Texte von Hugo Rupp

Das autonome Kind

 

Wir fahren. Vater sagt, wann genau. Dann gehen wir nach unten. Genau dann, wenn Vater endgültig sagt, dass wir jetzt fahren. Weil Mutter gestern alles verpackt hat, und mein Koffer voll ist. Sie hat ihn auch gepackt. Alles was ich brauche, hat sie hinein gesteckt und dann den Reißverschluss gezogen, einmal um den Koffer. Für ein Kind ein schöner Koffer, sagt sie. Für ein Kind ein eigener Koffer, so was hätte es früher nicht gegeben. So ein schöner Koffer, sagt sie, seit wir den Koffer haben, seitdem es klar ist, dass ich zur Beobachtung ins Krankenhaus muss, nur für zwei Wochen, sagen sie, und sie muss mit, weil man mich nicht alleine lassen könne dort, wo es jetzt hingeht, und wo ich nicht hin will, aber muss, weil mein Husten immer stärker geworden ist, und weil ich in der Nacht, wenn ich vom Husten aufwache, müde werde, wenn ich aufstehen soll, bin ich schon müde, weil ich die Nacht lang gehustet habe. Am liebsten würde ich überhaupt nicht mehr aufstehen, weil ich dann auch nicht nach Steinhöring muss, wo das Krankenhaus ist, nicht weit von hier, nicht weit, gar nicht weit, sagt Vater und lächelt. Das ist nicht weit und ich werde euch besuchen kommen, so oft ich kann. Das ist für ein Kind wie Urlaub für den Erwachsenen. Aufwachen, Essen und im Bett liegen bleiben, und frühstücken, Essen ans Bett gebracht zu bekommen, sagt sie. Sagt er. Das ist wie Urlaub, sagen sie. Herrlich, auch mir wäre das lieb, das auch einmal zu haben, dass es mir einmal so gut geht, sagt er und sie, immer wieder, aneinander vorbei. Daran erkenne ich, dass sie erzählen, dass da nichts dabei ist, da ist nichts, da kann überhaupt nichts sein, da ist nichts dabei. Immer passiert dann doch etwas. Sie können reden wie sie wollen. Ich merke, dass sie mich beobachten. Ich will nicht ins Krankenhaus, aber ein Arzt, der mich mit kalten Händen angefasst hat, sagt, dass ich ins Krankenhaus soll, weil es dort besser für mich sei, dort aufgehoben, wenn die Instrumente auch parat sind, und wenn die alles dafür haben um das zu bestimmen, was ich haben könnte und was ich nicht sicher habe, aber wenn ich es habe, dann ist es gut, es gleich zu behandeln und so nicht länger auf einen Platz und eine Behandlung zu warten. Tbc, sagen sie, dass meine Mutter den Kopf schüttelt und ihr schwindlig wird, weil sie eine Schwester hatte, die daran gestorben ist, wie sie sagt: Schwindsucht. Ich verstehe beides nicht, doch ich sehe ihre Art der Abneigung. Am liebsten würde sie gleich gehen. Sie mag das nicht hören. Ich höre es, wie sie atmet, wenn sie zuhört. Wenn sie bestimmte Worte hört und wenn der, dem sie zuhört, näher kommt, dann will sie weg. Sie will nicht zuhören, wenn ihr jemand in die Augen spricht. Sitze ich neben ihr, und der Doktor schaut mich an und lächelt. Du bist schon ein großer Junge. Das wird wie ein Urlaub, sage ich. Er sagt, lustig ist der Junge. Das wird wie im Urlaub, sagt er, lächelt. Mutter ist ganz froh, dass ich ihren Stuhl nicht berühre und in meinem sitzen kann. Dass sie mich nicht auf den Schoß nehmen muss. So klein bin ich nicht mehr. Das wäre zu klein, sagt er. Dann müssten sie in einem Bett schlafen. Aber der Junge ist schon so groß, da können sie in zweien schlafen. Wie im Hotel. Wie im Urlaub. Wie auf Erholung. In der Sommerfrische. Wenn sie da so andere Kinder kennen würden, die würden in Gitterbetten schlafen und in Gipsverschalungen, könnten sich nicht rühren, überhaupt nicht rühren können die sich, wochenlang, vielleicht manche auch ein Jahr. Dafür sei ein Aufenthalt von zwei Wochen nicht so schlimm, sagt der Arzt mit weißem Kittel, freundlich, lächelt, schüttelt meiner Mutter noch die Hand, klopft mir auf die Schulter, kniet sich fast zu mir hinunter, lächelt mich mit seinen schiefen Augen an, lächelt immer wieder, dass ich nichts von alledem verstehe. Einer lächelt wie er will, und die Mutter schaut, als würde sie ihn hassen. Er lacht wie er will. Meine Mutter lächelt nicht. Ihr wird alle Nähe schlimm, wenn ihr Männer etwas sagen, wenn sie etwas hören soll, was sie so nicht hören will, wenn sie etwas tun soll, das sie nicht tun will. Wenn sie etwas hören muss, was sie so nicht hören will, hebt sie ihren Kopf, dreht dann ihre Nase, schaut, kneift die Augen zu, einen Augenblick dann schnauft sie ein, um noch länger auszuschnaufen. Das ist ihr Gesicht, das sie immer macht, wenn sie mich ermahnt, wenn sie mir dann sagt, dass ich ihr zuhören soll, dass wer nicht zuhört, später fühlen muss, wenn es mich die Treppe runterhaut, ich dann selbst schuld bin, weil ich nicht gehört habe, was sie immer sagt, Vorsicht, Vorsicht vor Gefahren, lauern überall, niemand kann doch sagen, was die Stunde schlägt, was sie schon geschlagen hat, wann die Stunde für den einzelnen schlägt, könne niemand wissen, nur die Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste, so schaut sie, ganz genau schaut sie, und ich will nicht ihr Gesicht verstehen, weil ich das nicht mag, wenn ich jetzt das alles wieder höre, immer wieder hören muss. Wenn wir wieder draußen sind, nur das nächste Haus, schon sind wir zu Hause. Ich muss nicht ins Krankenhaus, sagt sie immer wieder. Ich könnt mir was schöneres vorstellen, als mit dir ins Krankenhaus zu gehen. Ich könnte mir wahrlich etwas schöneres vorstellen, als zwei Wochen in einem Zimmer zu liegen, wo ich doch nichts habe, sagt sie. Zwei Wochen, nur zur Beobachtung. Das könne doch nicht sein, sagt sie. Nur zur Beobachtung. Könne man das nicht zu Hause auch beobachten. Die wollen doch nur alle Geld machen. Was macht dein Vater unterdessen, fragt sie immer wieder. Wer kocht für ihn, wer wäscht seine Dreckwäsche, wenn ich nicht zu Hause bin. Wer sorgt für deinen Vater, wenn ich mit dir faul im Krankenhaus liege, für nichts und wieder nichts, wenn ich nur da bin, um dabei zu sein, weil man einen kleinen Jungen nicht alleine lassen kann. Wie dich. Nicht alleine lassen soll, sagt er, sagt er meiner Mutter. Und sie schaut so böse auf mich nieder, dass ich nichts mehr sagen kann und nur einmal huste, dann erschrickt sie und ich huste noch einmal, jetzt schon etwas leiser. Leiser soll ich husten, sagt sie, davon wird ja jeder wach, wenn ich immer nur so huste, da wird mich die Schwester schimpfen, sagt sie jetzt, wenn doch die andern davon wach würden, mit dem schlimmen Husten. Besser nur ein Zimmer. Nur ein Zimmer, sowieso, wegen Ansteckung. Ansteckung ist die schlimmste Sache. Nur nicht anstecken. Nur nicht Mutter auch anstecken. Das würde mir noch fehlen, wenn du mich jetzt auch noch ansteckst mit dem Husten, wenn ich auch noch krank sein würde. Das wäre ja eine schöne Geschichte. Schöne Geschichten brockst du uns da ein, sagt sie. Und der Beppi ist im Krankenhaus an seinem Bipperl operiert worden, sagt Vater und lächelt. Den haben sie zum Deppen operiert, der ganze Bua ist ein Idiot, solange haben sie an seinem Zipfel herum geschnitten, dass er froh sein kann, wenn er überhaupt noch stehend schiffen kann; dieser Depp von Vater, wie der Sohn auch schon so ein Depp sein kann. Vater lacht, als würde er gern würgen, etwas zum Erwürgen brauchen, einen den er schütteln kann, weil die Welt für ihn so dumm ist, ist zum Totlachen, schütteln muss man sich tagtäglich, wie verblödet alle sind, mittlerweile, sagt er und schaut grimmig. Irgendetwas hat ihm nicht gefallen, selbst von dem, was er gerade sagte, irgendetwas war ihm nicht geheuer, dass er jetzt so böse schaut und mich wütend anschaut, dass ich schon gleich wegschaue. Brauchst dich nicht zu fürchten, das wird dir nicht schaden. Urlaub würde mir gefallen, wenn ich solches Glück wie du hätte, könnte ich mir auch gefallen lassen. Müsste nicht zur Arbeit, jeden Tag mich ärgern, könnte mir gefallen. Wird schon nicht so schlimm. Zuckerschlecken. Deine Mutter wird aufpassen, dass du nichts anstellst, sagt er. Lächelt, lächelt immer wieder. Ich will da nicht hin, sage ich zu mir, ich will da nicht hin. Ich will nicht ins Krankenhaus. Ich will nicht dahin.

