Texte von Hugo Rupp

Veränderung

 

Fass mich nicht an, schreit sie. Sie will nicht, dass ich sie anfasse. Nicht anfassen. Fass mich nicht an. Das schreit mein ganzer Körper. Ich soll sie nicht anfassen. Ich soll ihr nicht nahe kommen. Fass mich nicht an. Dass ich die Mutter nicht angreifen soll, denn das kann sie nicht leiden. Dann wird sie fürchterlich. Dann wird sie furchtbar böse. Sie fasst mich an. Sie darf anfassen. Der Vater darf das auch. Der muss mich hart anfassen. Das sagt auch Mutter. Dich muss man hart anfassen. Fass mich nicht an, sagt sie. Mach mich nicht dreckig. Steck mich nicht an. Fass mich nicht an. Fass mich nicht an, das sage ich mir immer wieder, nur fass mich niemals an. Fass mich nicht an, sage ich. Fass mich nicht an. Ich fasse mich nicht an. Ich fasse niemand an. Betonung liegt auf fassen. Ich fasse niemand an. Betonung liegt auf niemand. Ich fasse niemand an. Betonung liegt auf allem, jedem einzelnen Wort. Ich fasse niemals wieder jemand an. Betonung liegt auf wieder. Betonung liegt auf nie mehr wieder. Ich fasse niemand an. Betonung liegt auf ich. Ich habe jetzt genug von dir und deiner Sauerei. Mir reicht es jetzt. Betonung liegt auf jetzt. Ich werde jetzt weg gehen. Ich hab die Schnauze voll. Betonung liegt auf Schnauze. Ich hab die Schnauze voll. Verschwinde endlich. Ich soll jetzt schnell verschwinden. Betonung liegt auf schnell. Dreh dich nicht um. Ich will nichts mehr von dir sehen. Betonung liegt auf jetzt. Ich sag dir, wann du wiederkommen kannst. Betonung liegt auf wieder. Ich kann nicht einfach wieder kommen. Betonung liegt auf ich. Muss ich dann wieder kommen? Wenn ich dann komm. Muss ich erst kommen. Betonung liegt auf ich. Wenn du nicht endlich ruhig bist und still. Nie wieder komme ich. Betonung liegt auf ich. Nie wieder komme ich. Betonung liegt auf dem Gesicht, das meine Mutter macht, für mich, wenn ich sie sehe. Ihr Hass auf mich ist sichtbar. Was ich Jahrzehnte nicht gesehen habe. Ihr Hass fällt auf mich runter. Fällt auf mich. Fass. Wie beißen Hunde ins Gesicht? Ihr Hass ist sichtbar, fassbar. Wie meine Mutter bellt und ihre Zähne fletscht. Ihr Hass fällt auf mich runter. Fass mich nicht an. Dabei fällt sie mich an und schreit in mein Gesicht. Fass mich nicht an, schreit sie in meine Augen. Sie fällt in mein Gesicht, als wäre sie aus Wasser. Die Worte feucht und schreit mich an. Sie fällt in mein Gesicht. Sie steigt in meine Augen. Sie kommt mir immer näher. Was ich nicht tun sollte. Sie kommt mir immer näher. Bei ihr ist das erlaubt. Mit Hass in ihren Augen. Mit Hass darf jeder zu mir kommen. Mit Liebe bin ich unverschämt. Sie schämt mich aus. Schämst du dich nicht, so eine Sauerei! Ich darf sie nicht anfassen. Sie reißt an meinen Händen, Beinen, sie schüttelt mein Gesicht. Kannst du nicht endlich ruhig sein. Ich werfe dich aus dem Fenster. Wirst du jetzt endlich ruhig sein? Sie lässt mich fallen. Bist du jetzt endlich brav. Bist du jetzt endlich still. Betonung liegt auf stiller Mund. Willst du jetzt endlich Ruhe geben! Wirst du jetzt endlich einschlafen. Du böses, böses Kind. Willst du nicht endlich einschlafen!? Betonung liegt auf nicht. Betonung liegt auf nicht. Nicht, nicht, nicht nicht, im Rhythmus meines Herzens. Dem Schlag für Schlag, fass mich nicht an, der Hass zum Greifen nahe kommt. Im Rhythmus meiner Angst. Im Rhythmus meiner Schmerzen. Nicht, nicht, sagt unaufhörlich meine Mutter. Nicht, nicht, bin ich im Herzen. Nicht ich, ich nicht. Ich bin nicht aufgehoben. Ich nicht. Nicht ich. Ich bin nicht aufgehoben. Nicht ich. Ich nicht. Nicht aufgehoben. War für mich aufgehoben, nicht wegen mir. War für mich aufgehoben. Betonung liegt auf mich. War für mich aufgehoben. Betonung liegt auf aufgehoben. Für mich hab ich das alles aufbewahrt. Für mich hab ich das aufgehoben. Für mich. Für mein Gedächtnis. Die Erinnerung. Ich weiß jetzt, wie das ist, nichts, niemand anzufassen dürfen. Nicht anfassen, nichts anzufassen, wie schrecklich das doch ist. Nur Hass kam mir so nahe. Nur Hass kam mir ganz nahe, so nahe wie kein Mund. Nur Hass und keine Liebe. Ich habe das behalten. Ich habe das gekonnt, den Hass so gut behalten, den Hass gut aufbewahren, den Hass von meinen Eltern. Den Hass auch für sie aufbewahren. Ich musste meinen Hass auch aufbewahren. Ich musste ihn bewahren. Ich durfte ihn nur aufbewahren. Nie außer mir, nicht äußern, nicht äußern. Ich durfte meinen Hass nicht zeigen. Nichts von dem Hass in mir bemerken. Nicht, nichts sollte ich bemerken. Nicht! Tu das nicht! Rühr das nicht an! Rühr das nicht an. Betonung liegt auf jedem Wort. Einzeln mit ihren Blicken in mein Hirn geschossen, mit ihrem Blick hat sie mein Auge tätowiert, dass ich dann immer ihre Augen sehen muss und ihr Gesicht, wenn ich tatsächlich das Bedürfnis habe etwas anzufassen, jemandem näher kommen will. Fass das nicht an. Fass sie nicht an. Fass niemand an. Hass blieb in mir. Rühr mich nicht an. Ich darf den Hass nicht für sie äußern. Den Hass für meine Mutter. Von ihr hab ich das so gelernt. Betonung liegt auf ihr. Betonung liegt auf ihr zurück geben. Betonung liegt auf Dankbarkeit und rühren. Verdanke ihr den Hass. Ich darf niemanden rühren. Muss mich für ihren Hass bedanken. Muss dankbar sein, dass sie mich hasst, dass sie mich nichts berühren lässt. Verdanke ihren Hass. Sag danke, wenn dir jemand etwas schenkt. Verhasstes Kind. Sag dann gefälligst danke. Danke. Ich hasste sie dafür, wie ich das niemals wusste. Wie ich das niemals wissen durfte. Wie meine Wut den Hass der Mutter hasste. Wie ich mein Heim verschrie und alle in der Nähe, dass ich den Eltern niemals nahe kommen konnte, und sie mir nur mit Hass begegneten. Was sie mir nahe legten, war Hass, nicht etwa Liebe.

