Texte von Hugo Rupp

Befreiung vom Selbstbetrug

 

Was können wir tun?

Ausgehend von meiner Geschichte denke ich, versuchen wir, uns als wissende und handelnde Zeugen zur Verfügung zu stellen. Was Unrecht ist, muß so benannt werden, auch wenn es oft die, die es betrifft, nicht selbst erkennen und wagen. Dann helfen wir ihnen doch und benennen es. Ich versuche, in solchen Situationen Partei zu ergreifen, das ist für die Betroffenen oft überraschend und hilfreich.

Aus dem Leserbrief: Die Traurigkeit Thursday 29 October 2009

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Mein Vater kannte kein Mitleid.

Wenn ich hinfiel und mich verletzte.

Da fällt mir dieses Baby ein, das seine Mutter vor sich herschob. Und das sein Weinen abfing und nicht schrie. Als wäre nichts gewesen.

Kein Weinen, keine Strafe.

Mein Vater hatte kein Mitleid.

Auch das versuchte ich mir zu erklären.

Und fühlte mich zu Höherem berufen.

Und immer auf der Suche nach Ideen, einer Idee schlechthin, auch auf der Suche nach der Heilslehre.

Mein Vater hätte noch nach einem angebundenen Hund getreten.

Er trat mich auch wie einen kleinen Hund.

Im Traum lief ich nach oben, unters Dach. Da warteten die Ratten, eng an eng. Und Menschen gingen lächelnd nur vorüber.

Ich suchte auf dem Dachboden, da ich Geborgenheit in keinem Stockwerk fand.

Ich rannte vor der Mutter weg, die unten auf dem Rasen lag und sich in ihrem blauen Badeanzug sonnte.

Auch Vater wollte ich nicht sehen.

Es war nichts angenehmes zwischen uns.

Es lag ihm nichts daran, Privates zu bereden.

Was gehen mich die andern an!

Warum ich gegen alle kämpfen muss.

Ich habe keinen Rückzugsort und nichts zu melden.

Im Traum sag ich zu einer Frau, die ungerührt in meine Richtung starrt und etwas neben mir wegnehmen will, Papiere, Zeitungen oder was ähnliches: Sie kennen überhaupt keine Privatsphäre!

Wenn ich mich schäme, lächelt sie.

Privatsphäre bezeichnet den nichtöffentlichen Bereich, in dem ein Mensch unbehelligt von äußeren Einflüssen sein Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit wahrnimmt. Das Recht auf Privatsphäre gilt als Menschenrecht und ist in allen modernen Demokratien verankert. Dieses Recht kann aufgrund des öffentlichen Interesses an einer Person oder zu Zwecken der Strafverfolgung eingeschränkt werden.

wikipedia.de

Ich störte nur, auch das empfand ich so.

Dabei kam Vater angefressen heim, und Mutter kochte schon vor Wut, wenn er zu spät zum Mittagessen kam.

Ihn störte Zärtlichkeit, Verletzlichkeit; Intimität.

Was soll denn das?

Was fasst du mich denn an?!

Du musst mir nicht schon wieder deine Hand geben.

Jetzt ist es aber gut!

Deswegen habe ich dann später immer wieder was gesucht, was Falsches in Gesichtern.

Aus Angst vor der Berührung und Betrug.

Hör endlich auf mit deiner Trenzerei.

Das hörte sich so an, als würden Selbstgespräche auch nur stören.

Hör endlich auf damit.

Das schrie ich in mir selbst.

Hör endlich auf damit!

Womit?

Zu weinen.

Hör endlich auf!

Am linken Daumen kratze ich die Haut vom Nagel.

Sind wir jetzt wieder gut?!

Ich nahm den Satz von meiner Mutter wahr und sagte ihn mir immer wieder vor. Ich hoffte, dass er auch bei Vater wirken würde.

Jetzt sind wir wieder gut.

Das musste einfach auch für Vater gelten.

Jetzt sind wir wieder gut!

Am meisten fürchtete ich später, dass er bettlägrig wird und ständig nach mir schreit und sich beschwert.

Schief steh ich da und schau so dumm aus meiner Wäsche.

Ich wünschte nur, du würdest endlich etwas tun und etwas leisten!

So sprach ich zu mir selbst.

Ich wünschte nur, du würdest mich nicht immer so fest drücken.

Ich habe dir doch nichts getan!

Ich redete mit bösen Zungen und merkte das nicht mal, dass ich mich selbst damit angriff, indem ich Zärtlichkeit vermied.