Mutter ist nervös. Sie ist aufgeregt, ob sie auch genügend Kleider hat. Für den ganzen Tag. Schließlich könne sie dort nicht selbst waschen. Meine Kleider sind gepackt. Niemals dreckig werden. Vorsicht auch beim kleinsten Schritt, nicht mehr hinfallen. Keine Flecken will ich sehen. Dort nur keine neuen Flecken. Denn dort kann ich nicht gleich waschen und mich um die Flecken kümmern. Dort ist keine Wäsche möglich. Dort musst du mit den einmal dreckig gemachten Hosen, dreckig herum laufen. Dort kann ich nicht waschen, sagt sie immer wieder. Ich will dort nicht hin, sage ich zu mir. Ich will dort nicht fallen.

Vater lässt uns fahren und kommt selbst nicht mit. Vater ist nicht dabei. Er muss arbeiten. Schließlich muss ja einer das Geld verdienen, sagt er. Wir fahren mit einem Bekannten mit, der ein Auto hat und uns hinfährt. Wie hübsch sie sind, sagt der Mann. Da werden die Ärzte Augen machen, sagt er. Mutter lächelt. Vater winkt einmal. Dann dreht er sich um und geht. Ich schaue ihm nach, und dann dreht Mutter sich um und schaut, und dann redet der Mann, und wir fahren schon, und wohin ich auch schaue, dreht sich alles weg. Wie alt bist du jetzt, fragt der Mann. Meine Mutter sagt: bald drei. Großer Junge, lass dir nichts gefallen. Sag den Ärzten einfach was dir fehlt. Sag dem ganzen Ärztepack Bescheid, sagt der Mann und lächelt. Ich verstehe, dass der Mann mir fehlen wird, weil er Ärzte nicht sehr mag. Sag den Idioten ruhig deine Meinung, sagt er immer wieder. Meinen auch nur, dass sie Götter wären, dabei sind sie nichts, nicht mal einen Groschen wert, wenn sie nur im Dunkeln tappen. Doktor ist das Allerletzte, oder habe ich nicht recht, sagt er meiner Mutter hin zur Seite. Mutter mag auch hier die Nähe nicht. Schon das nahe reden macht sie unbequem. Reibt sich an den Händen, drückt dabei die Finger. Mach dir keine Sorgen, sagt er. Mach dir keine Sorgen, bald bist du wieder weg. Bist du drin, bist du schon wieder draußen. Solche kleinen starken Kerle wie dich, mögen sie nicht im Krankenhaus, mit denen können sie nichts verdienen. Die brauchen Dürre, Ausgemergelte, Verhungerte, an denen kein Fleisch ist, an denen können sie herumoperieren und herumexperimentieren. Aber dich werden sie da nicht gebrauchen können. Siehst nicht einmal krank aus, sagt er. Ich huste.

