Texte von Hugo Rupp

Die Gesellen

 

Wir haben große Mühe, uns die Situation des kleinen Kindes vorzustellen, das der Willkür und nicht selten dem Irrsinn des Erwachsenen ausgeliefert ist. Dieser Irrsinn kann durchaus mit einer glänzenden Sozialanpassung der Eltern einhergehen, so daß er völlig unauffällig bleibt. Die Väter können Männer sein, die hohe Ämter bekleiden, denen weit und breit großer Respekt entgegengebracht wird und die die verdrängte Not ihrer eigenen Kindheit nur mit ihren Kindern ausagieren. Das gleiche gilt für Frauen. Es gibt Frauen, die den Ruf einer guten Mutter genießen, aber für die Bedürfnisse ihres Kindes blind sind, weil sie als kleine Mädchen gelernt haben, daß die Bedürfnisse des Kindes nicht zählen. Sie haben nie Schutz, liebevolle Pflege, Orientierung und Zärtlichkeit von ihren Müttern erhalten und mußten die entsprechenden Bedürfnisse unterdrücken. Bei ihren Kindern sind sie also für diese Bedürfnisse blind, wenn nicht neue gute Erfahrungen mit Partnern diese Blindheit haben ausheilen lassen.

Alice Miller, Abbruch der Schweigemauer, 2003

Sepp, zakament an Hamma, sage ich. Sepp, zakament an Hamma. Ich fluche wie mein Vater: Himmelhergottsakrament.

Dass ich den Hass als Sprache, noch früher als die Schläge lernte und begriff.

Wenn wir nach Hause kommen und dich jemand fragt, wo du gewesen bist, dann sagst du, du warst bei deinem Onkel in Mersburg. Am Bodensee. Dort war es wunderschön. Und wenn dich jemand fragt, was dein Onkel macht, sagst du, er ist Zahnarzt. Und wenn dich jemand dann noch fragt, was du denn einmal werden willst, dann sagst du Zahnarzt. Verstehst du mich. Nicht Schreiner, sondern Zahnarzt. Wenn dich der Sepp dann in der Werkstatt fragt, was du mal werden willst, sagst du Zahnarzt. Dann werden alle lachen, sagt sie. Du sagst nicht Schreiner, was du immer sagst. Du willst jetzt Zahnarzt werden, sagst du, dann wissen alle gleich, dass es dir bei meinem Bruder gefallen hat und dass du keine Zeitlang hattest nach Zuhause. Verstehst du, was ich sage, sagt sie. Verstehst du das!

Auf vielen Bildern habe ich mich ohne Arme gemalt und wusste nicht warum. Jetzt weiß ich es, seitdem ich Männer sah im Traum. Kapuzen trugen sie, ich konnte ihr Gesicht nicht sehen. Sie gingen langsam, folgten einem Zwang, so gingen nur Traumwandler oder Jäger, oder Hypnotisierte. Ich sah sie in der Dämmerung, und meine Mutter spülte währenddessen ab. Das tut sie immer, nachdem sie mich für irgendetwas angeschrien und aufgehetzt, beschuldigt und bestraft hatte. Ich sah die Männer ohne Gesicht und ohne Namen. Wie Spießgesellen. Sie gingen an der Innleite entlang und Richtung Blaufeld, wo ich mit meinen Eltern manchmal war, an Nachmittagen ohne Arbeit. Sie stahlen mir den Tag. Sie folgten einem Zwang. Ein innerer Befehl, der führte die Gestalten. Mit Schatten unter ihren Augen bezeugen sie die Herkunft und Verwandtschaft: Jammertal. So gehen sie auf Wanderschaft, die Reise ohne Ziel. Sie fluchen und sie klauen wie die Raben und fliehen vor sich selbst.

Dann sehe ich den Mann, der auf dem Feld alleine steht. Den ich jahrzehntelang verwechselt habe. Das war gar nicht mein Freund, der Peter K.. Das war der Lehrling meines Vaters. Der K., aber der Heini K. Der Lehrling meines Vaters, der gar kein Schreiner werden wollte. Nur widerwillig Schreiner lernte. Der aber trotzdem alles tat, was Vater ihm befahl.