Wie ich mich böser machte als ich war.

Wie sehr mir das gefiel, wenn er in meiner Gegenwart jemanden niedermachte und beleidigte, wenn er jemandem weh tat. Denn dann gefiel ich mir auch wieder, wenn ich vollkommen ruhig neben ihm, nichts zu befürchten hatte, und die Gewalt ausbrach, nicht gegen mich, auf jemand anderen auch übersprang. Ich war in Sicherheit, wenn Vater jemand anderen als Opfer hatte. Wenn er den Hass an einem anderen ausließ und sich an einem anderen verging. Dann war ich glücklich und zufrieden. Wenn jemand das ertrug, genauso stumm und ohne Widerspruch. Wenn jemand das ertragen musste. Wenn jemand anderer dem Vater ausgeliefert war, dann fühlte ich mich sicher und nicht schuldig.

Wenn er auf andere losging.

Ich merkte nicht, wie ich von meinem Vater nur gehasst wurde, wenn ich von ihm verletzt wurde. Ich dachte später aber nur, mein Vater hätte das und das von mir nur abgelehnt, nur schwerlich tolerieren können und sei im Grunde auch ein Opfer und kein schlechter Mensch. Zufrieden stellen wollte ich ihn nur, damit er mich nicht irgendwann erschlägt.

Und unter all den Stimmen, die ich höre, nicht eine, die mich nicht verurteilt und bestraft.

Nicht eine Stimme, die mich nicht ausschimpfen würde.

Nicht eine Stimme, die für mich und meine Wut auf meinen Vater stimmen würde.

Ich will dir doch nichts tun!

Will dir nicht weh tun, sagt die Stimme. Und dabei schmeichelt diese Stimme, schlägt mich und schneidet und beschämt mich. Und dabei tue ich mir weh und will mir aber gar nicht weh tun.

Will dir doch nicht weh tun, sagt diese Stimme in mir.

Das ist doch nur zum Spaß.

Ich schneide in mein Fleisch.

Kratz mir die Haut von meinen Fingern.

Ich beiße meine Fingernägel ab, bis sich mein Nagelbett entzündet.

Und wie verloren ich auch war, mit meiner Angst vor seinen Fäusten und dem schiefen Maul, und ihrem Lachen, das mich quälte.

Die wackelnden Gesichter, Gewalt verlachend und verspottend. (Francis Bacon, James Ensor).

Und Mutter drehte ihren Kopf.

Ich sah nur schiefe Zähne.

Und dabei war ich zärtlich, nett und freundlich;

und Vater schlug mich trotzdem.

Und du bist wieder lieb.

Ich schimpfe und bestrafe dich, und du bist wieder gut.

Du weinst und schreist und hast Unrecht.

Entsetzlich, wie sie mich damit herabwürdigten.

Sie hatten kein Bewusstsein für ihr Unrecht.

„Komm her, wenn ich dich rufe“, sagte Madame Grosgeorge mit unveränderter Stimme. „Wirst du niemals lernen, daß du sofort zu gehorchen hast?“

André überwand sich mit Mühe, rutschte von seinem Stuhl und begab sich in die Ecke des Salons, in der seine Mutter ihn unbeweglich wie eine Statue erwartete. Er war klein und trug einen dunkelblauen Sweater, der seine schmale Brust und seine schlaffen Arme eng umspannte. Seine nackten Beine sahen aus einer viel zu großen Kammgarnhose hervor. Beim Gehen schlurfte er mit den Füßen über den Boden hin, als ließe er es sich angelegen sein, die rot und violett gemusterte Wolle des Teppichs abzukehren.

„Wie oft habe ich dir schon gesagt, daß du die Füße beim Gehen heben sollst?“ fragte Madame Grosgeorge, als er vor ihr stand. „Komm näher heran.“

Sie hatte jetzt beide Hände auf die Lehnen des geschnitzten Sessels gelegt und sah das Kind an, das ihrem Blick auszuweichen versuchte und sich auf die Lippen biß.