Wir halten, und Mutter wird nervös. Soll ich schnell noch mitkommen und die Koffer tragen? Nein, denn die Schwester kommt. Erste Schwester, die ich sehe. Weiße Haube, weißes Kleid, weiße, weiße Schwester. Weiße böse Augen. Weiß, böse, böser Blick. Mag mich hier nicht sehen. Sieht mich erst beim Gehen. Das ist ihr Junge!? Sieht nicht krank aus, sagt sie. Anfangs sehen alle nie krank aus. Das kann sich noch ändern, sagt sie, lächelt in den Boden. Weiße, böse Augen. Böse, blöde Augen, Schwester. Blöde Augenschwester. Ich will wieder weg. Riecht hier wie beim Doktor. Helle, weiße Wände. Grau. Ich will hier verschwinden. Keine Augen.

Passen sie auf den Husten auf. Passen sie nur darauf auf, dass ihm keiner noch zu nahe kommt, und er keinem näher kommt. Passen sie auf ihren Jungen auf, dass niemand zu Schaden kommt. Wer einen anderen ansteckt, ist ein Feind. Passen sie auf ihren Husten auf. Wer weswegen hier ist. Wer auch hier ist wegen Tbc ist der Eisner Dietmar. Dem gehen sie aus dem Weg. Passen sie nur auf, wenn sie andern Kindern hier begegnen. Keine Husterei. Nicht dass er mir hier alle ansteckt, dass wir dann alle hier die Schwindsucht kriegen. Das fehlte mir noch. Die Oberschwester nimmt die Neuankömmlinge auf. Wir begleiten sie. Für den Tag über haben sie den Garten zur Verfügung. Sie können dort den Tag über sein. Schwäche, Husten, Schwitzen können auch was anderes sein, müssen nicht die Schwindsucht bringen. Schatten auf der Lunge, muss nicht zwangsläufig immer noch den frühen Tod bedeuten. Das hat sich gebessert, sagt die große Frau. Schatten auf der Lunge sehe ich vor mir. In den ersten Nächten sehe ich die Schatten auf der Lunge. Schatten auf der Lunge, ist mir unverständlich. Ich verstehe nichts. Schatten hat auch schwarzer Mann, der niemals bisher gekommen ist. Schatten in mir kennt der schwarze Mann, wenn ich nicht mehr schlafen kann. Wie soll ich verstehen. Niemand redet auch mit mir.

Heute kriegt er seinen Stempel und dann werden wir schon sehen. Heute gleich am Vormittag, wenn der Arzt sich ihren Kerl angesehen hat. Wieder einer weniger, sagt die Schwester auf der Treppe. Wieder, immer einer weniger, sagt sie. Erster Stock sind die großen Zimmer. Eines für sie beide. Eines für sie beide. Eines mit zwei Betten. Eines ganz allein. Wegen einer Ansteckung. Vorsichtsmaßnahme. Keine andren Kinder. Nur sie beide, dort allein. Farbe ist wie meine Mutter. Schaut sich selbst beim schauen zu. Wenn ich meine Mutter jetzt anschaue, sehe ich die Angst. Keine Angst aus Langeweile, sondern Einsamkeit, die ich nicht haben soll. Niemals wieder wollte ich dorthin, niemals, niemals wieder, wo die toten Seelen leben, wo die Einsamkeit sich bündelt, wo das Atmen schwerer, schwerer wird, immer schwerer in mir atmen können, weil die Sorge mich zerreißt. Sie tut alles, was man ihr sagt, sie tut alles, was die Schwestern ihr vorschreiben. Sie tut alles für den Arzt, wenn er mir begegnet. Sie gehorcht dem leisen Ton, sie hört auf die Schuhe, wenn er nur ein wenig scharrt, hört sie auf zu sprechen. Ich bin ohne Sprache. Mich befragt hier keiner. Ich bin keine Frage wert. Eine Antwort auf die Not habe ich noch nicht bekommen. Ich bin nur verdächtig. Ich bin schuldig in mir drin, einen Schatten zu beherbergen. Wer den Schatten in sich trägt und dann noch herum geht und verbreitet, ist der Schädling eines Volkes. Männer sterben auch daran. Männer sterben dann am Schatten. So gesehen, ist ihr Aufenthalt eine Vorsichtsmaßnahme. So gesehen, ist Vorsicht auch hier die Mutter der Porzellankiste. Was geschieht, sollte der Test positiv sein, wird sich dann herausstellen. Erstmal machen wir das so, sagt er. Gib mir deinen rechten Arm. Nein den rechten. Der andere ist der rechte Arm, sagt er. Ich sehe nicht einmal, was er macht. Schon vorbei, sagt er. Es ist auf meiner Hand, oben, dort soll nichts passieren. Wenn etwas passiert, dann wird man erst weitersehen. Wenn etwas ist, wirst du dann sehen. Wenn etwas passiert, wirst du es selbst merken. Wirst du dann schon merken, wenn dort was passiert, sagt er mir in meine Augen. Ich erkenne keine Tiere. Keine wie beim andern Arzt. Keine Tiere auf dem Schreibtisch, keine Art Spielsachen. Er sieht mich an.

