Grund ist, dass du nicht das tun und werden kannst, was Vater tut und ist. Du hasst deine Zehen und deine Ferse, weil du sie nicht so einsetzen kannst, wie Vater es gern hat. Dann wärest du ein besserer Leichtathlet. Du bist verzweifelt, dass du die Eltern nicht lieben kannst, wie sie es gerne hätten, du bist verzweifelt und von Versagungsängsten geplagt, weil du die Mutter nicht so lieben kannst, nicht sein kannst, wie die Mutter es gern hat. Du hasst dich für dein Versagen. Du hasst deine Füße, weil sie kalt sind, eiskalt sind und die Finger, weil jetzt muss der Vater wieder etwas kaufen, damit die Füße wärmer werden. Warum kannst du nicht dafür sorgen, dass die Füße nicht mehr frieren? Warum kannst du nicht einmal aufhören mit deinen kalten Füßen. Du verachtest alles, was du bist, was du tust, was du achtest, was du bist und sein wirst, weil nichts, was du tust, zur Liebe reicht. Deshalb hörst du auf mit deinem Tun.

Du wünschst dir, dass jeder Mensch hilflos sei und keine Besserung erfährt. Du hasst Glück in den Anderen. Wenn du Glück siehst, könntest du aus der Haut fahren. Die Wut auf das Glück der anderen ist dein Zorn auf die Hilfestellung, die in den Momenten aufscheint, wenn du Menschen siehst, die sich mögen und die zärtlich zueinander sind. Zärtlichkeit ist für dich das hassenswerteste. Der zärtliche Mensch ist für dich bedrohlich. Zeichen der Zärtlichkeit erinnern dich, ohne dass du weißt warum, an die Wunden. Wenn du Zärtlichkeit siehst, könntest du weinen, was du nicht tust. Du drehst dich weg und schaust angewidert in eine andere Richtung.

Du hasst deine Eltern und kannst es dir nicht sagen. Die Wut hat einen Punkt erreicht, an dem die Eltern dir zu Heiligen werden müssen. Nur so kannst du deine Wut verstecken und vor dir selbst mit Schuld beschmutzen. Du findest keinen Ausdruck mehr, der deine Wut erreicht, der deine ursprüngliche Wut noch fassen kann. Dieses Unerreichbare, dieser Dorn, dieser Hass auf die eigene Unfähigkeit, ist die einzige Brücke zur ursprünglichen Wut und zum Widerstand.

Die Möglichkeit, dass dein Feind in den Augen der Mutter wohnt, dass er in den Worten des Vaters nistet, dass er in den Körperteilen lebt, die dich bewegen, dass der Feind dein eigener Körper ist, ist erträglicher und fassbarer, als das nahe liegende. Selbst dass das Haus böse ist, die Steine und das Holz, ist fassbarer als die Wahrheit, die sich in deiner ersten Wut äußerte und seine Rettung fand.

Deine Angst vor der totalen Sonnenfinsternis, dem Verlust des Vaters und der anschließenden Alleinherrschaft der Stille, allein im Haus mit der toten Mutter. Die Mutter ist der Schatten, der alles Lebendige zum Verstummen bringt, zum Stillstand. Mit ihr vor Augen verzerrt sich deine Welt, verbiegt sich und erstarrt.

Du bist das Bild gewesen.

Du selbst bist dieses Bild.

Im Kettenkarussell der angstbesetzten Töne.

Sie kommt , wenn sie kommt, kommt sie, erschreckend.

Sie verfügt über jede Art von Schrecken. Töne und Geräusche mit der Zitterhaut und der verrissenen Hand, weicht, schreckt, reißt sie dich, der Schwindel in den Haaren, dreht sich dein Auge mit, du weinst sofort, weil sie die Richtung ständig in dir ändert, mit dir am Arm, dich reißt und reißt und schleudert, weg dreht sich mit dir.