„Bevor ich dich bestrafe“, sagte sie ganz sanft, „hast du ein Anrecht darauf, daß ich dir erkläre, warum ich gezwungen bin, es zu tun. Zunächst einmal hast du die Seite aus dem Geschichtsbuch sehr schlecht vorgelesen. Du sprichst die Wörter nicht deutlich aus. Ferner versuchst du nicht zu verstehen und zu behalten, was du liest. Die Folge ist, daß du hinterher ebenso unwissend bist wie zuvor und somit die Zeit und das Geld deines Vaters vergeudest. Außerdem willst du die Angewohnheit nicht ablegen, beim Gehen mit den Füßen über den Teppich zu schlurfen. Weine nicht, das hat keinen Zweck. Heb den Kopf und sieh mich an.“

Bei diesen Worten preßte sie die Zähne etwas aufeinander und heftete die Augen fest auf die Stirn ihres Sohnes. Dann hob sie mit dicht an den Körper gepreßtem Ellbogen den rechten Unterarm und schleuderte ihn so weit nach hinten, wie es ging. In dieser Stellung verharrte sie eine Sekunde, ohne daß sich ein Muskel ihres Körpers bewegte; plötzlich aber, nachdem sie sich unmerklich nach rechts gewendet hatte, als wolle sie eine Art Anlauf nehmen, schlug sie den Jungen mit der Kraft und Fühllosigkeit einer Maschine ins Gesicht. Er erbebte, keuchte vor Schrecken und begann zu schreien. Indessen ließ seine Mutter keinen Blick von ihm; sie schien sein Schreien nicht zu hören, sondern betrachtete jetzt aufmerksam die Wange, auf der der rosige Abdruck ihrer Hand allmählich wieder verblaßte. Etwas ganz Eigenartiges hatte sich in den schwarzen Augen dieser Frau mit einem Male gezeigt, ein Ausdruck von Gier und Lust, der ihr altes, aber hübsches Gesicht verklärte und ihr eine Art zweiter Jugend bescherte. In diesem Augenblick war sie derart in den Anblick dessen versunken, was sie vor sich sah, daß nichts mehr existierte außer dieser Spur, die ihre Finger hinterlassen hatten. Hätte jemand ihr von hinten zugerufen: >Es brennt!<, so würde sie wahrscheinlich nicht einmal den Kopf gewendet haben.

Guéret verfolgte diese Szene mit solchem Grauen, daß er außerstande war, eine Bewegung zu machen. Er hatte Lust, das Kind in die Arme zu nehmen, aber der bloße Gedanke an ein so verwegenes Vorhaben erschien ihm ungeheuerlich. Madame Grosgeorge strömte eine solche Kraft und soviel Willen aus, das Laster gab ihr in diesem Augenblick ein so machtvolles Übergewicht, daß Guéret ebenso wenig in der Lage war, ihr offen entgegenzutreten, wie er gewagt haben würde, einem Raubtier seine Beute zu entreißen. So blieb er stumm und ließ, ohne es zu wollen, seine Augen auf dem Jungen ruhen, der den Kopf senkte und mit unsicherem Schritt vor dem furchtbaren Blick zurückwich, den ihm seine Mutter nachsandte.

Ein paar Sekunden vergingen in einem Schweigen, das einzig von dem Schluchzen des Kleinen unterbrochen wurde; dann plötzlich, als erhielte sie nach der Lösung eines Zauberbannes ihre Freiheit zurück, zuckte Madame Grosgeorge zusammen und blickte den Lehrer an.

„Nun“, meinte sie in sprödem Ton, „es ist elf Uhr durch, Monsieur Guéret, ich wüßte nicht, was Sie hier noch zurückhält.“

Bei diesen Worten erhob sie sich und schritt zur Tür. Er stand noch immer an der gleichen Stelle, und als sie an ihm vorbeiging, nahm er die feine Linie ihres klaren, graziösen Profils wahr; ihre Wange war von einer inneren Erregung belebt, die sonst nirgends sichtbar wurde; hinter dem Ohr, etwas unterhalb einer grauen Haarsträhne, drang eines der Fischbeinstäbchen, die den Kragen versteiften, leicht in das weiße Nackenfleisch ein und erzeugte darin ein Grübchen. Er hatte plötzlich eine verworrene Empfindung, in der sich Bewunderung mit Abscheu mischte. Nachdem er sein Buch und seine Papiere an sich genommen hatte, folgte er Madame Grosgeorge in das Vorzimmer.

Als er sich gleich darauf im Garten befand, wurde er sich bewußt, daß er in der Aufregung vergessen hatte, ihr Adieu zu sagen.

Julien Green Leviathan

Strafe muss sein, ist die Empfindung, die ich teilen sollte. Was ich nicht wieder rausbekam. Strafe muss sein.

Sie hatten meinen Mut bestraft. Genau das machte ich dann später auch. Den anderen Mutlosigkeit vorwerfen.