Dann am Abend bin ich aufgewacht. Wenn sich das verfärbt, wenn das rot wird oder anders, dann hat er den Keim, dann hat er den Bazillus auch im Körper. Nicht, wenn nichts passiert. Nur wenn da was ist, wenn dort was entstehen wird, wird auch etwas sein. Wenn dort was passiert, wenn dort etwas fleckig wird, dann sofort mir melden. Gehen, aus dem Zimmer. Gehen ohne Handschütteln. Keine Hände, die mich mögen. Keiner rührt mich wieder an. Niemand legt mir seine Finger auf die Hand. Er hat mich berührt, doch ich weiß nicht mehr womit. Ich sehe meine Hände größer werden, wachsen bis zum Dach, größer wie die Aschentonnendeckel, aufgeblasen wie ein Haus. Ich will keinen Schatten. Ich will keinen Schatten in mir haben, keinen Schrecken für die anderen. Ich will nicht erschrecken, immer nur die andern schrecken, ich will nicht anstecken, immer nur anstecken, dass sie wieder nur weggehen. Immer nur weggehen. Immer nur allein. Siehst du, was da ist, wenn etwas geschieht, sagst du mir sofort Bescheid. Siehst du, wenn da was entsteht, wenn du einen Punkt, etwas Farbiges dort siehst, sagst du es mir sofort. Verstehst du mich. Sofort. Ich halte ihr meinen Arm hin. Sie lacht. Sonst schimpft uns der Arzt und die Schwester. Wieder bin ich böse, wenn etwas passiert. Wenn ich Schatten habe.

Hat das etwa weh getan? War doch gar nicht schlimm! Hat doch gar nicht weh getan. War doch gar nicht schlimm. Mutter redet mit sich selbst. Ich bin keine Hilfe. Möchte ihr gern helfen, doch sie mag nicht, wenn ich mit einräume. Deine Sachen hier, meine dort am Bügel. Keine Kinderbügel. Ich wollte nicht mehr länger atmen als gewöhnlich. Ich schnaufte in der Nacht, nach jedem Atemzug noch einmal. Sie schaute mich dann an mit ihrem vorwurfsvollen Blick. Was atmet er schon wieder, was atmet dieses Kind den ganzen Tag zusammen. Und nicht genug geatmet, jetzt steckt er noch mit seinem Atem auch die andern an. Ich atmete dann leiser und passte auf, dass sie mich nicht dabei erwischte, wenn ich schneller atmete. Sie mochte einfach nicht, wenn ich in ihre Richtung atmete und dann vielleicht noch hustete. Sie mochte meinen Husten nicht. Ich sammelte meine Fehler. Sie zeigte mir mit ihren Augen, womit ich ihre Anwesenheit nicht verdiente, nicht dankbar war. Ich musste mich benehmen, ich musste stiller sein, sonst würde ich sie doch vertreiben.

Allein in einem fremden Raum

Ich bin jetzt aufgewacht und höre gleich die Stille ohne Mutter. Sie ist nie still. Ich bin der, der still ist. Wenn Stille ist, bin ich allein. Sie ist nicht da. Sie ist nicht da in diesem Zimmer. Ich wache auf und habe keine Angst. Ich habe leere Hände. Ich habe keinen Punkt. Ich habe keine Farben. Sie muss nicht vor mir Angst haben. Sie muss nicht immer weichen. Ich habe keine Ansteckung. Sie muss nicht immer gehen. Sie kann nicht einmal bei mir bleiben. Nicht einmal nur hier bleiben. Sie kann nicht einmal neben mir in ihrem Bett bleiben. Sie kann nicht einmal mit mir aufwachen. Sie hat nie neben mir geweint. Sie kann nicht mit mir weinen. Ich weine nicht aus Angst, ich schreie nicht aus Angst allein. Sie hat mich wieder nur allein gelassen. Ich schreie jetzt für mich, auch wenn sie nicht mehr kommt. Ich schreie nur für mich. Verzweiflung kenne ich, doch nicht genau, wie weit sie gehen kann, wie weit mich meine Art Glut noch bringt. Ich weine in die Höhe, in meinen Husten mit hinein. Ich weine in die Höhe. Ich weine meinen Husten mit. Ich bin der Letzte, Allerletzte, ich bin der Kleine, Nichts. Ein Nichts. Ich bin nichts wert. Sie haben nichts von mir. Ich schreie ohne Hilfe.

Was ist denn los, sagt sie und Licht kommt mit ihr rein. Eine Schwester hat dich durch die Tür weinen hören. So laut hast du geschrieen, dass sie dich durch die Türe bis nach draußen gehört hat. Ich war doch nur bei der Frau Wittmann, sagt sie. Ich war doch nur nebenan. Da brauchst du doch nicht gleich so zu schreien. Was werden denn die anderen dabei denken. Du bist doch kein kleiner Junge mehr.

Ich schlucke und werde still. In mir zittert alles. Ich zittere am ganzen Leib und schwitze.

Jetzt hast du dich wieder so aufgeregt, wegen nichts und wieder nichts. Ich bin doch nebenan gewesen. Gleich gegenüber. Du kennst doch die Frau Wittmann. Wir haben uns doch nur unterhalten.