Sie dreht dich weg, sie bringt dich um die eigne Achse, reißt dich immer wieder weg. Sie reißt dich weg, weg, weg. Das kleine Kind wird weggerissen, sein Sinn verflüchtigt sich, es zittert unentwegt, weil es die Richtung ständig ändert, es wird geschleudert, taumelt, zittert ständig…

Die zitternden Häuser sind das ständig aus der Fassung bringen, das schütteln ein ums andre Mal, der Schrecken ist das Haus, die Mutter schüttelt dich und reißt dich angestachelt von einem Ton ums andere mal jetzt unaufhörlich weg, du taumelst, schüttelst ängstlich dein Gesicht, wie eine Wachsfigur, so ist dein Sinn entstellt, wie Angst Gesichter, die in Bewegung sind, verirrst du dich und bist nie auf der Stelle ruhig, in ihren Armen lauert immer nur Gewalt in Form von Tönen, von denen sie aufgescheucht, verrückt nach jedem Ton, sich ständig hin und herbewegt, und unaufhörlich deinen Kopf verschleudert, das ist es, was in deinem Nacken ist, das dich bewegt, wenn du nur an die Decke schaust, dass du, wenn du allein in deinem Bett heut liegst, dich unaufhörlich antreibst und jeden Augenblick bewegst, du murmelst, knurrst, bewegst auch deine Augen unaufhörlich hin und her, und du verharrst niemals, denn jeder Ton ist eine Schrecksekunde, das Haus, das zittert immer nur, es bleibt dann eisig kalt auch stehen, doch wenn sie kommt, dann zitterst du, und mit ihr deine Welt, sie dreht sich weg, das ist es schon, sie geht auch weg, das ist es auch, doch sie bewegt sich mit dir weg und immer auch entgegen deinem Schauen, sie lässt dich nicht in Ruhe schauen, da sie sich selbst nicht ruhig halten kann, wenn sie in ihrem Eifer ist und ständig nach dir sucht.

Du siehst den Drachen dort am Himmel flattern, wie er erzittert und dann fliegt, wie er vom Wind vertrieben wird, du siehst die Gliederpuppen, die Marionetten, wie sie kläglich klappernd gehen, wie sie nach allen Seiten klappen und sich verrückt dann fallen lassen müssen, wie sie bewegt von einem Puppenspieler nach allen Seiten knicken, wie sie an Fäden nur gespielt, niemals das tun können, was sie bewegt, was sie im Innern selbst empfinden.

Du siehst die Indianer, die keinen Schmerz empfinden dürfen, du siehst das alles ohne Augen für dich selbst, weil keiner deine Augen sehen will. Du siehst dich selbst als Blatt im Wind, doch in der Hand der Geister, die Frau bewegt sich mit dir hin, wohin sie will, wohin sie auch gehört, du weißt niemals, was sie jetzt wieder treibt, wohin sie sich bewegt, es ist dir unverständlich, nach diesem Tag, wie viele Richtungen es noch gibt.

Wenn du allein bist, und du stellst dich in die Menge, dann irrt dein Kopf unaufhörlich hin und her, er reißt sich einmal fort, dann wieder hin und her, dann wieder andre Richtung, es ist ein ruheloses Rasten, du bist bewegt, wie sie es will, wie sie sich an den Lauten stört und ihre Ohren richtet, sie reißt dich weg und stört dich auf, sie reißt dein Ohr nach allen Seiten, du bist verändert immer wieder, es gibt für dich die Ruhe nicht. Es ist ein ruheloses Raten, nach allen Seiten offen, denn deine Mutter, die dich reißt, bewegt und dann auch wieder absetzt und dich liegen lässt, verrät dir nie die Absicht ihres Tuns, verrät sich nie als unabhängig. Sie ist den Lauten ausgesetzt, als wäre sie der Wind, der sich in ihr bewegt, und ohne eine feste Ordnung. Du bist das Chaos und bist ihm ausgesetzt, und kannst dich niemals ordnen. Sie zeigt dir keinen Anhaltspunkt. Du bist das Spiel, der Drachen, du bist das ausgesetzte Kind, das sich nach allen Tönen richtet. Du kannst dich nicht erholen, weil du niemals am Stehen bist. Du wirst verrissen. Das ist dein Gesicht, das Haus das zittert, das ist die Mutter, die dich trägt, das schwarze Haus.