Gefühlt, kann endlich dieser Hass entweichen und muss nicht länger aufgehalten werden. Ich hielt ihn immer mit dem Atem an, wenn ich die Mutter schimpfen hörte. Ich hielt den Atem an und schluckte meine Wut. Fass mich nicht an, muss ich dem Hass und dem Gefühl in mir nicht länger sagen. Ich hasste meine Eltern zu berühren. Ich konnte sie auch nicht im Traum berühren. Ich konnte sie niemals berühren. Und ich berührte niemand anderen. Ich rührte mich nicht. Solange ich die Wut nicht fühlte gegen jene, die mir verboten hatten, zu berühren, solange hielt ich mich an ihr Gebot. Solange hielt in mir auch ihr Gebot sich selbst als Wahrheit fest. Du sollst mich nicht berühren. Mach dir kein Bild von uns! Betonung liegt auf dir. Sie machten mir ein Bild. Sie machten mir mein Bild. Die Koppelung, der Grund, warum ich niemals nach dem Leben griff. Warum ich so lange nicht lebendig werden konnte. Ich durfte mich nicht rühren. Ich durfte nichts berühren. Ich wusste nichts von diesem Mechanismus. Ich konnte ihn nicht fühlen. Ich dachte immer nur, ich tue etwas böses, wenn ich jemand berühren würde. Betonung liegt auf ich. Die Eltern machten mich erst böse.