Ich rieche an den Rosen. Wenn wir im Garten sind, sagt sie, schau, das ist so schön. So schön ist das. Sie sagt nichts über meine Flecken. Sie sagt nichts über Schatten. Ich habe keinen Schatten, sage ich. Sie lächelt und ich zeige ihr die Hand. Sie schaut sie an, kurz, nicht berührend, sagt nichts, lächelt ein klein wenig, seufzt. Ach, ist es hier nicht schön. Es ist nicht schön. Ich rieche trotzdem an den Rosen. Sie sind so schön, sagt sie und dabei weint sie fast. Sie könnte weinen. Es ist so schön, man könnte weinen, sagt sie. Ich verstehe nicht, warum man weinen soll bei Blumen. Duften die nicht herrlich, sagt sie. Immer wieder Blumen. Ich rieche und verstehe nicht, warum ich weinen soll. Da haben wir ein Glück, dass es so schön ist hier. In Mainau ist es noch viel schöner. Das hier ist kein Vergleich. Am Bodensee ist alles noch viel größer und viel imposanter. Die Rosenbeete sind hier auch schön, aber kein Vergleich mit der Insel Mainau. Du kennst den Onkel Hermann nicht. Er wird dir schon gefallen. Der macht auch mal gern Witze. Da wird es schön, sagt sie, wenn wir fahren werden, und das entscheidet sich mit dir. Wie lange wir noch warten müssen. Wie lange das noch dauert. Sie fasst die Rosen an den Stielen an und zieht sie zu sich näher hin. Da riech, sagt sie. Ich halte meine Nase hin und rieche an der Rose. Sie riecht so fein, sagt sie, und lässt sie los. Du darfst nicht näher kommen. Verstehst du das. Du darfst den Menschen hier nicht näher kommen. Sie mögen nicht, wenn du sie ansteckst. Auch wenn du gar nichts hast, darfst du den Menschen hier nicht näher kommen. Verstehst du das. Ich nicke. Nicht näher kommen. Keiner Frau und keinem Arzt und keinem anderen Kind. Verstehst du das, sagt sie und dreht sich weg. Solange ich an Rosen rieche, begegne ich dem Tod. Die Rosen riechen alle gleich. Sie riechen nicht für mich. Sie riechen nur für meine Mutter. Ich gehe hinter meiner Mutter her und huste heimlich leise. Sie hört es, und ich sehe, wie sie unglücklich schaut und stehen bleibt und augenblicklich wieder weiter geht, als wäre nichts gewesen. Ich gehe hinter meiner Mutter her. Ich folge ihr und huste immer leiser. Wenn das nicht schön ist, sagt sie und bleibt stehen. Ich weiß nicht, was jetzt schön ist. Sie sieht mich an und ist enttäuscht. Ich kann die Schönheit nicht erkennen und das enttäuscht sie, dass ich nichts kann, was ihr gefallen würde, dass ich nicht weiß, wie schön das alles ist, was Schönheit überhaupt bedeutet. Wir gehen weiter, kreisrund ist der Garten.

Wir gehen auf das Zimmer. Wir gehen, keiner sagt etwas. Die mich mit meiner Mutter sehen, die sagen hallo, und ganz brav, die sagen nichts zu mir. Sie kommen mir nicht näher. Sie bleiben von mir weg, wie Hunde die sich vor Gewittern fürchten. Ich kenne einen Hund, der mir geholfen hat zu gehen, der hat sich so benommen, als ein Gewitter kam. Er bellte und sein Kopf kam keinem näher. Er hatte Angst und wusste nicht wovor. Bei mir ist das auch so. Wovor hat jemand Angst, wenn ich ihn nur anschaue, wenn er wegschaut. Sie schauen weg und reden über mich und meine Mutter.

Dann kommt der Tag. Ich bin nicht böse. In der Früh kommt wieder diese Schwester. Sie schaut mich böse an. Ich bin nicht böse. Da ist kein Fleck, was nichts bedeuten muss, sagt sie. Kein Fleck und plötzlich ist da eine Rötung. Man weiß das nie. Sie redet mit der Mutter. Sie redet und schaut böse über mich. Ich hab ihr nichts getan, sie schaut mich trotzdem an. Mit ihrer weißen Schürze, dem weißen Tuch auf ihrem Kopf, den Knöpfen ihrer Augen, die jetzt am spitzen sind. Die Augen meiner Oma. Die Vater selbst nicht mag. Die Mutter meines Vaters. Die bösen Augen. So böse Augen habe ich noch nie gesehen, hat Mutter gesagt. So böse Augen wie die deiner Mutter. Was machen sie, wenn er die Schwindsucht hat, fragt diese Schwester. Die Mutter schaut jetzt anders. Ich schaue nicht. Ich bleibe stehen. Ich schaue nicht mehr hin, wenn diese Frau, die Schwester ist, jetzt weiter redet. Was würden sie dann tun? Ich weiß nicht, was sie meinen? Sie wissen doch, die Sanatorien sind weiter weg. Hier ist doch keines in der Nähe. Wir wollten in den Urlaub fahren, zu meinem Bruder an den Bodensee, sagt meine Mutter. Das können sie doch sowieso, sagt die Schwester. Das können sie doch sowieso. Dem steht doch nichts entgegen. Sie können ihn hier lassen und wir verschicken ihn, sagt sie. Die Mutter schaut jetzt mir entgegen, in meine Richtung und ich schaue hin. Ich sehe, dass sie überlegt, dass sie nach Mersburg fährt zu ihrem Bruder. Sie unterhalten sich und überlegen. Die Mutter überlegt jetzt. Sie hört der Schwester zu und überlegt. Das kann ich doch nicht machen, sagt sie. Warum, das machen alle so. Sie lassen ihn hier liegen, was glauben sie. Die Schwester ist ein böser Mensch. Ich schaue meine Mutter an und glaube, dass sie überlegt, dass sie tatsächlich überlegen kann, mich hier zu lassen. Ich renne zu ihr hin und halte mich an ihren Beinen fest, an ihrem Knie. Sie mag das nicht, ich spüre das an ihrem Knie, wie sie ein wenig mich wegdrückt in meine Brust hinein, dass ich gleich husten müsste, doch huste ich jetzt nicht, und ohne das zu wollen, beginne ich zu weinen. Das mag sie nicht, wenn ich mich an sie klammere. Ich weiß, sie mag das nicht. Vor anderen noch weniger. Sie mag nicht, wenn ich ihr Sorgen mache. Das werden wir dann sehen, sagt sie. Noch ist nichts entschieden, sagt sie. Jetzt lass mich wieder los. Es ist doch nichts passiert. Es muss doch nichts geschehen. Ich bin so wütend, wie noch nie und kann die Wut nicht zeigen. Was ist denn nur in dich gefahren, sagt die Mutter dann. Was hast du dir nur dabei gedacht, dich vor der Schwester so aufzuführen. Ich bin nicht hier. Ich möchte etwas für die Mutter sagen und weiß nicht, was ich sagen soll. Was bildest du dir nur ein, sagt sie, dein Vater würde dich doch nicht alleine lassen. Er hat mich schon hierher mit dir geschickt, sagt sie. Ich könnte mir doch wahrlich etwas besseres vorstellen, als hier mit dir zu sein. Jetzt beruhige dich doch endlich wieder. Es ist doch nichts passiert. Sie kann das nicht begreifen, dass ich nicht hier sein will. Ich bin doch wegen meinen Eltern hier, weil sie mich hierher schicken. Sie schicken mich doch her. Sie fahren mich doch her. Sie wollen doch, dass ich hier bleibe. Ich will doch nicht hier bleiben. Sie wollen, dass ich hier bin. Ich will doch nicht hier bleiben. Ich habe keinen Ausweg mehr. Ich fürchte ihre Fürsorge, ich fürchte mich vor ihrer Liebe. Wir sorgen schon für dich, sagt Vater immer wieder. Wir sorgen schon für dich. Dein Vater wird schon dafür sorgen. So sorgen sie für mich. Ich habe Angst vor ihrer Sorge. Ich habe Angst um mich. Ich bin ein Hund und will nicht, dass sie mich hier angebunden lässt, hier unter fremden Menschen.