Du bist das Kind, das aus dem Haus sich zittert, du bist Gesicht, das sich verbiegt.

Verschmolzen Wachs, erstarrt dann wieder. Wie Mutter schaut, verschreckt dich ein ums andre Mal, sie reißt dich hin und her, dann bleibt sie wieder still, erfriert im Stand um dann das Eis zu brechen, erschrocken auf der Lauer und dann bewegt sie sich. Sie redet dabei ohne Unterlass, sie redet ohne Pause. Mit Pflanzen und mit einer Wand, mit Türen und dem Geländer, sie redet ohne Unterlass mit allen Dingen, mit dir kein Wort. Sie redet in die Räume, Zimmer, Böden, in den Kühlschrank und den Schrank, sie redet mit den Töpfen und dem Teppichklopfer, auch mit den Schuhen deines Vaters und Socken, wenn sie stopft, mit Nahrung, wenn sie für dich kocht. Sie redet ohne Unterlass, doch nicht mit dir. Sie hält den Mund verschlossen, wenn sie dich in dein Bettchen legt, dann will sie kein Wort hören. Sie geht und Stille ist in dir und deine Augen suchen immer weiter, wo endlich doch was ist, das dich erschreckt, nur einmal willst du sehen können, was das doch ist, mit dem die Mutter spricht, was sie da sagt, zu wem auch immer. Mit wem spricht diese Frau, wenn sie unaufhörlich redet, und dann auch Stille herrscht, dann wieder weiter redet? Da ist kein Mensch, kein Tier, kein lebendiges Gesicht, da ist nichts zu verstehen. Du weißt niemals, was sie da treibt, was sie antreibt, und weggerissen hat.

Das Unsichtbare deiner Kindheit, das war das schrecklichste, dass etwas existiert, das niemals eine Rührung zeigt, dass etwas dich bewegt, wie Mutter sich bewegt, das völlig ohne jede Existenz.

Die Angst, die dich erschöpfte, war ohne Sinn und ohne eine Rührung, es war das schlichtweg Unbegreifliche, dass etwas dich bewegt und nun in Rage bringt, das nur den Ton des knarrenden Bodens hat.

Du konntest diesen Irrsinn nicht begreifen, doch heute kannst du das, dass Töne keine Toten sind und keine Schatten Schattengeister, das war die Lehre die dich stärkte, du selbst und Vaters Keine-Geister. Dass wenigstens er selbst an keine Geister glaubte, und nicht einmal allein in einem Keller voller Särge, im Angesicht des Todes sich erschreckte. Das war die Rettung für deine Seele, dass wenigstens der Vater nicht an Geister glaubte, und sich nicht vor den Tönen fürchtete, dem Grunzen und dem Stolpern, dem Poltern und dem kleinen Lärm. Er schreckt sich nicht, er tobt, wenn seine Wut entsteht, doch Schrecken hat er keinen. Er nicht, das rettet dich, dass einer keine Angst erhebt. Dass einer dich ohne Angst hochhebt, damit du nicht erschrecken musst. Nur einer nur, denn Mutter ist die andere, die nur um Hilfe ruft, den ganzen Tag, bis Vater kommt, dann herrscht der Vater, doch keine Angst vor Tönen. Mit ihr allein, bist du den Tönen ausgeliefert und der Bewegung. Dich schwindelt, schreist dich in die Köpfe, damit die Mutter endlich Ruhe gibt. Du schreist dich in die Köpfe anderer um deinen Schrecken auszuhalten. Du schreist dich in die Köpfe anderer um endlich dich zu finden. Du kontrollierst die Schrecken deiner Kindheit, indem du andre kontrollierst. Du bist das Ungeheuer, das sich erschuf, um jenen Schmerz nie wieder zu erleben, nie wieder willst du dich verfügbar fühlen, dich ausgesetzt, jetzt setzt du aus. Doch seltsam ist, dass niemals Ruhe in dich kehrt, solange du die Wahrheit unterdrückst, solange du die Schrecken vor dir selbst verheimlicht hältst. Das Ungeheuer, das sich nicht sieht.