Was redest du denn da!? Was bildest du dir ein?!

Und wie entmutigend das war. Als würde ich der sein, der Unrecht nur zu unrecht sagt, indem ich schreie, weine und zu unrecht klage.

Mein Vater pflegte mich zu beschämen, indem er mir Rechthaberei vorwarf, wenn ich die Wehrmacht nur erwähnte, die seine große Heimat war, und diese Kameradschaft! Dieser Geist. Zusammenhalt! Nicht jeder gegen jeden, so wie heute. Du hast doch keine Ahnung, sagt er, wovon du sprichst, und lächelt.

Ich wollte mit den Eltern später nichts zu tun haben, außer sie zahlten mir etwas. Ich blieb auch weiterhin ihr Sohn, solange sie mir Geld gaben. Und ich erwartete das auch. Dass ich etwas bekommen würde, wenn es mir dreckig ging und wenn ich traurig war und einsam. Dass sich das Unglück, wie das Unrecht, doch noch rentiert.

Mein Glück in fremden Häusern und in den Händen anderer.

Mein Rechtsempfinden, das ich mit meinen Eltern teilte, dass irgendjemand kommt und für mein Leid bezahlt.

Dass irgendjemand dafür aufkommt und bezahlen muss.

Ich sollte für die Leiden meiner Eltern büßen.

Sie ließen mich für Leidensäusserungen büßen. Da lernte ich, jemand für meine Leidensäusserungen büßen lassen. Jemanden büßen lassen für mein unterdrücktes, stummes Leid. Mir wünschen lernte ich, dass jemand für mich leiden soll. Und ohne Wut genau so einsam wird. Genau so Angst bekommt und mutlos wird. Das wünschte ich, dass jemand büßen soll. Am meisten aber wünschte ich, dass jemand mit mir die Empfindung teilt. Dass jemand mit mir büßt; dass jemand mit mir die Empfindung teilt, dass jemand maßlos büßen muss für seine Leidensäußerung; die Wut.

Der Schmerz ist nirgends verboten, nicht in der Erziehung und nicht in den Religionen. Daher braucht er nicht verdrängt zu werden. Nur die Wut auf die eigenen Eltern ist weltweit verboten, wird daher gefürchtet und oft lebenslang unterdrückt oder auf Sündenböcke verschoben. Wer seine eigene unterdrückte Wut maßlos fürchtet, wie zum Beispiel Freud, verbündet sich gerne mit der Lüge und erfindet Theorien, die die empörende Wahrheit leugnen. Der berechtigte Zorn öffnet nachweisbar die Türen zum eigenen Mut und damit zur emotionalen Ehrlichkeit. Der Schmerz allein tut dies nicht, wenn er den Zorn leugnet.

Alice Miller

Wie sich ein Tier mit Angst tot stellt. So wie die kleinen Ratten in meinem Traum am Dachboden. Ich sollte meinen Zorn und meine Wut verschleppen. Nur heimlich Beute machen wollte ich. Ganz heimlich in mir wütend sein. Wie ich die Wut und meine Angst auf meinen Vater und die Mutter immer nur verschleppt hatte, wie eine Krankheit, die nicht zum Ausbruch und zum Vorschein kommen darf. Und immer in Gedanken an der Hauswand lang, nur niemand in die Augen blicken. So scheu und ängstlich vor Berührungen, lief ich mit meinen Schmerzen mir davon. Ich floh vor meiner Wut. Dass niemand merkt, wie ich mich vor mir selber fürchten kann. Wie groß und maßlos meine Angst vor meinen Eltern wirklich war. Denn wenn das rauskommt, Gute Nacht, dann wird es aber etwas geben.

Ich habe sehr häufig darauf hingewiesen, dass meiner Meinung nach jeder Täter früher ein Opfer war, aber natürlich nicht jedes Opfer zum Täter werden muss. Nur diejenigen, die ihr Leiden in der Kindheit leugnen, es herunterspielen, darüber spotten, sind in Gefahr zu Tätern zu werden. Wer sein Leiden ernst nehmen kann, braucht es nicht an anderen zu rächen. Daran habe ich nicht die geringsten Zweifel, auch nicht an der Tatsache, dass Menschen, die eine positive Aufmerksamkeit in der Kindheit erfahren haben, kein destruktives Potential in sich tragen, keine Zeitbomben sind und Empathie für sich und andere haben. Da aber die in der Kindheit erlittenen Qualen meistens unbekannt, weil verleugnet, sind, und die Kindheit häufig idealisiert wird, hört man gelegentlich die Behauptung, dass es destruktive Menschen gibt, die eine gute Kindheit hatten. Doch das halte ich für unmöglich. Nur das emotionale Bewusstwerden dessen, was uns in der Kindheit widerfahren ist, und die Empathie für das Kind, das wir einst gewesen sind, schützen uns vor dem blinden Wiederholen des eins unbewusst Erlittenen.