Ich greife wieder nach ihrem rechten Knie. Ich will jetzt nicht mehr loslassen. Jetzt wenn ich loslasse, dann geht sie wieder weg. Sie soll doch einmal für mich stehen bleiben. Nur einmal meine Hände nehmen, was weiß ich, für mich. Jetzt nicht loslassen.

Sie schüttelt sich und lacht mich plötzlich an. Sie lacht. Du tust ja so, als wärest du ganz allein auf der Welt, sagt sie und lacht jetzt etwas lauter, als würde sie das Lachen nicht vertragen. Sie lacht, als würde sie sich dabei quälen. Sie mag nicht länger lachen. Jetzt ist es aber gut, sagt sie und schüttelt ihren Kopf. Ich sehe ihre Zähne und sie ist kurz davor mich wegzustoßen. Ich kenne diesen Blick, auch Vater hat die Augen so, wenn er nicht länger hier sein will, wenn er woanders hin will, weg, nur weg sein will. Schluss jetzt, mit deiner Schreierei. Ich überlege mir sonst tatsächlich, ob ich nicht doch lieber allein und ohne dich zu meinem Bruder an den Bodensee fahre. Krankheit hin oder her. Ich könnte auch einmal meine Ruhe vertragen, auch ohne deinen Vater. Ich könnte auch einmal meine Ruhe vertragen. Endlich auch einmal ohne dich. Du bist so schrecklich anhänglich. Merkst du denn nicht, wie anhänglich du bist. Ich habe dich schließlich jeden Tag. Seit du geboren bist, hängst du an mir. Nicht einmal alleine auf die Toilette kann man gehen, sagt sie und lächelt.

Ich lasse ihre Beine los. Sie schnauft. Ich kann mir auch was schöneres vorstellen, als hier mit dir zu sein. Sie schaut mich an und dreht sich schließlich weg. Als hätte ich nichts besseres zu tun. Wie kann man nur so giftig sein!, sagt sie.