Bis zweieinhalb wollte ich Schreiner sein, weil mir der Sepp alles gezeigt hatte. Weil Sepp mich auf die Hobelbank gesetzt hatte; und mit mir redete. Mich immer wieder fragte, was ich mal werden würde. Schreiner, sagte ich. Ich würde nie was anderes werden. Der Heini war sein nächster Lehrling dann, und Sepp war sein Geselle. Mein Vater wieder Meister.

Der Sepp, das ist mein Freund gewesen. Der mir das Sägen und das Hammern beigebracht hatte. Der mir gezeigt hat, wie man Bretter sägt und einspannt und abhobelt. Ich habe sein Gesicht vergessen. Ich habe keinerlei Erinnerung an diesen Mann. Ich habe sein Gesicht vergessen. Nur seine Worte sind in mir geblieben.

Die Mutter hat dann später noch gesagt, wie dumm der Sepp gewesen sei, wie er mich von der Hobelbank geschmissen und dann nicht mehr in seine Nähe lassen wollte.

Wie ich nach Hause kam, vom Onkel, vom Bruder meiner Mutter, weg, lief ich auch gleich zu ihm. Zum Sepp. Er setzte mich auch gleich auf seine Bank.

Jetzt bist du wieder da, sagt er.

Ja, sage ich und freue mich.

Was willst du einmal werden?

Zahnarzt, sag ich, was meine Mutter hören will. Dann schreit der Sepp einmal.

Schau, dass du weiterkommst, sagt er. Was fällt dir ein, in einer Schreinerei so was zu sagen. Du warst zu lange weg. Mir scheint, du bist nicht mehr der gleiche. Geh weg von meiner Hobelbank. Bleib mir gefälligst jetzt in Zukunft nur vom Leib. Ein Zahnarzt will der Junge werden. Einen Zahnarzt kann ich auf meiner Hobelbank nicht brauchen.

Die Mutter hasste alle Schreiner. Wie sie die Schreinerei auch hasste. Doch konnte sie das niemals wirklich sagen.

Und wenn dich jemand fragt, wenn wir zuhause sind, wie es gewesen ist und was du alles dort erlebt hast, mit mir und deinem Onkel, meinem Bruder, dann sagst du

: Viel! Und schön sei es gewesen. Besonders auf der Insel Mainau.

Wie habe ich das später oft gemacht, auf ein Wort hin jemand verlassen. Ein falsches Wort und ich war weg. Und gar nichts konnte mich veranlassen, die Freundschaft wieder aufzunehmen. Aus und vorbei. Ich wusste nie, wie tief der Graben war, der mich von allen anderen abtrennte.

In meinem Traum steht Mutter lautlos in der Küche. Ich steige aus dem Fenster nun aufs Dach. Ich schaue diesen Männern zu, wie sie ins Ungewisse gehen.

Ich sollte nie dabei sein und mich aufgehoben fühlen. Zwischen der Liebe und den Wünschen, gibt es also doch einen Zusammenhang. Ich wünschte mir einmal so sehr, dass ich ein Schreiner würde. Doch wollte das niemand. Ich musste nicht nur diesen Wunsch begraben, sondern die Liebe auch damit in mir. Und trotzdem wollte ich wie jene werden, solange auch so sein, wie die, die mir so wehgetan hatten.

