Texte von Hugo Rupp

Vom Geist der Eltern

 

Gefühle sind Fragen und Antworten. Dein Gefühlsausdruck ist eine Frage. Dein Gesicht eine Antwort. Dein Gesicht eine Frage. Dein Schreien eine Antwort. Dein Schreien eine Frage. Alles was ein Kind fühlt, ist Kommunikation. Alles was ein Kind braucht, ist Nahrung; Fragen und Antworten. Fragen und Antworten. Alles was ein Kind ist, ist wissensdurstig und hungrig nach Erfahrung. Fragen und Antworten.

Freude eine Antwort. Freude als eine Frage, warum sich niemand denn daran beteiligen mag. Deine Angst, eine Frage und auch eine Antwort. Glück ist eine Antwort. Liebe eine Frage. Liebe eine Antwort.

Meine Mutter mochte weder Fragen noch Antworten. Sie mochte nicht, wenn ich sie etwas fragte, wenn ich sie in Frage stellte. Sie mochte mich dann nicht. Wenn ich trotzdem weiter fragte, drehte sie sich um und ging. Wenn ich dann noch weiter fragte, kam sie zurück und schrie mich an.

Wenn ich meinen Vater etwas fragte, lachte er, wenn ich ihn noch mal befragte, lachte er nicht mehr, dann erklärte er mir, dass man ihn nicht fragen soll. Tun soll man, was er sagt, und dann würde alles von allein geschehen und sich fügen, zu meinem Besten. Mein Vater mochte keine Fragen. Meine Antworten waren ihm egal, solange ich ihn nicht damit behelligte. Er wollte nur eine passende Antwort auf seine Fragen hören, dass ich das und das tun und das und das nicht tun und das und das künftig unterlassen würde.

Wenn ich wütend wurde, gingen meine Eltern weg. Wenn ich mit meiner Wut meine Antwort auf ihr Verhalten gab, gingen meine Eltern weg und ließen mich allein. In der Einsamkeit sollte ich lernen, dass ich keine Wut haben darf, dass ich nicht wütend werden darf. Dass ich sie so nicht fragen soll und nicht erwarten könne, jemals eine Antwort zu bekommen, wenn ich so sein würde: wütend. Wenn ein Kind dann Angst bekommen muss, weil es immer nur allein gelassen wird, wenn es wütend wird, wird es seine Wut verstecken. Keine Fragen, keine Suche mehr nach Antworten. Es wird seine Fragen einstellen und keine Antworten mehr geben. Wer keine Fragen stellen darf, wird keine Antworten mehr geben können. Wer keine Fragen stellen darf, wird keine Antwort geben. Sich nicht und auch keinem anderen.

Die einzige Möglichkeit, die einem solchen Kind bleibt, ist seine Fragen anderen Menschen zu stellen, und später dann sich selbst. Sich selbst befragen, wie das war, was für Antworten die Eltern für einen übrig hatten.

Meine Eltern gaben ausschließlich Befehle und gehorchten damit den Befehlen ihrer Eltern. Sie bestraften Fragen und Antworten.

Mein Vater wollte keine Fragen hören. Meine Mutter mochte weder meine Fragen, noch meine Antworten. Sie wollte gar nichts von mir hören. Das musste ich als Kind erlernen. Nicht fragen und nicht antworten. Und später dann, beklagten sie sich beide, dass ich nicht zuhören, ihnen nicht antworten würde.

Das waren die Gesetze meiner Eltern. Sie besaßen keinen Geist und kein Gefühl für Leichtigkeit. Sie waren streng und hart und unnachgiebig. Sie waren schnörkellos und kannten kein Pardon. Mein Vater war der Unnachgiebige und unbeugsam, und meine Mutter folgte ihm. Er nahm nichts von mir auf die leichte Schulter. Er sagte immer, ich sei schwer, wenn er mich trug. Es gab für mich bei meinen Eltern keinen Platz für Zärtlichkeit. Ich konnte diesen Geist in ihnen niemals ändern. Das kann kein Kind. Den Geist der Eltern ändern.