Ich hasse ihre Hände. Ich hasse ihre Rosen, wenn sie mit ihnen spricht. Ich hasse ihre Nase auch, wenn sie nach ihnen riecht und dann nach ihnen duftet. Ich hasse sie so sehr, dass ich nicht sagen kann, wie sehr. Ich kenne niemand der das tut, die eigne Mutter hassen, ich hasse sie so sehr, dass ich sie anschreien möchte. Ich möchte ihr in ihren Hals schreien, sie würgen wie ein Husten. Ich möchte sie anstecken, damit sie krank wird, wie ich auch. Sie soll auch krank werden, dann soll der Vater mit mir fahren und sie zuhause lassen. Sie soll allein sein und allein, und niemand soll ihr helfen. Sie soll selbst untergehen in einem See aus Blut. Sie soll sich selbst aushusten. Sie haben das gesagt, dass manche dann Blut husten, die wirklich Schwindsucht haben. Ich hasse diese schönen roten Rosen, ich hasse diesen Strauch, ich hasse alle Blumen, wenn sie mit mir da ist. Wenn sie mit diesen Blumen spricht, dann hasse ich sie mehr als alles andere, dann soll sie in die Rosen fallen und diese Stacheln sollen sie verwunden, sie soll in diese Rosensträucher fallen und wer sie rauszieht ist kein Held. Ich hasse, wenn sie schaut, dass sie weg will, dass sie weg will, nur weg will, wegen mir. Dass sie weg will, das hasse ich am meisten. Sie soll alleine sein, alleine einmal bleiben und niemand soll sich ihrem Zimmer nähern. Sie soll nicht weinen dürfen und nicht nach einem Menschen schreien. Sie soll vom schwarzen Mann dann träumen und sich ganz schrecklich fürchten. Sie soll die Menschen alle fürchten und jeden der ihr nahe kommt. Ich hasse ihr Gesicht, wenn sie sich umdreht und mich sucht, als würde sie sich ärgern. Sie soll mich nie mehr finden und ewig suchen müssen. Sie soll mich so vermissen, dass ihr die Augen aus dem Kopf springen, damit sie weiter suchen kann. Die Augen sollen ihr verkleben, vom vielen Weinen. Sie soll auch ihren Mund verkleben und nie mehr eine Nahrung finden. Sie soll verhungern, bis sie bricht. Mit Husten und mit Schleim soll sie an ihrem Mund ersticken und keine Luft mehr kriegen. Sie soll sich selbst verschlucken und immer dann auch beißen. Die blödesten Hunde beißen sich nur selbst, hat Vater immer dann gesagt, wenn ich mich beiße, dann lacht sie und ist wieder fröhlich. Ich freu mich, wenn sie sich weh tut. Sie soll sich immer weh tun mit den Sachen, dass ich dann lachen kann. Ich wünsche mir, dass sie auch krank wird und dann hinfällt, wie ein Stein, dass ihre Knie aufschlagen. Sie soll sich ihre Knie aufschlagen, am Boden, an der Tür, Türrahmen. Sie soll mit ihren Augen müde werden und dann hinfallen, auf ihre wehe Stelle soll sie sich immer wieder schlagen. Ellbogen auf das Mäuschen hauen, auch gegen den Türrahmen und gegen diesen hohen Dings, womit die Türe aufgeht und dann zu. Soll sich anstoßen und dann die Zähne kriegen. Zum aus der Haut fahren. Sie soll Zahnweh bekommen. Sie soll auch aus der Haut fahren, wie sie es immer sagt. Aus ihrer Haut soll sie doch fahren, damit ich endlich wieder lachen kann und mich dann wieder freuen. Sie soll sich voll scheißen, von oben bis nach unten durch, in Scheiße soll sie sitzen bleiben und nicht mehr wissen wie sie heißt. Sie soll in ihrem Saft selbst schmoren und backen soll ihr Hintern dann. Sie soll sich in die Hitze legen in Sonnenstrahlen soll sie kochen bis Kopf und Hals so rot sind wie ein Feuersalamander, orange bis auf den Bauch. Sie soll sich selbst verbrennen, am Herd und an den Platten. Brandblasen soll sie haben. Ich hasse ihre Fußsohlen, wenn sie mit ihnen auftritt, immer wieder in den Boden hackt, wenn sie dann auf mich beinah tritt auf meine Finger, Hand, wenn sie dann schreit, als wäre sie erschrocken. Es sind doch meine Finger, blöde Sau. Die blöde, blöde, blöde Drecksau, Drecksau soll verschimmeln, und kein Hahn kräht mehr nach dir. Sie soll sich übergeben und immer wieder neu soll ihr schlecht werden, von allem, was sie mag. Sie soll sich anderes Essen wünschen, doch muss sie essen, was jetzt kommt. Sie soll an ihrem Fraß ersticken und alles wieder aufessen. Sie soll an ihrem Schleim ersticken, genau so wie die Schwester auch, die gesagt hat, dass dann manche mit der Schwindsucht doch letztendlich dann an ihrem eigenen Blut ersticken, wenn sie einen Blutsturz kriegen. Soll die Mutter mit der Insel Mainau untergehen, mit dem Meer aus Rosen, das so schön ist, noch viel schöner, kein Vergleich mit hier. Soll sie doch ersaufen in dem Meer aus Rosen. Schön langsam, dass sie selbst zusehen kann. Immer nur schön langsam, bis sie selber merkt, dass es ihr an den Kragen geht. Das Wasser mit den Rosen und dem Blut. Soll sie langsam absaufen. Duften doch so schön, soll sie doch ersaufen und sich alle Fingernägel brechen, wenn sie sich ans Ufer klammert wie an einen Stuhl, soll sich dann die Nägel alle einreißen, was sie immer sagt, pass bloß auf, wo du hintrittst was du machst, nicht dass du mir noch mein Kleid dreckig machst und dass ich mir, das fehlte mir noch, einen Nagel wegen dir einreiße, wenn du wieder hinfällst und dich im letzten Moment noch zu fassen kriege. Reißen sollen alle Nägel und die Augen soll sie sich ausstechen, auch in beide Augen stechen mit den schönen Rosen. Rosen, Rosen, immer nur die Rosen. Soll sie in die Beete fallen und sich dann beim Abstützen ihre Augen ausstechen und die Schwester soll hinfallen, dass ihr weißes Kleid verdreckt und die Haube soll ihr abgehen, dass man ihre Glatze sieht, diese fette Sau soll die Glatze zeigen, dass auch jeder ihre Glatze sieht und sich biegt vor Lachen, auch die Rosensträucher, alle Kinder sollen wiehern wie ein Pferd, sollen lachen über diese fette weiße Sau, die so böse ist zu mir. Seerosen, soll sich dort verfangen und mit Würgen untergehen, soll im Untergehen schimpfen, sollen auch die Schlingpflanzen sie am Fuß dann packen und dann in die Tiefe ziehen, beim Ertrinken noch mit Wasser bis