Der Sepp war wie mein Vater. Er schrie und fluchte, schimpfte, doch ließ er mich zuschauen. Er schickte mich nicht immer weg. Der Heini K. war später auch ganz gleich, wie er Geselle wurde, da redete er mit einem neuen Lehrling so, wie Vater und der Sepp, mit ihm geredet hatten. Er gab ihm jetzt Befehle. Du machst was ich dir sage, sagte er. Jetzt gleich und keine Widerrede. Jetzt redete der Heini auch so wie der Sepp und mein Vater. Drei Spießgesellen waren das. Sie wurden immer gleicher. Sie waren alle einzigartig wie mein Vater. Sie mussten alle einmal artig sein. Danach gab es jemand, der für sie artig sein musste. Sie waren alle einzigartig gleich. Sie schimpften und sie fluchten. Sie taten andern weh, wie ihnen einmal weh getan wurde. Und ohne eine Widerrede. Lehrjahre sind keine Herrenjahre, sagt Vater immer wieder. Du siehst was dann passiert, wenn man nicht hört. Man muss auf seinen Lehrherrn hören. Hörst du. Der Sepp ist mein Geselle. Und wenn der etwas sagt, dann muss ein Lehrling auf ihn hören, sagt er. Wenn der Sepp das sagt, dass du nicht mehr auf seine Bank sollst, dass er dich dort nicht länger haben will, dann kann ich daran gar nichts ändern. Das ist sein gutes Recht. Die Hobelbank ist alles was er hat. Das ist sein Reich. Die Hobelbank ist für Gesellen heilig. Niemand nimmt ungefragt was von einer anderen Bank. Wo kämen wir da hin. Der Werkzeugschrank gehört auch dem Gesellen. Den fasst du ohne Erlaubnis auch nicht an. Wer aus dem Werkzeugschrank was wegnimmt, ohne Fragen, der muss sich dann nicht wundern, wenn er geschlagen wird, vor allen andern. Da geht niemand mit seinen Fingern ran. Wenn doch, gibt es noch zur Bestrafung Stemmeisen. Fass niemals ungefragt das Werkzeug des Gesellen an! Hörst du. Man muss Gesetze respektieren. Dafür sind sie ja schließlich da.

Das hast du dir selbst zuzuschreiben, sagt Vater dann am Abend. Du hättest das nicht zu ihm sagen sollen. Du weißt doch wie er ist, so leicht erregbar und empfindlich. Mein Vater redete zu mir, wie ich das niemals wieder von ihm hören sollte. Er redete wie meine Mutter, wenn sie den Vater und sein Tun für mich erklären wollte. Sie waren alle gleich. Jetzt weiß ich das, weil ich die Reden alle noch im Kopf trage. Mit Punkt und Komma, Strich. Auch die Gedankenstriche. Wenn er mir fest in meine Augen sah, wie Mutter, die mich mit ihren Reden lahmlegte. Mich schützte kein Gesetz. Nicht einmal das des Schwächeren. Deshalb sind meine Arme weg und meine Hände fehlen.

Ich wollte jedem weh tun, der mit mir nichts zu tun haben wollte. Ich wünschte jeden in ein Grab und dort lebendig noch begraben. Ich wünschte jeden in die Hölle des Verwesens, Auslöschung, körperliche Pein. Ich wünschte jedem, der mich ignorierte, Pest, Cholera, Wundbrand, und Tollwut obendrein.

Der Sepp war so ein Arschloch, wie meine Mutter und mein Vater. Sie waren alle Arschlöcher. Gesellen zogen aus, um Kindern Fürchten beizubringen. So waren die Gesellen, sie lehrten immer erst, dass ich mich fürchten sollte. Sie zogen durch mein Land, die Kindheit, mit den Strafen. Mir stellte es die Haut auf und die Haare. Die Sprache meines Körpers. Ich hatte schrecklich Angst.

Ich schämte mich vor allen immer wieder, solange ich darunter litt und auch zu weinen anfing auf die Reden, und die gemeine Sprache meines Vaters, die Sprache seiner Spießgesellen. Ich musste einfach weinen, solange ich noch etwas fühlte. Ich war doch noch so klein. Mir blieb dann später gar nichts anderes mehr übrig, als so zu tun, als wäre ich wie Vater. Mit Reden, Hass und Drohungen, gemein.

Schau, das nützt doch nichts, sich darüber zu ärgern! Schon morgen sieht die Welt ganz anders aus, sagt meine Mutter.

Wenn dann am Abend Vater wieder in die Wirtschaft geht, steht sie in ihrer Küche, schimpft und tobt, gegen die Teller, Gläser und die Messer. Dass ich vom Klang her schon es mit der Angst bekomme.

Was will er nur bei diesem Volk, von solchen Spießgesellen und Verbrechern? Was will er nur von diesen Menschen. Dem Gesindel, sagt sie und kann sich nicht beruhigen.