Wie kann das sein, dass du dich selbst mit deinen Zähnen schwer bewaffnet, dich selbst nicht beißen siehst, auch wenn du mit den Zähnen im Gesicht, dich selbst anschreist.

Wie kann das sein, dass du dich nicht selbst am Beißen hindern kannst und am Erschrecken anderer?

Wie kann das sein, dass du nicht siehst, was in dir steckt an allem Schädlichen?

Wie sollst du dich als friedlich sehen und empfinden, wenn niemals Frieden in dir war, wenn immer nur mit Krieg auf dich zuhause eingegangen wurde. Wie solltest du dich anders sehen?

Wer will dich stumm und ohne eine Art Lebendigkeit? Wer will schon ewig sterben? Wer will dich nicht verstehen? Wer ist denn blind für deine Ängste? Wer sieht denn nicht das Ungeheuerliche, die Angst um dich in deinen Augen?

Wer sieht denn nicht das Ungeheuer? Wer schaut denn weg, wenn DU der Spiegel bist?

Wer hat denn nichts Lebendiges, weil seine Augen müde sind, getrübt? Wer kann und will dich nicht mehr sehen? Wer hat für dich das Augenlicht verloren? Wer blendet sich für dich und schaut ganz einfach weg? Wer hat dem Kind die öde Welt gezeigt? Wer hat dir Kind nur vorgemacht, dass alles ohne Leben ist und stumm sein soll? Wer malt dir eine stumme Welt und Schatten an die Wand, damit du ruhig bist und voller Schrecken. Wer will dich brav und ohne deine Wut?

Wer legt dir Tücher über deine Augen, damit du ruhig wirst?

Die Gleichgültige.

Die stumm Leidende, die stumm Verharrende, die stumme Mutter. Mutter tritt nur schimpfend in Erscheinung, korrigierend, kontrollierend und verfügend, nie wohlwollend von sich aus den Kontakt zum Kind suchend. Sie sucht niemals Kontakt. Sie springt auf nichts Lebendiges. Sie wird nicht wach bei mir, sie wird nicht wach und lebendig bei meinem Schreien, meiner Wut, da geht sie fort, sie zeigt sich nur bei Todeslauten, bei stummer Lautstärke, bei Stille kommt sie, und bei Lärm, die Stille anmahnend. Sie tritt nicht auf, wenn Leben ist, nur im Fasching, dann allerdings verkleidet, nur verkleidet tritt sie lebendig auf, auch hier nur kontrollierend, die Kleider anderer, das Benehmen anderer, die Leidenschaften von Männern weckend und dann verschwindend. Sie stiehlt sich fort, wenn Leben ist. Wenn Leben ist, dann ist sie fort. Sie will kein Leben, nur kontrolliertes sitzen, essen, reden, gebührlich sein.

Sie spielt nicht mit. Sie spielt nie mit. Sie bringt dir Schwimmen bei und Schlittschuhlaufen, doch alle Spiele sind ermattet, still, nie wüst, lebendig, frech, und rasend schnell, nie unkontrolliert und ohne Regeln. Sie hält dein Spiel in der Bewegung an, sie hält die Seele fest, vereist das Leben und das Spiel, das Spielerische, sie malt die toten Blumen, die toten Vögel und die toten Landschaften. Die toten Landschaften, die gefielen ihr. Doch meine braune Wiese, der wüste Acker, der war ihr viel zu wüst, lebendig wach und widerständig. Sie hält den Atem an, du sollst nicht schneller atmen, du sollst dich nicht in Wut hinein atmen, sie hält dich an und deine Wut, sie würgt dich ab. Sie ist das alles, was dich festgehalten hat, nur kontrolliert, zum Schlafe mahnend, den Schlaf befehlend; jetzt. Jetzt sollst du dich schlafen legen, weil sie es will. Wenn sie es will ist Schlafenszeit, egal zu welcher Jahreszeit.

Staad! (Still!)

Des is doch wurscht! (Das ist doch egal!)