zum Mund unter diesen Pflanzen, die sie dann nach unten ziehen immer noch mir nachschimpfen, soll mich jetzt um Hilfe rufen. Sollen mich verzweifelt um Hilfe rufen und stehe ich am Rand, sehe ihre Hilfeschreie, sehe wie ihr Mund immer auf und zu und wie ihre Augen böse leuchten und das bayerische Meer und das Rosenblut immer näher an die Lippen, Nase läuft und das Wasser läuft aus ihren Ohren und ich sage nichts. Ich steh dort am Rand des Bodensees und beobachte wie sie langsam untergeht. Rühre mich nicht vom Fleck. Rühre keinen Finger, komme ihr nicht nahe, wenn sie auch nach Hilfe fleht, rühre keinen Finger, mein Gesicht ist Wachs und ich atme leise, ich bin hier der einzige, der sie untergehen sieht und ich rühre keinen Finger. Milch und Honig, Milch und Honig, und der Honig soll ihr in die Augen kommen und die Milch anbrennen. Soll sich dann die Augen reiben mit dem Honig an dem Finger und dann soll sie sich noch an der Hand verbrennen wenn die Milch dann überkocht. Mutter macht doch keine Fehler, Mutter ist doch die Beste, die es gibt. Mutter soll die Milch in ihre Hände rinnen, wie gebrannte Mandeln, sollen sie ausschauen, wenn sie wieder über Kinder mit den Mandeln lachen, wenn sie wie die Schwester sagt, diese Schale halten müssen, wo die blutigen Mandeln ausgekratzt dann werden, sollen sie verrecken, sollen ihren Lachgesichtern in ihr Maul gestopft. Reden, reden, unterhalten sich, meine Mutter und die Schwester, beide, die verstehen sich, wenn sie über Kranke reden, und die Bipperl sollen auch verkümmern, schnippeln und dann schnippeln, schnippeln, schnippeln, sagen sie über Vorhaut auch vom Mang Beppi. Deshalb ist der Wittmann Toni da, dass sie ihm die Vorhaut so verkürzen, dass er wieder brunzen kann, ohne seine Schmerzen. Sollen sich verbrunzen, diese Drecksäue, dass die weißen Röcke nach dem Brunzen stinken, diese bösen, bösen Schwestern. Mutter ist wie diese Schwester, wie die schwarze Schwester. Schwesterchen und Schwesterchen. Rosenrot, Schneeweißchen. Mutter ist die schwarze Frau, die mit sich im Reinen ist, die nichts lieber hört, wie Geschichten von der Schwester, wie die Kinder sich aufführen, wie sie schreien und sich wehren, und wie alles doch nichts nützt, weil es muss ja sein, weil es muss nun einmal sein, deswegen sind sie doch wohl hier, um geheilt zu werden. Meine Mutter und die Schwester lachen dann, lachen wie die Hühner, da lachen ja die Hühner, keiner kommt davon, Weinen nützt doch überhaupt nichts, sagt die Schwester, und die Mutter lächelt, weil sie weiß, dass ihr das gefällt. Weinen nutzt hier überhaupt nichts, das gefällt der Mutter ganz besonders, dass das Weinen nichts mehr nützt. Lieber wäre ihr gar nicht weinen, doch wenn sie so da steht und ich ihr Lächeln sehe, glaube ich das auch nicht mehr. Weinen ist ihr schon ganz recht, dass die Kinder weinen, denn dann weiß sie, dass sie sie alleine lassen kann. Denn am Weinen sollst du sie erkennen. Dieses Weinen mag sie strafen, diese Drecksau ist tatsächlich eine Bestraferin meiner Tränen, aller Kindertränen. Keine Träne will sie hören. Weinen wie die kleinen Lämmer, weinen und dabei nützt das doch gar nichts hier, sagt die Krankenschwester. Schauen sich so an, dass sie beide wieder wissen, was schön ist, was sie ganz besonders mögen: wenn die Kinder weinen, wenn sie noch nach ihnen langen, wenn sie was verlangen, Hilfe, Schutz und etwas Trost. Doch das ist hier ganz vergebens. Mutter und die Schwester sehen ganz so aus. Tränen, Schmerzen brauchen sie, um mich zu bestrafen. Sie bestrafen Weinen und sie mögen, wenn wir weiterweinen. Schwester und die Schwester mögen dieses Weinen, wenn die Kinder sich verausgaben, wenn sie sich verzweifelt in die Müdigkeit dann weinen. Mögen ihr Verweinen. Sollen alle untergehen, sollen ohne Weinen doch ersaufen. Meine Mutter und die Schwester, sollen ohne einen Ton ersaufen. Niemand soll mehr für sie Weinen. Niemals wieder werde ich für diese Mutter weinen. Niemals wieder. Mutter und die Schwester lachen und verstehen sich auch ohne große Worte, wenn sie sich begegnen, grüßen sie sich schon mit Vornamen. Sie sind beide meine Schwestern, beide sind sie Todesengel, beide reden Unheil, Unheil in die Ohren, Augen, meine beiden Beine werden davon müde, sollen beide Beine sich im Fallen brechen, hoffe ich, dass sie wenigstens nach diesem blöden Putzen ausrutschen und dann auch die Treppe runterfallen und bei jeder Stufe sich den Kopf einschlagen, dieses Klacken will ich hören, wenn die Köpfe, ihre Köpfe brechen, diese bösen, bösen Frauen sind dann endlich tot. Still sein sollen sie. Endlich einmal still sein, diese Dreckschweine, weil das Blut in ihren Lungen ist und dann nur mehr Stille. Wenn sie dann das Grab zuschütten, soll nichts mehr zu sehen sein, dass sie einst gewesen sind, nichts mehr soll an sie erinnern. Nichts mehr soll mich an die Schwestern und die Mutter dort erinnern. Totengräber will ich sein, will die Mutter selbst eingraben und die Schwester neben ihr, will den Mund mit Erde füllen, dafür habe ich den Schubkarren. Will sie doch begraben, ein für allemal, dass nie mehr ihr Maul aufgeht, ungewaschener Mund sagt sie, sagt sie, wenn ich etwas sage, soll ihr Maul mit Erde sein, dann die Grube zu. Soll auch keine Kreuze geben, soll niemand mehr wissen, wo sie wohnte, selbst im Tod soll ich sie vergessen haben, dass sie mich so quälte. Ich will endlich auch vergessen, dass ich eine Mutter habe. Wie sie mich vergisst, will auch ich sie so vergessen.

Meine Wut ist der einzige Beweis für mich, dass es mich selbst als Kind gegeben hat. Dass es mich als autonomen, freien Menschen, mit Liebe für mich selbst, unabhängig von den Eltern überhaupt gegeben hat. Meine Wut ist für mich der einzige lebende Beweis, dass es mich, für mich gegeben hat. Dass ich selbst bezeugen kann, wie meine Kindheit wirklich war. Für mich.