Alice Miller

Und jetzt verstehe ich, was sie tatsächlich in mich impften mit den Flüchen und ihrem Schaum vorm Mund. Mit ihrer gottvermaledeiten Schimpferei.

Du sollst nach einer bösen Absicht fahnden!

Ich sollte böse sein. Und Bosheit in den anderen auch suchen. Ich sollte mir die Bosheit anderer genauso wünschen, wie meine Eltern sie in mir gesucht, gefunden

hatten. Wie sie schon eine böse Absicht in mir sahen, wenn ich was äußerte und einmal schrie.

Du sollst dir alles böse wünschen.

Wer mich behelligt, den verschreie ich. Dem wünsche ich was Böses ins Gesicht. Sie schrien mich immer wieder an, wenn ich vor Keuchen und vor Husten keine Luft bekam.

Du sollst den Vater und die Mutter ehren.

Ich unterstellte schließlich jedem eine böse Absicht, der mit mir spielte oder gegen mich gewann. Ich unterstellte schließlich jedem anderen, bei jeder Äußerung und Tat, auch einen Unterton, der boshaft war, oder zumindest sich für mich so anhörte.

Böse Gedanken wollte ich verfolgen.

Du schreist doch nur zum Fleiß, sagt sie. Du gehst uns nur zum Fleiß so auf die Nerven.

Und plötzlich merke ich, dass hinter meiner Wut als Kind nicht wirklich eine böse Absicht lag.

Sie haben nie was gutes über mich erzählt, in Gegenwart von Freunden und Verwandten und selbst vor Unbekannten hat Mutter über mich geschimpft. Wie anstrengend ich sei, wie furchtbar anstrengend ich als Kind gewesen sei.

Dein Vater war vielleicht mal streng, doch böse hat er es nicht mit dir gemeint.

Die Mutter forderte mich immer wieder auf, mich selbst gleich zu berichtigen, mich eines Unrechts zu bezichtigen, wenn ich nur etwas wagte.

Er hat mich nicht gemocht, sag ich betrunken ehrlich.

Du tust ihm Unrecht, wenn du so was von ihm denkst.

Ich wollte einmal nur bedauert werden. Doch dazu kam es nicht.

Der Vater ist ein Arschloch!

Sag jetzt nichts mehr, was dir noch leidtun wird, sagt sie und lächelt wieder.

Aufforderung zur Selbstbezichtigung; schlafende Hunde sollte ich nicht wecken.

Ich konnte meinen Vater gar nicht lieben. Er sollte mir leidtun und fürchten sollte ich ihn, wie die Mutter. Ich sollte meine Mutter fürchten. Und dabei war ich so verzweifelt, weil ich das niemals hinbekam, für meine Eltern Mitleid aufzubringen. Deshalb beschuldigte ich unentwegt mich selbst und ich bezichtigte mich so zu unrecht, als wäre ich, ein kleines Kind tatsächlich schuldig und böse, weil ich mich nicht mit der Gewalt und immer wieder ihrem Unrecht abfinden hatte können. Es lag gar nicht an mir, dass ich die Eltern weder ehren, noch lieben hatte können.

Das wird dir noch leidtun!

Und wie mich die Bezichtigung verfolgte, dass ich sündhaft und böse sei, wenn mir die Mutter und der Vater nicht leid taten. Und dass ich immer dann etwas befürchten muss, wenn sie mir nicht leidtun.

So wird die Wut für ein Kind gegen seine Eltern unmöglich.

Mir konnte später alles leidtun, was ich machte, dachte, mir auch wünschte oder nur versuchte. Mir konnte alles leidtun; nur Hass auf andere und blinde Wut, mein Zorn auf alles unbedarfte und naive, und unschuldige, hat mir nicht leid getan.

Die Wut entfesseln und von Schuld und Selbstbezichtigung entbinden, befreit ein Kind vom Selbstbetrug. Um mich selbst schließlich kennenzulernen, musste mir meine Mutter und mein Vater nicht leidtun.