Später rede ich selbst so, mit mir und mit anderen. Doch diese Worte würde ich gerne löschen und wegwischen, aus allen Gedächtnissen, dass niemand mehr still sein muss, wenn ihm etwas weh tut, und nicht gleichgültig auf jede Art von Grobheit und Unrecht und Ungerechtigkeit und körperliche Gewalt reagieren muss und wieder still sein muss. Die Mutter die den Atem schwächer macht und Freiheitswünsche stets erstickt.

Die Frau, die alles tötet. Die Leichenfrau, die fröhlich lacht, auch wenn sie Kinderleichen wäscht, die immer gleich ist, fröhlich fremd, die keine Miene verzieht, wenn etwas geschieht, die sich nichts anmerken lässt, die keine Reaktion in ihrem Gesicht dem Kind gestattet, die sich lebendig äußert. Die keine Reaktion dem Kind gestattet, die anders ist als gleichmütig, ertragend jeden Schmerz mit Gleichmut und mit fröhlichem Gesicht. Die Schmerzaustreiberin, die Schmerzanhalterin, die Totenwäscherin.

De Doadnfrau (Die Totenfrau)

Die fremde Frau, die mich verwarnt, die mich am Gehen warnt, nicht das zu tun, was ich jetzt tue, ich gehe nun zum toten Jungen hin.

Sie reagierte auch auf meine Angst, nachdem ich den toten Jungen gesehen hatte, so wie immer, mit Kopfschütteln und gleichgültig, mit unerschütterlicher Gleichgültigkeit, mit eintöniger Mattigkeit.

Die Arme meiner Mutter sind mit den Armen meiner Großmutter verbunden. Sie mögen keine Lebendigkeit, sie drücken nur die Liebe. Sie drücken immer nur die Liebe runter. Sie dimmen jedes Licht.

Sie denken nicht lebendig, sie dunkeln jede Art von Gedanken. Sie drücken jedes Leben ein. Sie erdrücken alles Lebendige. Wenn ich der Oma etwa sagen will, dass ich nicht schlafen will, dass ich nicht schlafen kann, dann will sie das nicht hören. Die Totenfrau, die Grabentstiegene, die an mein Bett hin kommt und mich festhält, damit ich meiner Mutter helfen soll. Die mir den Schwur abnimmt, doch immer brav zu sein, wenn sie nicht mehr auf Erden ist. Wenn sie mal tot sein wird, dann soll ich auch noch braver werden, weil dann die Mutter ganz allein hier ist, und sie nicht mehr. Dann ist sie ganz allein, und muss auf mich allein aufpassen, dann ist sie nicht mehr da. Und Mutter ist allein mit allen Pflichten. Und ich muss brav sein, damit das nicht zu schwierig wird. Ich immer ich, muss brav sein für die Mutter. Für alle Frauen brav. Für meine Mutter und die Tante, für meine Oma und den Onkel, der sich in allem auch ergibt. Nur Vater ist der einzige, der alle hasst und geht, wann es ihm passt.

Die fremde Frau ist keine Mutter hier, die ist die ewig Gestrige, die immer nichts erträgt, die ewig Gestrige, die nur den Status quo anmahnt, die keine Art Veränderung, ist Besserung, erwünscht. Sie ist der rückwärts schauende Engel, der nur von der Vergangenheit träumt und sagt, dass alles damals besser war. Dass früher alles besser war, sagt sie die ewig Gestrige, die Frau, die ich nicht kannte, ungeboren. Die ewig Gestrige will, dass sich nichts verändert. Sie hängen alle nur dem nach, das ich nicht kenne, von dem ich nichts mir denken kann, von dem ich nur, das Wort, früher, kenne. Früher war doch alles besser.

Was ist früher und wann ist früher? Sie haben nie erwähnt und beschrieben, was sie meinten. Im Grunde meinten sie, so musste ich das verstehen, die Welt ohne mich. Die Welt ohne eigne Kinder. Das ist die Welt der ewig Gestrigen. Der Mutter ohne Sorgen. Wer bereitet ihr Sorgen? Ich. Sagt Oma, sagt Vater, sagen alle. Nie hat es jemanden gegeben der gesagt hat, dass die Eltern dem Kind Sorgen bereiten. Habe ich noch nie gehört, dass ein Vater oder eine Mutter gesagt hätte: wir haben dir große Sorgen bereitet.