Fass mich nicht an, sprang mich förmlich an. Fass mich nicht an, springt mir in die Augen. Fass mich nicht an, hat überlebt. Der Hund in mir, der abgerichtet wurde, nach allem nur zu schnappen und zu beißen, nur nicht nach seinem Frauchen. Fass mich nicht an! Betonung liegt auf mich. Betonung meiner Mutter. Betonung meiner Eltern. Ich war ihr Hund, der alle biss, und nur nicht sie, dich mich dazu erzogen hatten. Fass mich nicht an, galt nur für sie. Die Eltern waren mein Tabu. Die Eltern, meine ersten Götter. Fass mich nicht an. Betonung liegt auf fass. Ich wurde damit abgerichtet. Ein Kind wird damit aufgehetzt, den Hass so zu verbreiten und immer nur nach vorn zu schauen und niemals rückwärts Richtung Quelle. Aus Angst vor seinen Eltern.

Was soll das, fragt die Mutter, wenn ich sie immer noch berühren will. Ich zweifelte daran, dass ich sie nicht berühren sollte. Was soll das, sagt mein Vater. Was willst du noch, sagt er, verschwinde endlich. Ich durfte sie nichts weiter fragen. Nichts anrühren, was ich für meine Eltern fühlte. Nichts anrühren, was immer mehr im Hintergrund verbleiben musste. Ich konnte sie und das, was ich empfand, für sie nicht anrühren.

Solange wir den Hass nicht fühlen und empfinden, solange hört er auch nicht auf. Solange wir nicht empfinden, was wir tun, können wir unser Tun nicht abstellen. Solange wir das nicht empfinden, was wir verleugnen und verstecken hatten müssen, solange hält der Hass uns fest. Solange unterdrückt der unbewusste Hass jedes Gefühl. Solange wir die Wut und unterdrückten Hass auf unsere Eltern nicht befreien, solange hört der Hass nicht auf. Solange wir nicht fühlen, was wir empfinden, wissen wir nicht, was wir tun. Solange können wir unser Tun auch nicht verhindern, solange wir nicht fühlen, woher das kommt, das so und so empfinden. Warum wir so empfinden, fühlt unser Tun. Solange wir nicht fühlen, was wir tun, solange wir nicht wissen, was unsere Empfindung ist und sagen will, dass wir den hassen, der uns böses tut, nicht lieben können, solange bleiben wir uns fremd. Beleidigungen beschmutzten unsere Sinne und gaben uns dafür die Schuld. Beleidigung beschmutzt die Liebe eines Kindes. Solange das ein Kind nicht weiß, wird es nach reiner Liebe suchen, bei seinen Eltern, die seine Liebe doch beschmutzt hatten. Wer die Beleidigungen fühlen kann, begreift den Hass dahinter. Der wartet nicht mehr länger auf Verwandlung. Der weiß, dass Liebe Hass nicht ändern kann. Kein Kind kann seine Eltern ändern.