Die dunkle Ahnung von der Dämmerung, vom Unheil ohnegleichen, entspringt dem großen Leid, der Not des Kindes. In seiner Kindheit schutzlos sein. Voll Angst und zugleich Furcht vor jenem Hass und allen anderen Gefühlen. Erst als Erwachsener kann ein Kind diesen Hass aufspüren und feststellen, dass sein Hass immer schon berechtigt war auf jene Attentäter, die seine Seele schließlich töten wollten. Erst wenn dieser Hass verspürt wird und nicht mehr vergeben, kann das ehemalige Kind endlich für sich gesund werden.

Ich musste doch befürchten, vom Hass der Eltern aufgefressen zu werden. Deshalb versteckte ich den Hass vor mir, und auch vor allen anderen.

Ich lernte mich als Kind nur wehrlos, schutzlos, hilflos, kennen. Ich konnte schließlich nur so sein. Ich konnte nicht mehr anders, als ängstlich und versagend für mich werden.

Wer die Erfahrung machen kann, sich gegen seine Eltern auch zu wehren, notfalls mit Zorn und Hass und auch mit jener Wut, die alles zu zerschneiden droht, kann dies bei seinem Kind auch zulassen. Wen diese Wut schon selbst einmal ergriffen hat, kann sie auch einem Kind gestatten. Das Beste was man dabei lernen kann: Gefühle respektieren. Solange sie unfühlbar sind, solange bleiben sie unfassbar. Solange sie unfassbar sind, sind sie vermeintlich auch gefährlich. Solange sie gefährlich scheinen, sind sie mit jener Angst, dem Geist der Eltern fest verbunden; Gefühle sollte ich für meine Eltern nicht begreifen. Ich sollte sie danach nie fragen. Ich sollte die Gefühle nicht für sie anwenden. Nicht hier, nicht jetzt. Ich sollte sie nicht haben.

Nicht jetzt, sagt sie.

Jetzt nicht, sagt er.

Ich konnte meine Eltern nicht belasten. Das war also damit gemeint. Die Last war immer nur auf ihrer Seite. Das sollte ich den Eltern abnehmen. Dass die Gefühle eine Last für sie darstellen würden. Dabei ist die Gefühle zu verleugnen, die Last, und niemals die Gefühle fühlen. Sie konnten meine Wut in Wahrheit nicht ertragen, weil sie wahrhaftig war, und die Verleugnung ihrer Lebenslüge.

Der Schlüssel, Grund, warum ich all die Jahre und Jahrzehnte in der Nacht aufwachte und nach einem Menschen suchte neben mir, den ich verloren und verlassen hatte. Weil ich die ganze Zeit lang über, in mir die dumpfe Schuld verspürt hatte, dass ich an dem Verlust und dem Verhalten meiner Eltern und des Sepps letztendlich Schuld hatte. Dass ich etwas dafür konnte, dass mich der Vater so geschlagen, die Mutter immer nur allein, und Sepp mich von der Hobelbank geschmissen hatten. Dass mein Verhalten sie gezwungen hatte; die Schuld ein Kind zu sein und aufgehetzt von den Erwachsenen.

Ein gezüchtigtes Kind kann, anders als ein freies, nicht jederzeit heimkommen. Es ist auf die Hilfe des Erwachsenen angewiesen.

Alice Miller, Abbruch der Schweigemauer

Deshalb verirrten sich die Spießgesellen, wie Flüchtige, wie Kriegsheimkehrer oder Geflohene, im Nebel Richtung Blaufeld und gingen in der Nacht, am dunklen Tag herum, herum, herum… . Ich hatte sie in mir verjagt. Sie irrten wegen mir herum und fanden kein Zuhause mehr.

Es ist mehr als ein Kind fassen kann, es sucht verzweifelt nach Trost und findet diesen in der angeblich eigenen Verschuldung, in der eigenen Bosheit. Daraus schöpft es Hoffnung.

Alice Miller, Abbruch der Schweigemauer

Ich fand nicht mehr nach Hause. Ich war derjenige, der nicht mehr nach Hause kam, nicht mehr unschuldig werden konnte. Das war es also all die Jahre über wirklich, was ich nicht sehen, fühlen, und nicht ahnen konnte. Ich war verrückt gemacht durch meine Mutter und die Reden, an meinem Rauswurf selbst schuldig, verantwortlich; das dachte ich. Ich hatte mich selbst aus dem Haus, dem Heim und meiner Heimat schließlich selbst vertrieben, mit einem Wort: Zahnarzt.

