Texte von Hugo Rupp

Die Selbst-Isolation

 

Es gibt für mich kein desolateres Gefühl, als wenn sie sich in einem Notfall mir verweigern. Wenn sie sich lächelnd immer nur verziehen. Wenn ich nicht wütend werden kann. Weil sie mir meine Wut als bösen Spiegel meiner Seele vorhalten und so die Lösung meiner Wut nur mehr verhindern. Sie drehen sich selbst um und machen meine Wut so miserabel damit, dass ich nicht anders kann, als vor mir zu erschrecken. Vor mir und meiner Wut. Ich fragte mich, was habe ich getan? Warum bin ich so wütend? Was habe ich getan!?

Da ist ein Vorwurf, den ich machen musste. Als müsste etwas schlechtes in mir sein, ein schlechter Grund für meine Wut als Kind. Als gäbe es gar keinen guten Grund für meine Wut als Kind. Als wäre jede Wut für ein Kind schlecht. Das musste ich genauso lernen.

Mein Vater untersagte mir mit Freunden auf dem Inn mit einem Boot zu fahren. Er sagte ohne wenn und aber nein. Ich zündete drei Tage später am Inn ein Stück des Ufers an. Die Böschung, Stroh, Schilf und Gestrüpp, nah einer Brücke. Es brannte lichterloh. Ich war auf dem Nachhauseweg und zündete einfach die Böschung an. Passanten sahen mich, wie ich die Flammen gleich wieder löschen wollte. Sie sahen zu und schauten dabei vorwurfsvoll und für mein Schicksal völlig gleichgültig.

Ich konnte meinen Vater niemals wirklich hassen und mein Gefühl für meine Mutter auch nicht zeigen. Ich musste ihnen damit ausweichen. Ich musste mich selbst isolieren und wusste nichts davon. Ich wütete am Fluss, wo niemand meine Wut verstehen und auch den Grund dafür nicht wirklich sehen konnte. Niemand ging mit mir heim und wollte mich mit meiner Wut begleiten. Ich konnte mir die Wut als Kind nicht leisten. Ich konnte sie niemals für mich verständlich werden und auch verständlich sein und auch verständlich bleiben lassen. Ich konnte das nicht wissen und keinerlei Zusammenhang herstellen. Ich hatte viel zu große Angst vor beiden Elternteilen. Die Angst verhinderte, dass ich die Wut verstehen lernte, als ein Gefühl wie jedes andere. Sie hatten mich mit meiner Wut schon immer isoliert. So isolierte ich dann meine Wut von jedem anderen Gefühl. Sie hatten mich, als ich noch wütend werden konnte, allein gelassen, weggesperrt. So war die Wut scheinbar der Grund für mein absonderliches Sein, für meine Selbstisolation. Als würde ich mich wütend isolieren müssen. Ich glaubte meinen Eltern, dass Wut mich immer nur von allen weg, in selbstverschuldete Einsamkeit stürzen würde. Ich war mit Wut nicht länger Kind von meinen Eltern. Ich sonderte die Wut von allen anderen Gefühlen vollkommen ab. Sie existierte in mir scheinbar grundlos weiter und lagerte wortlos. Erwähne nie die Wut! Das waren meine stummen Worte und Blicke in die dunklen Ecken. Das war vergessen müssen. Was ich noch sagen wollte. Was ich noch fühlen wollte. Was noch da war. Wie ich die Böschung einfach angezündet habe und nichts von meiner Wut auf meine Eltern wirklich wusste. Ich sah keinen Zusammenhang, nichts was zusammen passen hätte können.

Ich mochte schließlich nichts mehr von mir wissen. Ich wollte irgendwann auch nichts mehr von mir hören, und auch von keinem anderen. Ich fand niemand, der meine Wut erkennen konnte. Da war niemand, der solchen Mut besaß, und meine Wut auf meine Eltern auch verstand. Der mir dem Kind die Wut auf meine Eltern ließ und mich nicht davon abbrachte. Ich hatte keinen, der meine Wut selbst schützen wollte. Da war niemand, der mir gestattet hätte, die Wut, die sich in mir wie Feuerholz auf einem Scheiterhaufen angehäuft hatte, zu zeigen und zu spüren, zu fühlen, wie sie tatsächlich in mir brannte und auch weshalb.