Wenn ich einsam und allein vor diesem Fernseher saß und mich, 20 Jahre alt, aus meinem Kater zitterte, und fror in mir, und wirklich alles hasste und in mich fraß und nichts mehr sagte, schweigsam war, wie nur ein Grab, und mich auch weigerte, dem Vater Widerstand zu leisten, wenn ich nur ja und Amen sagte, wenn ich nur dalag und dann schlief, und der Fernseher weiter lief, dann mochte meine Mutter mich. So pflegeleicht und ohne einen Mucks, ein krankes, rekonvaleszentes Kind, das sich vor allem fürchtet, das alles isst, was seine Mutter kocht, das auch ermattet tut, damit die Mutter wieder geht. Das Kind, das sich zudeckt, das ist ihr stets das liebste. Das Kind das seinen Tod begreift und nicht mehr tut als atmen, das nur mehr mit der Mutter wartet, das neben ihr erfroren ist, und kalt wie seine Mutter, das ist das liebste was es für die Mutter gibt, das Totgeborene, das ohne jede Regung ist, und ohne Angst und ohne Forderung nach Zuneigung. Das tote Kind ist das Verfügbarste, denn hier kann Mutter alles sein, hier ist die Mutter allerseelenhaftig, hier ist sie ganz bei sich, im Grunde stolz auch ohne sich und ihre Kinder. Hier mit dem toten Kind, kann sie selbst auch abwesend sein und niemand ahnt etwas davon. Niemand kann sehen, wie sie die eigentlich Fremde ist, in allem hier Beschriebenen.

Solange du an dieser Mutter Seite bist, bleibst du das tote Kind. Sie schützt nicht dich mit ihrem Mantel. Sie will Gesellschaft haben in ihrem Totenreich, sonst wäre sie ganz allein. Sie schafft den Tod in deine Nähe. Sie ist es selbst, die wirklich Fremde. Jetzt klären sich die letzten Bilder. Das was du niemals zeigen durftest, das was du niemals sehen durftest, das war die tote Frau, die dich erwürgt und deine Art Lebendigkeit einfriert. Der Tod war immer männlich. In deiner Sprache gilt der Tod als Mann, als Sensenmann und Boandlkramer, als was auch immer, immer männlich. Du hast das Bild gesehen, den Satz gehört, im Traum.

Tun Sie das nicht!

Das war die fremde Frau, sie sprach zu mir. Das war der Tod leibhaftig, die Mutter. Sie spricht von allem Toten und Schicksalhaften, vom Sterben, als wäre das schon hier, schon hier im Haus seit Anbeginn.

Schau hin!

Sie hat das Haus gebaut, in dem du zittern musst. Sie ist doch die Leibhaftige, die dich erschreckt, zu Tode schreckt. Sie ist der Tod, sie selbst in einem. Ganzes Bild. Endlich Einheit. Denken, Sehen, Fühlen, Wissen, Erkennen. Was bringt den Tod, verkörpert immer Tod, wer redet immer schon von all den Toten. Die Mutter. Wer hat denn immer schon von Anbeginn sich tot gestellt? Wer wollte denn nur Todesstille?

Verdammt noch mal!

Wer macht dir Angst vor jedem Ton und jeder neuen Art Lebendigkeit?

Der Junge kommt nach Hause und freut sich, und sie versteckt sich, sagte Vater meiner Schwester.

Meine Schwester sagte mir das Jahre nach seinem Tod, dass sie das wusste, dass er das wusste, was sie machte, dass alle es wussten in der Familie, und mich damit alleine ließen. Welche Verleugnung des Lebendigen und der Freiheit, dass ein Kind einen Zeugen braucht, um seine Wut auch einmal zu begründen gegen seine Widersacher und für seinen Widerstand.

Das Bild, das ich mir träumend zeigte, der Junge auf der Spitze eines Obelisken stehend, bin ich gewesen, das Kind das seinen Halt allein suchen musste. Deshalb ist die Wut so wichtig, weil sie den einzigen Halt, den das Kind für sich jemals hatte, klar und deutlich markiert.

Deinen Mut.