Sie ließen mich mit meiner Schuldigkeit allein; verrecken. Niemand gab mir als Kind die Unschuld meines Herzens wieder. Niemand, und ganz im Gegenteil, je älter ich dann wurde, die Schuld, Beschuldigungen wurden immer mehr. In Religion, im Unterricht und auch in jeder Kirche, wurde die Schuld in mir geweckt und immer wieder mehr. Sie hatten mich beschuldigt, und ich ein kleines Kind war doch vollkommen unschuldig gewesen. Deshalb war das so schwer für mich, das überhaupt noch zu verstehen. Ich musste meinen Hass und meinen Zorn und meine Wut für mich behalten, weil ich doch schuldig war und immer wieder schuldig werden würde, wenn ich nur ein Wort, doch nur ein falsches Wort noch sagen würde. Sie würden mich bestimmt dafür erwürgen.

Traum/Wirklichkeit

Der Traum mit meinem Schulfreund Hans, der mich abholt, der mich einlädt, mit ihm zu gehen und was einzukaufen. Der Hans nimmt mich ganz einfach mit. Er zeigt mir, dass er alles kaufen kann, was er sich wünscht und dass er mir auch alles schenkt, was ich auch haben will.

Liebe, Großzügigkeit kennt keine Grenzen.

Der Hans fühlt keine Schuld. Das zeige ich mir jetzt im Traum. Warum der Hans, den ich seit Jahren nicht mehr gesehen habe? Mit dem ich ins Gymnasium ging. Ich war von Anfang an sein Banknachbar. Wir saßen jedes Jahr nebeneinander, bis ich durchfiel. Warum der Hans? Was ist am Hans für mich besondereres? Dann fielen mir die Bilder wieder ein. Ohne die Arme und auch welche ohne Beine. Das waren keine Kriegsheimkehrer. Das waren Bilder voller Schuld, die ein Kind ohne seine Arme zeigte. Es fehlte ihnen was. Sie waren aber dafür selbst schuldig. Doch warum führte mich der Hans, den ich in meinem Traum erschuf, vor soviel Menschen in ein Stadion? Da waren doch die vielen Lichterpaare, Augen, ein riesiges Oval. Wie das Olympiastadion. Die letzten Bilder eines Stadions, die ich so leuchten sah, sah ich bei einer Übertragung aus London, von der Behindertenolympiade. Die Schlussfeier. Die Fröhlichkeit und Freundlichkeit. Die Menschen freuten sich tatsächlich.

Der Hans hatte mir später mal erzählt, dass seine Mutter, als sie mit ihm schwanger war, Contergan genommen hatte. Doch sei ihm nichts passiert. Da hätte er doch Glück gehabt, sagte der Hans und lächelte. Ich konnte es nicht fassen, wie jemand soviel Glück nur haben hatte können, und dass er sich darüber auch noch freute.

Ein Kind, das schlaflos in der Nacht nach seiner Mutter fragt und seine Arme sucht. Ich war als Kind oft aufgewacht und hatte Fieberträume. Ich konnte darin meine Arme nicht mehr finden, und niemand hat sie mir gebracht. Ich konnte mich nicht wiederfinden, mit dieser Schuld und der Befürchtung. Ich konnte mich tatsächlich nicht mehr freuen. Ich hatte schließlich Angst davor.

Ich übernahm die Schuld, zwei Jahre alt, für die Zerstörung meines Paradieses. Die Werkstatt meines Vaters, und ich beim Sepp auf seiner Hobelbank. Ich ließ die Hände mit den Armen lieber selbst verschwinden, bevor sie mir der Sepp, mein Vater oder der Heini K, jetzt selbst Geselle, abhacken würden, mit ihren Stemmeisen. Sie töteten tatsächlich meine Liebe. Ich konnte mich dann nicht mehr freuen. Weil ich gehorsam war. Weil ich gehorsam sein musste. Gehorsam sein, bedeutet seine Wut verleugnen. Gehorsam sein, bedeutet seinen Zorn und seine Wut und seine Freude, mit Angst verleiden.